Der österreichische Getränkekonzern Red Bull will mit einem fünftklassigen Leipziger Vorstadtverein in die Fußballbundesliga durchstarten - und erntet massiven Protest
Holger Nussbaum sitzt auf einer dieser Stadion-Sitzschalen, die immer etwas zu klein für menschliche Hintern sind. Er zündet sich eine Zigarette an und zieht mit kräftigen Zügen den Rauch ein. Wie einer dieser Cowboys aus den John-Wayne-Filmen – einer, der ganz hart sein kann, wenn es sein muss. Nach einer Weile schnippt er den Zigarettenstummel auf den Rasen, den Unbekannte mit Unkraut-Ex zerstört haben, weil sie Nussbaum und das, was er gemacht hat, nicht gut finden.
Ob Dietrich Mateschitz auch eine Kippe auf den Rasen schnippen würde? Dietrich Mateschitz, 65, ist Unternehmer aus Sankt Marein in der Steiermark und mit dem Energiegetränk Red Bull zum Milliardär geworden. Er hält 49 Prozent an dem österreichischen Getränkeherstell
kehersteller. Holger Nussbaum, 40, kommt aus Karlsruhe und leitet im Familienunternehmen Nussbaum, das Aufzüge herstellt, die Geschäfte in Ostdeutschland. Nussbaums Firma setzt 110 Millionen Euro im Jahr um, Mateschitz‘ Red Bull AG drei Milliarden. Nussbaum liebt Spezi. Mateschitz trinkt angeblich fünf seiner Energy-Drinks pro Tag. Was verbindet die beiden?Ein fünftklassiger Fußballverein, 13 Kilometer westlich von Leipzig. Holger Nussbaum sponserte bisher den SSV Markranstädt, den Verein seines Wohnortes. Auf den Banden im Stadion, den Trikots der Herrenmannschaften, den Trainingsanzügen und sogar den metallenen Männchen, mit denen Fußballer Freistöße üben – überall prangte der Schriftzug der Firma Nussbaum. In Markranstädt war Holger Nussbaum ein kleiner König.RB muss in den Vereinsnamen Ende Mai hat er sein großes Hobby aufgegeben. Ohne Not, wie er freimütig zugibt, hat er die vier Herrenmannschaften des SSV Markranstädt an Dietrich Mateschitz und Red Bull übergeben. 100 Millionen Euro wollen die Österreicher in den nächsten Jahren in Sachsen investieren, für diese Region eine unvorstellbare Summe. Im Gegenzug hat der SSV dem neuen Verein Rasen-Ballsport Leipzig e.V. das Startrecht für die Oberliga abgetreten. Rasen-Ballsport, kurz RB Leipzig. Red Bull Leipzig durfte der Verein nicht heißen, das verbieten die DFB-Statuten. Partnervereine seien der SSV und Rasen-Ballsport jetzt, heißt es auf der Webseite von Red Bull.„Alle sollen profitieren“, sagt Markus Egger, Geschäftsführer von Red Bull Soccer. Fakt ist aber: Seit dem 1. Juli bestimmen die Österreicher das Bild in Markranstädt. Auf der Webseite präsentiert Red Bull nur die teuren Neuzugänge, nicht die ganze Mannschaft, nicht die alten Spieler des SSV. Das Ziel für diese Saison lautet: Aufstieg in die Regionalliga. Langfristig will man, daraus machen die neuen Geldgeber keinen Hehl, in der Bundesliga mitmischen.Sicher, wer Fußball mag, möchte gute Spiele sehen, möglichst hochklassig. Bundesliga, Champions League – gegen große Ziele gibt es nichts einzuwenden. Fans, deren Herz seit Jahren an einem Verein hängt, beobachten Investitionen wie jene von Red Bull aber mit Sorge. Sie fürchten den Verlust der Vereinsidentitäten, den Ausverkauf von Tradition, das Korrumpieren des Sports durch zu viel Geld. Was hat den Fußballfan Nussbaum bewegt, den Deal einzugehen? Er schaut herausfordernd. In seinem Weltbild ist kein Platz für Sentimentalitäten: „Eine Weltfirma will bei uns einsteigen. Was kann es Besseres geben?“Ein Drittel des Jahresumsatzes von rund 3,1 Milliarden Euro steckt Red Bull ins Marketing. Man sponsort zwei Formel-1-Rennställe, Funsportveranstaltungen, eine Eishockeymannschaft, Fußballschulen in Ghana und Brasilien. Und die Fußballvereine „Red Bull New York“ und „Red Bull Salzburg“, den aktuellen österreichischen Meister. Aber mit dem RB Leipzig wagt man sich in ein besonders schwieriges Umfeld.Im Herbst 2006 war Red Bull schon einmal in Sachsen aufgekreuzt und hatte mit Geld gelockt. 50 Millionen Euro wollte man beim FC Sachsen Leipzig investieren, neben Lokomotive Leipzig der zweite große Verein in der Stadt. Bereits zu DDR-Zeiten waren sich die Anhänger dieser Vereine in tiefer Feindschaft verbunden, man schlug sich auch gern einmal die Rübe ein. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Am zerstrittenen Umfeld scheiterte vor drei Jahren auch ein FC Red Bull Sachsen. Der Konzern zog wieder ab, mit ihm das große Geld und die Träume von gutem Fußball.Seither hat sich kaum etwas getan in Sachsen. Es ist kein Geld da und immer wieder kommt es zu Gewalt. Der FC Sachsen ist seit diesem Jahr insolvent, der VfB Leipzig war es bereits 2005. Die großen Rivalen von einst, Lok und Sachsen Leipzig, spielen dieses Jahr zum ersten Mal wieder gegeneinander – in der Oberliga. Vorbei die DDR-Jahre, in denen man regelmäßig in der höchsten Klasse aufeinander traf. Geblieben sind den Vereinen nur Erinnerungen und die Probleme mit ihren Fans.In Online-Fanforen machen viele enttäuschte Fußballanhänger auch ihrem Unmut über den Deal von Markranstädt Luft. Wüste Beschimpfungen und Red-Bull-Boykottaufrufe findet man zuhauf. „Bei den Fans herrscht Frust. Wenn Red Bull kommt, wird auch der Neid kommen. Ausschreitungen wird es leider geben“, sagt Uwe Herziger. Er ist Fanbetreuer des FC Sachsen und wenn er eines nicht will, dann Gewalt. Deswegen möbelt er mit anderen Sachsen-Anhängern das Vereinsstadion auf, ohne Bezahlung, jeden Tag acht Stunden. Irgendwie müssen schließlich auch bei einem Pleiteverein die Sicherheitsauflagen erfüllt werden. Mit Schleifpapier bearbeitet Herziger einen rostigen Handlauf. Die alten Sitzschalen wollen sie bei Ebay verkaufen. Für zwei alte, sagt er, bekäme man vielleicht eine neue.Bis zur Insolvenz kickte der FC Sachsen im schicken, aber teuren Leipziger WM-Stadion, dem Zentralstadion. Knapp 45.000 Leute passen dort rein. Zu den Heimspielen kamen im Schnitt aber nur 3.000 Zuschauer. Auch RB Leipzig soll irgendwann im Zentralstadion spielen. Nur: Welcher Fan geht dorthin? Der SSV Markranstädt hat bisher einen Fanclub mit acht Mitgliedern, die Blue Boys. Zu den Heimspielen kamen in der vergangenen Saison nur ein einziges Mal mehr als 500 Zuschauer.Petra Tzschoppe ist Sportsoziologin an der Universität Leipzig. Sie sagt, das Beste für Leipzigs Fußball wäre eine Fusion von Lok und Sachsen: „Dieser Impuls, der stark genug gewesen wäre, die tradierten Feindschaften zu überwinden, wurde aber leider bisher nicht gegeben.“ RB eröffne nun die „Chance, eher sach- und ergebnisorientierte Zuschauer zu binden, auch Familien.“Funktioniert und finanziert sich so ab jetzt auch in Deutschland der moderne Fußball? Ein reicher Konzern kommt von außen, verteilt Millionen und fragt, gebunden an ein paar Bedingungen: „Wo wollt ihr hin und wieviel braucht ihr dafür?“ Warum halten sich die Beteiligten so vornehm zurück, sobald die Frage aufkommt, wieso bei dem Einstieg von Red Bull diesmal alles so schnell und glatt ging? Vom ersten Kontakt von Red Bull mit dem SSV Markranstädt bis zum Okay des Verbandes vergingen nur fünf Wochen. Holger Nussbaum sagt: „Hürden gab es grundsätzlich keine.“ Wer mit wem über die Namensrechte gesprochen habe und wer bei den Verhandlungen dabei war, wisse er allerdings nicht.Auch der Präsident des Sächsischen Fußballverbandes, Klaus Reichenbach, spielt seine Rolle herunter: „Manche sagen, wir seinen Geburtshelfer gewesen. Mir war nur wichtig, dass es ein Jugendzentrum geben wird.“ Das greift RB Leipzig nun vom FC Sachsen ab, dem Verein, in den der Betreiber des Zentralstadions, Michael Kölmel, in den vergangenen Jahren viel Geld gebuttert hat, erfolglos. Kölmel, der den Kontakt zwischen Nussbaum und Red Bull hergestellt haben soll. Und der gerade die Namensrechte am Zentralstadion für 30 Jahre an Red Bull verkauft hat.Vielleicht hat die Zögerlichkeit der Akteure auch nur mit Unerfahrenheit zu tun. „So was hatten wir noch nicht in Deutschland“, sagt Udo Ueberschär, Leiter des Fanprojektes in Leipzig etwas ratlos. Woher soll man wissen, wie die Fangruppen aufeinander reagieren, wenn man nicht mal weiß, wer die Fans von RB sein werden?Der Fan als KonsumentMöglicherweise bleibt auch alles friedlich in Sachsen. Dann nämlich, wenn der RB-Fan so ist, wie ihn Ueberschär beschreibt: als „normalen Konsumenten, der abends die Sportschau guckt.“ Und den die Show rund um den Fußball, wie man sie bei Red Bull Salzburg bei jedem Heimspiel zelebriert, nicht weiter stört – solange nur auf erträglichem Niveau gespielt wird.Und damit ist man wieder bei Holger Nussbaum, dem Mann auf der Plastiksitzschale. Er sagt, eigentlich habe man in Markranstädt schon lange Eventfußball wie in Salzburg praktiziert. Mit Torwandschießen und einem Lolli für jedes Kind, das zehn leere Bierbecher eingesammelt hat. Dann schnippt er seine zweite Zigarette in den Rasen und sagt: „Das war nur alles 30 Kisten drunter.“