In den Medien werden Väter gefeiert, die sich aufopferungsvoll um ihre Kinder kümmern. Die Realität sieht in den meisten Familien allerdings noch anders aus
Es ist nur eine Einkaufstüte, aber sie bestätigt den Verdacht des Familiensoziologen Heinz Walter. Die Tüte liegt vor ihm auf dem Tisch, er hat sie neulich beim Jeanskauf bekommen. Auf der Tüte steht: „Für Machos“. Walter findet das symptomatisch. Der Soziologe von der Universität Konstanz hat beobachtet, dass immer häufiger derartige Slogans in der Öffentlichkeit kursieren – Männer sollten sich wieder auf ihre Männlichkeit besinnen. Schlechte Zeiten also für die „Neuen Väter“, die gleichberechtigt mit ihrer Partnerin für die Kinder da sein wollen. Es drohe eine „Re-Traditionalisierung“, sagt Walter.
Spätestens seit Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen im Januar 2007 beza
2007 bezahlte „Vätermonate“ einführte, gelten eigenhändig windelnde Väter in den Medien als hip. Sie werden in TV-Soaps und Fernsehdokus beleuchtet. Oder sie bespiegeln sich gleich selbst: Journalisten, die über ihre Erfahrungen als frischgebackene Väter schreiben, haben mit der „Väterliteratur“ gleich ein neues Genre gegründet. Und gerade ist in den Kinos der Dokumentarfilm Der entsorgte Vater von Douglas Wolfsperger angelaufen, in dem der Filmemacher erzählt, wie Scheidungsväter ausdauernd um das Sorgerecht für ihre Kinder kämpfen. Doch die Realität zwischen Wickelkommode und Arbeitsplatz ist nicht ganz so gleichberechtigt, wie die Medienbilder suggerieren.Selbstverständnis: ErnährerDie hehre Vorstellung, dass immer mehr Männer in Elternzeit gehen, wird konterkariert von der Selbstdefinition junger Männer. Sie verstehen sich vor allem als Ernährer der Familie. „Über 90 Prozent der Männer wollen Kinder bekommen“, sagt Claudia Zerle, Referentin für Familie und Familienpolitik am Deutschen Jugendinstitut (DJI). Ebenso viele Männer wollen aber erst eine Familie gründen, wenn sie diese auch ernähren können, zeigt die jüngste DJI-Studie über Wege in die Vaterschaft.Das Ergebnis klingt verdächtig nach längst vergangen geglaubten Zeiten: Der Mann bringt das Geld nach Hause, die Frau ist für Haushalt, Kochen und die Kinder zuständig. „Wir nennen diese Gruppe ‚Modernisierte Ernährer’“, sagt Zerle. Diese Männer wollten sich zwar aktiv ins Familienleben einbringen, dennoch stehe der Beruf im Vordergrund. Mit dem ersten Kind schnappe die „Retraditionalisierungsfalle“ zu, so Zerle. Die Mütter bleiben zu Hause, verdienen höchstens Teilzeit etwas dazu.Peggi Liebisch, Bundesgeschäftsführerin des Verbands Alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV), kann das bestätigen: „Männer, die fordern, dass sie Teilzeit arbeiten können, gibt es kaum“. Die große Mehrheit der Teilzeiterwerbstätigen sind Frauen. Und die meisten geben an, wegen der Familie nicht Vollzeit zu arbeiten.Auch das viel gepriesene Elterngeld hat nicht so viel verändert wie gehofft. Von Januar 2007 bis Mitte 2008 gingen knapp 100.000 Männer in Elternzeit – mehr als sechs Mal so viele Frauen. Immerhin stieg die Zahl der Väter, die Elternzeit einreichten, von 3,5 auf 18,5 Prozent. Von der Leyen nannte das eine „leise Revolution in unserer Gesellschaft“. Claudia Zerle sagt nur: „Es sind immer noch über 80 Prozent, die es nicht machen.“Es spricht auch immer noch einiges dagegen: Nach wie vor verdienen Männer im Schnitt 23 Prozent mehr als Frauen. Und noch fällt in vielen Firmen negativ auf, wer ein paar Monate aussteigt, um sich ums Kind zu kümmern. Ist die Karriere in Gefahr und somit das Geld, das die Familie ernähren soll, verzichtet man lieber. „Die Angebote von Unternehmen, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren, richten sich nach wie vor in erster Linie an Frauen“, sagt Claudia Zerle.Auch Familiensoziologe Walter sieht die Wirtschaft in der Pflicht. Firmen müssten endlich erkennen, dass sie von Vätern, die sich um ihre Kinder kümmern, auch profitieren: Die seien stressresistent, krisenerprobt und bewiesen täglich, dass sie Verantwortung übernehmen können. Wenn das Umdenken nicht bald gelinge, sei eine große Chance vertan, sagt Walter. Denn nur wenn die nachfolgenden Generationen mit anderen Vorbildern aufwachsen, könne sich gesellschaftliche Normalität wandeln.Am deutlichsten sichtbar ist das Beharrungsvermögen der alten Rollenbilder bei den Alleinerziehenden. Wachsen Kinder nur bei einem Elternteil auf, dann fast immer bei der Mutter. Diese Verteilung spiegelt sich auch im VAMV: Die alleinerziehenden Frauen im Verband stellen 90 Prozent der Mitglieder. Zwar seien die Probleme bei alleinerziehenden Vätern wie Müttern ähnlich, sagt Peggi Liebisch. Einen Unterschied gibt es dennoch, und zwar in der Vereinbarkeit von Beruf und Familie: „Väter bekommen das besser hin“, sagt Liebisch. „Vor allem, weil Kinder, die bei ihren Vätern leben, meist älter als zehn sind.“ Die Kleinen bleiben meist bei der Mutter.Kaum alleinerziehende Väter„Das mit den ‚Neuen Vätern’ ist ein Mythos“, findet Liebisch, die seit 15 Jahren für den VAMV arbeitet. Prozentual sei die Zahl der alleinerziehenden Väter in den vergangenen Jahren nicht gestiegen. „Die Männer werden von den Medien gehätschelt, alleinerziehende Väter werden zu Helden stilisiert – und die Mütter sind die Schuldigen.“ Es klingt ein wenig desillusioniert.Doch vielleicht könnte man auch sagen: Medienberichte über Familien, in denen beide Eltern arbeiten, Väter, die Elternzeit nehmen, und einige wenige, die gar ihre Kinder allein großziehen, schaffen langsam eine gefühlte Normalität – und damit eine Voraussetzung, dass Familien und Firmen irgendwann tatsächlich in einer neuen Normalität ankommen.„Passieren darf dir jetzt nichts mehr“Stefan Caspari (57), alleinerziehender Vater, München„Meine jüngere Tochter putzt gerade das Bad, ich mache nachher die Küche sauber. Wir haben einen festen Putztag mit klar verteilten Aufgaben. Ohne solche Regeln funktioniert ein Familienalltag nicht, ganz egal in welcher Konstellation. Wir leben zu dritt, meine beiden Töchter und ich. Seit sieben Jahren bin ich alleinerziehender Vater. Damals waren die Kinder zehn und zwölf. Ein blödes Alter für eine Trennung: Alt genug um alles mitzubekommen, aber zu jung, um es richtig zu verarbeiten. Die beiden wollten bei mir bleiben. Es war am Anfang schon eine gewaltige Umstellung. Ich erinnere mich noch, als ich zum Einkaufen eine befahrene Straße überquerte und auf einmal dachte: Passieren darf dir jetzt nichts mehr. Ich erkannte, wie zerbrechlich unsere Situation ist.An meiner Vaterrolle hat sich durch die Trennung aber nichts geändert. Ich habe nie versucht, die Mutter zu ersetzen. Deshalb habe ich dafür gesorgt, dass wir eine klare Umgangsregelung treffen, damit die Kinder regelmäßig ihre Mutter sehen. Zwar kam es da immer wieder zu Problemen, aber das ist leider in Scheidungsfamilien auch die Regel. Inzwischen sind meine Töchter alt genug selbst zu entscheiden, wann sie ihre Mutter sehen wollen.Ich arbeite als selbstständiger Fotograf. Das machte zwar manches einfacher, weil ich meine Zeit oft frei einteilen kann, aber irgendwann war meine Energie zu Ende. Ich musste beruflich runterfahren, um mich um die Kinder kümmern zu können. Natürlich mit finanziellen Folgen, eine Weile bekam ich Arbeitslosengeld. Meine Töchter konnten damit aber umgehen.Ich bin selbst mit wenig Geld aufgewachsen: Mein Vater war Künstler, mein Großvater auch. Als Künstler bist du gewohnt, freier zu denken. Das hat mir geholfen. Lange kannte ich keine anderen alleinerziehenden Väter. Vor einem Jahr habe ich dann den ‚Stammtisch für Alleinerziehende‘ gegründet, wir treffen uns einmal im Monat. Meine Erfahrung: Als alleinerziehender Vater musst man erst Vorurteile ausräumen, einen Vertrauensvorschuss bekommt man nicht.“„Jede Generation will es anders machen“Hans-Georg Nelles (52), lebt mit Frau und Kindern in Düsseldorf„Jede Generation will es anders machen als die davor. So wie mein Vater ein besserer Vater sein wollte als seiner, wollte auch ich es anders machen. Ich wollte eben nicht in der klassischen Rollenverteilung leben: Es war für meine Frau und mich immer klar, dass wir beide Vollzeit arbeiten gehen.Als wir Mitte der Achtziger unsere erste Tochter bekamen, steckten wir noch mitten im Studium. Unser Sohn wurde kurz vorm Abschluss geboren, die Jüngste 1991. Und meine Frau hat von Anfang an gesagt: Das machen wir gemeinsam. Wir haben beide gewindelt, gefüttert und uns später am Wochenende aufgeteilt: Zwei Kinder spielten Handball – wenn beide ein Spiel hatten, ging meine Frau zu dem einen, ich zum anderen.Natürlich rutschten auch wir manchmal in die traditionellen Muster, etwa wenn ich frühmorgens das Haus verließ und nachts erst von der Arbeit wiederkam. Aber eigentlich gibt es bei uns keine festen Rollen – nicht wie im klassischen Modell, wo der Mann etwa fürs Strengsein und Strafen zuständig ist. Ich halte mich auch für einen fürsorglichen Vater. Dazu gehört, dass ich der Jüngsten mittags Essen auf den Tisch stelle oder unserem Sohn ein Formular für seinen Studienplatz aus dem Internet ausdrucke, ausfülle und wegschicke. Unsere Kinder verlassen sich blind auf uns, auch wenn sie schon 18, 20 und 25 Jahre alt sind – und obwohl einen das manchmal auch nervt, ist das doch auch schön.Im Kindergarten und in der Schule gab es außer mir nur wenige Väter, die ihre Kinder abholten und sich um ihre Probleme kümmerten. Die Befürchtungen der Männer, berufliche Schwierigkeiten zu bekommen, wenn sie Elternzeit nehmen, sind sicher nicht unbegründet. Immer noch. Die Rahmenbedingungen müssen sich ändern. Das ist übrigens seit über zehn Jahren mein Job: Ich erkläre Unternehmen, wie sie familienfreundlicher werden, damit auch Männer Beruf und Kinder miteinander vereinbaren können – nicht nur die Frauen. In den Unternehmen vollzieht sich momentan ein Generationenwechsel. Da kommt einiges in Bewegung.“„Ich wollte das meinen Kindern ersparen“Burkhart Tabel (46), von Kindern getrennt lebend, Friedrichshafen„Meine Eltern trennten sich, als ich zehn Jahre alt war. Ich weiß also, wie sich das anfühlt. Und das wollte ich meinen Kindern immer ersparen. Zwölf Jahre lang war ich Hausmann. Ich habe unsere beiden Söhne großgezogen, meine Frau hat das Geld verdient. Ich hatte kein Problem, die Ernäherrolle abzugeben. Ich saß im Elternbeirat der Schule, organisierte die Bundesjugendspiele mit, übernahm Fahrdienste – ich war immer da.Dann kam 2006 die Trennung, und zwar mit allen Klischees. Sie tauschte die Schlösser aus, stellte meine Sachen in den Regen, wir sahen uns nur noch vor Gericht. Das Scheidungsverfahren läuft noch. Ich mietete mir dann zwei Kilometer entfernt eine kleine Wohnung. Zeitweise klappte es, dass meine Söhne im Wechsel eine Woche bei mir waren und eine bei ihrer Mutter. Vor einem Jahr bin ich an den Bodensee gezogen, der Arbeit wegen. Das ist 700 Kilometer von der Kleinstadt bei Hannover entfernt, wo meine Söhne leben, mit ihrer Mutter und deren neuen Lebensgefährten.Inzwischen sind meine Söhne 13 und 14 Jahre alt. Mein Großer hat lange gekämpft, um bei mir zu bleiben. Er hat sich sogar einen eigenen Anwalt besorgt. Er wollte mit mir nach Süddeutschland ziehen. Das hat er auch dem Jugendamt hier erzählt, aber es hat nichts genützt. Das ‚vollumfängliche Sorgerecht‘ bekomme ich nicht. Richter scheinen immer noch zu denken, nur Frauen könnten Kinder erziehen.Die Jungs besuchen uns alle paar Monate – mich, meine Lebensgefährtin und unsere einjährige Tochter. Ich rufe die beiden sonst regelmäßig auf ihren Handys an. Das macht die Trennung leichter. Aber ich vermisse den täglichen Austausch mit meinen Kindern. Sie nicht um mich zu haben, schmerzt sehr. Manchmal mache ich mir Sorgen, wenn sie sich wochenlang nicht melden, aber wenn ich dann ihre Stimmen höre, ist es, als hätten wir uns gestern zuletzt gesehen.Wenn sie 18 sind, dürfen sie endlich frei entscheiden. Ich sage mir immer: „Unsere Beziehung ist so intensiv, die paar Jahre schaffen wir jetzt auch noch.“