Man muss sich das mal vorstellen: Da liegen einfache Plastiklatschen im Regal. Grüne, gelbe, schwarze, rote. Mit einer kleinen brasilianischen Flagge versehen, aber sonst nichts Besonderes. Nichts, das wirklich anders aussieht als bei den Billig-Latschen, die im Laden nebenan auf einem Grabbeltisch um Käufer werben. Trotzdem werden die „Havaianas“ in der ganzen Welt gekauft – und Menschen zahlen das Fünf- bis Zehnfache, um mit Plastikschuhen dieser Marke herumzulaufen. Es ist allein der Name, der zählt.
Irgendwo da draußen tobt eine Wirtschaftskrise, die Geld und Arbeitsplätze vernichtet. Und sie verändert auch unser Konsumverhalten. Dabei gibt es zwei entgegenge
tobt eine Wirtschaftskrise, die Geld und Arbeitsplätze vernichtet. Und sie verändert auch unser Konsumverhalten. Dabei gibt es zwei entgegengesetzte Entwicklungen: Der Umsatz der Discounter steigt stärker als der anderer Supermarktketten. Eingeführte Marken des täglichen Grundbedarfs verzeichnen sinkende Umsätze. Persil wird etwa durch das Discounter-Waschmittel Tandil ersetzt. Gleichzeitig sind Menschen in bestimmten Bereichen wie etwa bei der Kleidung nach wie vor bereit, für ein Markenprodukt deutlich mehr zu bezahlen als für ein annähernd gleichwertiges No-Name-Produkt.Man kann also davon ausgehen, dass der starke Zuwachs bei den Discountern nicht nur jenen Menschen geschuldet ist, die sich nichts anderes mehr leisten können, sondern auch denen, die es noch nicht ganz so schlimm erwischt hat, die ihr Geld aber jetzt lieber für bestimmte Markenartikel sparen. „Wir wissen aus den letzten Krisen, dass Discounter und Handelsmarken immer die Gewinner der Krise sind“, sagt Wolfgang Twardawa von der Gesellschaft für Konsumforschung. Die Verschiebungen gingen zu Lasten jener etablierten Marken, die kein besonderes Vertrauen der Verbraucher mehr genießen.Eine Frage des LeidensdrucksOft sind es Gewohnheit und Bequemlichkeit, die Konsumenten immer an der gleichen Stelle ins Regal greifen lassen. Wenn aber erst einmal ein finanzieller Leidensdruck aufgebaut wird, werden auch die Switching Barriers, also die Hürden, die einen am Wechsel hindern, vor allem dort niedriger, wo der Kauf nichts mit Status zu tun hat. „Wenn es dann eine Alternative gibt, wird die auch gekauft“, sagt Gaby Odekerken-Schröder, Marketing-Professorin an der Universität Maastricht. Markentreue dürfe man aber nicht mit Gewohnheit gleichsetzen, da spielten noch andere Kräfte eine Rolle, sagt sie. Ob gewechselt wird oder nicht, habe nicht nur mit dem Geld auf dem Konto zu tun, sondern in vielen Fällen auch mit Gefühlen. Besonders deutlich wird dies in der Autobranche. So fragt die Werbung für den Kleinwagen Mini ganz unverhohlen: „Is it love?“Mitunter wird diese „Liebe“ sogar zur Last: Dann nämlich, wenn eine bestimmte Marke als so erstrebenswert angesehen wird, dass die Kaufentscheidung vielleicht einfacher wird, aber gleichzeitig zwingender. Es müssen jetzt einfach die Haivaianas sein! Schließlich gelten sie als „das Original“. Wenn es Marken gelingt, mit ihrer Einführung ein bestimmtes Verlangen zu verknüpfen, haben sie gewonnen. Das Bedürfnis eine kalte Coca-Cola zu trinken, ist schließlich genauso alt wie die Cola selbst. Und wer hat vor zehn Jahren schon Bionade vermisst?Für Verbraucher sind Marken längst zum virtuellen Monster geworden. Die Markenartikler sind nicht mehr so sehr damit beschäftig, etwas zu produzieren als vielmehr damit, ihr Image zu pflegen. Eines, das unser persönliches Verlangen anfacht und ständig nährt. Nicht nur das Verlangen willenlos Kauffreudiger, sondern auch das von Individualisten, die sich durch eine Marke ein subtiles Zugehörigkeitszeichen beschaffen. Auf das neue Telefon von Apple kann man nicht verzichten, wenn man in bestimmten Gruppen dazugehören will. Die aufwändige Identitätsarbeit der Marken kann hier, zugespitzt formuliert, sogar die eigene Identität ersetzen. Wenn also kein Geld für das Marken-Spielzeug da ist, muss bei anderen Produkten, die nicht diese identitätsbildende Kraft haben, um jeden Preis gespart werden. Was macht es schon aus, welches Waschmittel man benutzt, wenn man ein iPhone hat?Eine bestimmte Kaufentscheidung wird derzeit staatlich forciert. Die Abwrackprämie von 2.500 Euro hat so manchen Altwagenbesitzer zum Kauf eines neuen Autos bewegt. Nicht zur Entscheidung für dicke, rollende Statussymbole, sondern meist für kleine Wagen. So galt der Dacia Logan mit seinem Grundpreis von knapp 8.000 Euro vor der Krise als billig. Inzwischen gilt er als unschlagbar. Nirgendwo in Europa werden zurzeit mehr Dacias verkauft als in Deutschland – und damit verbunden ist eine positive Umwertung der Billigmarke. Der Wagen ist inzwischen so etwas wie ein neues Statussymbol. Wer ein solches Auto kauft, gilt nicht mehr als Geizhals, sondern als klug und bescheiden.Ganz und gar irrational ist eine Präferenz für Marken natürlich nicht. Sie machen schließlich das Leben einfacher. Das Logo bleibt gleich, die Verpackung hat schon etwas Vertrautes und der Griff zur Marke, erspart die Last, immer wieder neu entscheiden zu müssen. Man lebt in der – mitunter fälschlichen – Gewissheit, wieder das Gleiche zu kaufen.„Erkennbare und wiederkehrende Marken für Produkte kamen in Deutschland Ende des 19. Jahrhunderts auf“, erklärt Reinhard Siemes, ehemaliger Präsident des Art Directors Club Deutschland, einem Zusammenschluss von Kreativen der Werbeindustrie. „Zunächst als Waschmittel und Kosmetika, dann setzten sich nach und nach auch Nahrungsmittel, Tabakwaren und Spirituosen durch.“ Damals gewannen die ersten Unternehmen die Erkenntnis, dass Marken ein Gefühl wecken oder eine Bedeutung vermitteln konnten. Im Laufe der 1980er und 1990er Jahre aber, verselbständigte sich das Bild, schreibt Naomi Klein in ihrem Standardwerk No Logo: Wir sollten in einer geschlossenen Bedeutungswelt der Marken leben. Unsere Erfolge sollten möglich sein, weil wir die richtige Wurst aßen, das richtige Deo benutzten oder weil wir eben wussten, dass manche Momente einfach ein Ferrero Küsschen oder die Frische von Lenor erforderten.Lange wurde das Markenbewustsein von der Werbung geprägt. „Sie vermittelte das Gefühl, immer etwas Gutes zu kaufen“, sagt Siemes. Dieses Gefühl des Guten ist bei vielen Produkten mittlerweile aber verloren gegangen, sie werden als beliebig wahrgenommen. Eine Studie der Markenberatungsagentur BBDO zeigt, dass zwei Drittel aller Konsumenten Marken heute als austauschbar ansehen. Inzwischen haben die Menschen – dank Aufklärung – gelernt, dass Markenartikel zu 90 Prozent Psychologie und nur zu zehn Prozent Qualität sind. Der verzweifelte Kampf der Markenhersteller gegen Fälschungen und Nachahmerprodukte verdeutlicht: Mitunter geht es nicht einmal um die zehn Prozent Qualitätsempfinden. Auch wenn die Farben der Flagge auf den Plastiklatschen nicht stimmen, das Produkt den Namen einer anderen Urlaubsregion trägt – Hauptsache, die Nähe zum Original besteht.Erfolglose KritikIn No Logo untersuchte Naomi Klein, wie weit ein Markenimage von den realen Umständen, unter denen ein Produkt hergestellt wird, abweichen kann. Nachdem das Buch Anfang des Jahrzehnts so erfolgreich war, wollten viele Menschen plötzlich wissen, wie ihre T-Shirts hergestellt werden, wo ihre Turnschuhe herkommen. Sie trugen ihre teuer gekauften, aber billig gefertigten Marken-Sneaker mit einem schlechten Gewissen. Die Macht der Marken haben das Buch und die anschließende Debatte aber nicht gebrochen.Was derart intellektueller Kritik nicht gelang, könnte nun ein Nebeneffekt der Krise sein. Sie verändert die Markenwelt. Werbeetats werden gekürzt, Sponsoringbudgets und andere vertrauensbildende Maßnahmen zurückgefahren. Gut möglich also, dass wir Kunden mittlerweile die schlimmste Vereinnahmung hinter uns gelassen haben und nun wieder eine Zeit anbricht, in der wir bewusster unterschieden, für was wir wirklich Geld ausgeben wollen.Sicher wird es weiterhin Menschen geben, die 40 Euro für Plastik-Flipflops bezahlen. Und es wird jene geben, die dies nicht wollen. Viele werden es sich aber auch schlicht nicht mehr leisten können.