Marc Kayser gab sein Leben als erfolgreicher Journalist auf, um etwas Unmögliches zu schaffen - einen fesselnden linken Thriller. Sein Trick: Er schreibt über sich selbst
Der Freitag: Herr Kayser, für welche Geheimdienste haben Sie denn schon gearbeitet?
Marc Kayser: Haha, für gar keinen. Aber es gab einmal das Ansinnen der Stasi, mich anzuheuern. Damals habe ich in Rostock in so einem betriebseigenen Jugendclub mitgearbeitet. Demzufolge hielt mich die Stasi wohl für umtriebig genug, dass ich etwas für sie leisten könnte. Und die Kerle waren davon nicht abzubringen. Ich habe mich schließlich krankschreiben lassen, damit ich mich nicht mit denen treffen musste.
Hatte das Folgen?
Die haben mir später das Studium an der Humboldt-Uni verweigert, mit dem Hinweis, ich sei ein unsicherer Kantonist.
Sie sind dann Matrose geworden.
Ja, weil ich dachte, dass das ein guter Weg sei, um auf ein Schiff zu kommen und dann in einem Hafen auszu
Sie sind dann Matrose geworden.Ja, weil ich dachte, dass das ein guter Weg sei, um auf ein Schiff zu kommen und dann in einem Hafen auszusteigen und mein eigenes Leben zu leben. Ich hatte mir schon ausgemalt, wo ich am besten absteige: in Kopenhagen. Aber dann blieb meine Tante im Westen – und damit bekam ich keine Genehmigung mehr, das Gebiet der DDR zu verlassen.Wie arbeitet ein Matrose im eigenen Land? Auf Binnengewässern?Na, eben gar nicht. Ich bin ausgestiegen, habe das Abitur nachgeholt, bin zum Hinstorff Buchverlag gegangen und habe Manuskripte verpackt – und sie gelesen. Vor allem die abgelehnten haben mich fasziniert. Von Ulrich Plenzdorf etwa und Jurek Becker. Ich glaube, da habe ich mir dieses Virus ein-gefangen: Ich wollte einmal ein dickes fettes Manuskript schreiben, auch auf die Gefahr hin, dass es abgelehnt wird.Wie Ihre Bücher zeigen, haben Sie es jetzt ja geschafft. Markus Croy, der Held Ihrer Thriller, ähnelt Ihnen in vielem.Außer, dass er als Agent einer Geheimabteilung des Bundeskriminalamts arbeitet! Aber es stimmt, es gibt Parallelen zwischen uns.Welche sind das?Ein gewisses Misstrauen gegenüber Obrigkeiten zum Beispiel. Auch Croy hat ja eine Ost-West-Biografie. Seine wie meine Zurückhaltung gegenüber Machtrankünen ist durch die Kenntnis von zwei Gesellschaftsformen geschärft worden. Das Zweite ist, dass ich wie Croy zu DDR-Zeiten mal in eine amerikanische Austauschstudentin verliebt war. Aber irgendwann ließ die Stasi Laura – im Buch heißt sie Shirley – einfach nicht mehr ins Land. Wie ich heute weiß, wollte sie 1993 einen Job bei den Vereinten Nationen annehmen. Da hat man sie einbestellt und ihr gesagt: „Sie haben tolle Referenzen, aber Sie waren 1986 mit einem Ostdeutschen liiert.“ Die hatten die Stasi-Akten gelesen. Damals ist alles genau protokolliert worden. Sie sehen: Die Schatten der Vergangenheit sind lang. Und in Hexagon kämpft Croy ja nicht nur gegen Terroristen, die Öko- Katastrophen verursachen, sondern auch mit der Frage: Warum holt mich die Vergangenheit ein?Croy ist in einem kirchlichen Kinderheim aufgewachsen.Ich bin nun kein Heimkind. Aber ich habe eine christliche Erziehung genossen, lebe eine gewisse Spiritualität.Keine gute Voraussetzung, um es in der DDR leicht zu haben.Das Leben war ein Spagat zwischen meiner christlichen Erziehung, den Anforderungen der Freien Deutschen Jugend und den Schwierigkeiten, die mir in den Weg gelegt wurden, mich so zu entwickeln, wie ich es wollte. Deshalb finde ich ja erstaunlich, wenn manche Leute bis heute nicht erkennen, dass die DDR ein Unrechtsstaat war. Sie vergessen, wie die jungen Leute damals ausgesiebt wurden. Bei den Recherchen für die Bücher habe ich viel mit Markus Wolf gesprochen, dem Ex-Chef des DDR-Auslandsgeheimdienstes. Der immerhin war so reflektiert zu sagen: Was die mit der Jugend gemacht haben, war Mist. Die haben versucht, die Jungen für ihre Ziele zu verbiegen, aber mit Zwang läuft es einfach nicht.Die kirchliche Doktrin ist mir – wie jede Ideologie – zu unbeweglich, aber das Wertegebäude und der Zusammenhalt innerhalb einer Kirchengemeinde geben einerseits Orientierung und lassen zugleich offen, wohin man sich weiterentwickelt. Ich kann nicht behaupten, jeden Sonntag in die Kirche zu gehen, das brauche ich aber auch nicht. Ich glaube, meine erste eigene Kathedrale war die Hundehütte bei uns auf dem Grundstück. Ich habe mich als kleiner Junge dort in die hinterste Ecke verkrochen, rausgeschaut und mir gedacht: Ihr da draußen geht mich gar nichts an. Für jemanden, der weiß, dass er nie allein ist, ist das kein Problem.Video zu Marc Kaysers Roman Hexagon:Klingt nach Religion als Weltflucht – überraschend für einen Autor, der sein Buch Attac und Greenpeace widmet.Als Kind war ich bestimmt ein Weltflüchtiger. Der bin ich aber nicht mehr. Wenn du als Matrose an Bord eines Schiffes gehst, liebst du eher die Weite und das Meer. Aber die Leute von Attac, Greenpeace und wie sie alle heißen, tun etwas, was mich beeindruckt: Sie stellen das kollektive Wohl über ihre eigenen Interessen. Und meine Romane beeinhalten ja auch Themen, von denen ich hoffe, dass sie beim Leser etwas bewegen: die Verknappung von Rohstoffen, die wirtschaftliche Kontrolle über das Wasser und die Gefahren, die sich daraus ergeben. Demzufolge war es nur folgerichtig, diesen Leuten Hexagon zu widmen.Dann schreiben Sie so etwas wie linke Unterhaltungsliteratur? Dazu stehe ich. Der Unterhaltung wohnt ja immer Haltung inne. Und häufig liegt die Tiefe direkt unter der Oberfläche. Ich vermute nur, dass viele Linke meine Literatur als „Bäh!“ empfinden.Vielleicht, weil sie dem gleichen Zweck dient wie Ihre Hundehütte: der Flucht aus dem Alltag.Für mich sind die Bücher eher ein Mittel, aus der Hundehütte herauszuklettern. Ich kann in ihnen die ungerechte Verteilung darstellen, die es auf der Welt gibt.Sie wollen also eine Botschaft vermitteln?Etwas in Bewegung bringen ist immer gut. Ich wollte aber auch ein Alter Ego schaffen, das meine Gedanken, meine Vorstellung von Kraft, auch von Durchsetzungsvermögen ausdrücken kann. Ich hatte die Sehnsucht, mich mit jemand zu beschäftigen, dem ich Teile meiner Biografie überstülpe, um zu gucken, ob diese Teile nicht zu hinterfragen sind. Ich hätte auch zum Psychologen gehen können, aber ich mag Psychologen nicht so.Hatten Sie Vorbilder?Meine Mutter hat eine Zeit lang als Buchhändlerin gearbeitet und schenkte mir schon früh, was man damals Bückware nannte: Bücher von Ernest Hemmingway, John Updike, Raymond Chandler und Scott Fitzgerald – alles klassische Short-Story-Erzähler. An ihnen hat mich die Sprache fasziniert, vor allem aber die Fähigkeit, eine Erkenntnis allein aus dem Handeln einer Figur herzuleiten, nicht aus irgendeinem Überbau.Braucht die Linke das: mehr Geschichten, weniger Ideologien?Ideologien sind etwas für Menschen ohne eigene Kontur. Ich denke, dass es zu wenig Menschen aus dem Volk gibt, die von sich selbst, ihren Erkenntnissen und Überzeugungen öffentlich erzählen dürfen. Ich werde nie eine Biografie schreiben müssen, denn was ich zu erzählen habe, sagt Markus Croy in den Büchern. Und das illustriere ich mit einem Plot, von dem ich annehme, dass er viele Menschen künftig angehen könnte. Abgesehen davon fühle ich mich von Spannungsliteratur einfach gut unterhalten. Ich mag es, wenn jemand die Welt rettet.Irgendwelche Ideen, wie das im echten Leben geht?Ich denke, dass die Linken ruhig ein bisschen mutiger werden könnten. Schon, um all die Sofasitzer daran zu erinnern, dass dem, was wir hier so genießen, auch die Gefahr des Stillstands innewohnt – und der Vernebelung von Gefahren. Es ist doch ein Skandal, dass niemand etwas von der Finanzkrise geahnt haben will. Dabei wurden vor drei, vier Jahren schon Bücher dazu veröffentlicht – die natürlich kaum eine Chance hatten, in die Medien zu kommen.Es fehlt an der Fähigkeit, solche Themen zu popularisieren.Ich finde, es bräuchte eine neue Demonstrationskultur. In Trias zum Beispiel beschreibe ich die „Revolutionäre Oppositionelle Kraft“, eine militante Splittergewerkschaft, die ausschert aus dem großen Gewerkschaftsbund. Die hat sich schlicht auf die Fahne geschrieben, eingefahrene Abläufe in der Politik zu stören – um zu erfahren, ob sich daraus vielleicht etwas Neues ergibt.Sie haben jahrelang erfolgreich als Journalist gearbeitet. Wieso geben Sie das auf, um Bücher zu schreiben, die viele als Trash bezeichnen würden?Vielleicht nennen wir es lieber Populärliteratur. Ich meine, mit dem Populären kommt man schlicht am dichtesten an die Menschen ran. Wenn ich anfange, eine verquaste Geschichte zu erzählen, dann opfere ich das Thema auf dem Altar der Intellektualität. Ich bin kein Intellektueller, sondern jemand, der aus einem inneren Druck heraus schreibt und die Dinge, die ihm begegnen, in eine Form packen will, die ihm Spaß macht.Und das ging als Journalist nicht?Als Journalist bemächtige ich mich der Geschichten anderer, ich muss mir immer etwas borgen. Darauf habe ich keine Lust mehr. Als Buchautor bin ich allein dafür verantwortlich, was ich schreibe. Wobei ich sagen muss: Ich denke mir natürlich aus, was ich schreibe, aber wenn im Buch ein Kind stirbt, dann stirbt parallel dazu eines in Kenia, in Afghanistan, im Irak. Hätte ich vor einiger Zeit ein Buch über den Mord an zwei gut aussehenden Frauen im Jemen geschrieben, hätte man gesagt: Was ist das für ein Perverser? Heute schlage ich die Zeitung auf und merke: Die Perversität ist Realität geworden.Video zu Marc Kaysers Roman "Trias":So funktionieren Ihre Bücher: Sie knüpfen an realen Geschehnissen an und spinnen sie weiter.Ja, aber mit einer Fantasie, die nachvollziehbar bleibt. Ich frage mich: Was könnte auf uns zu kommen an Katastrophen, an Ereignissen? Und wie könnten sie unser Denken verändern? Im übrigen machen die Leute von Attac und Greenpeace genau das Gleiche. Auch sie schauen ja in die Zukunft und benutzen Geschehnisse in der Gegenwart, um zu warnen.Was würden Sie nicht in einem Buch verarbeiten?Meine Obsessionen. Vielleicht wirkt es auf einige schon obsessiv, wenn ein Autor ein Flugzeug in eine Menschenmenge an den Niagara-Fällen stürzen lässt und 600 Menschen tötet. Nur ist das nicht obsessiv, sondern realistisch.Sie arbeiten an einer Fortsetzung von Hexagon. Was werden wir darin über Sie erfahren?Wahrscheinlich etwas über mein Verhältnis zu Italienern und meine Erkenntnisse über die Verbindungen von Korpsbrüdern in der Regierung – und wohl auch, dass Konflikte nicht nur konfrontativ zu lösen sind.Das Gespräch führte Steffen Kraft