Sozialisation, Wettkampf-Scheu, Kinder, Benachteiligung: Warum Frauen bis heute weniger verdienen als Männer. Ein Beitrag zur Debatte um die Frauenquote in Aufsichtsräten
In der aktuellen Wahlkampf-Arena des Freitag wird hart um das Thema „Quote für Frauen in Aufsichtsräten“ gerungen. Geschlechter-Quoten sind seit über sie diskutiert wird - was nun schon mehrere Jahrzehnte der Fall ist - ein Reizthema. Die Fronten scheinen verhärtet, was vor allem auch daran liegt, dass sehr viele Emotionen eine rationale Diskussion erschweren. Die Angst: Eine schlecht qualifizierte Frau, die einem gut qualifizierten Mann den Platz wegnimmt. Und das massenweise!
Die "andere Seite" wird emotional, weil sie sich ein bisschen verarscht fühlt: Seit Generationen kämpfen Frauen für Gleichberechtigung und seit Generationen werden sie mit Versprechen abgespeist. Natürlich werde man Frauen stärker berücksichtigen. Auß
n abgespeist. Natürlich werde man Frauen stärker berücksichtigen. Außerdem verpflichte man sich, freiwillig auf "Diversity" zu achten. Ein Mentoring-Programm für Frauen wird es schon richten. Für manche FeministInnen ist das mittlerweile nur noch ein hohles Blabla – Veränderungen gab es in den vergangenen 20 Jahren nämlich so gut wie keine.Doch Artikel 3 im Grundgesetz sagt: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Ohne auf die aktuellen Statistiken zu verweisen, wie viele Väter tatsächlich Elternzeit nehmen, wie viel weniger Männer im Haushalt im Vergleich zu Frauen machen, wie viel Prozent Gehaltsunterschied bei gleichem Schulabschluss (und besseren Abschlüssen der Frauen) heute immer noch im Durchschnitt besteht… Männer und Frauen sind vielleicht vor dem deutschen Recht gleich – aber die juristische Tatsache ist längst keine soziale.Ein Phänomen, viele ErklärungenNicht zuletzt der Blick in die Aufsichtsräte und Führungsetagen deutscher Unternehmen – als Spitze des Eisberges und Lackmustest der Emanzipation – zeigt: Bei einem durchschnittlich besseren Start von der Schule schaffen es Frauen nur schwer oder gar nicht, im Wettbewerb um die gut bezahlten Jobs gegen die männlichen Konkurrenten anzukommen.Erklärungsansätze für dieses Phänomen gibt es viele:- Alles eine Frage der Sozialisation: Bis heute gibt es einen breiten gesellschaftlichen Konsens darüber, was „typisch männlich“ und was „typisch weiblich“ ist. Diese Normen schlagen sich in Erwartungen nieder, Erwartungen, wie sie beispielsweise von Eltern an ein Kind gerichtet werden. Bereits seit 1985 (seit einer Studie von Beck-Gernsheim) weiß man in der Sozialisationsforschung: Das vermeintliche Geschlecht eines Babys veranlasst Eltern zu völlig unterschiedlichen Erwartungshaltungen - ja, zu unterschiedlichen Wahrnehmungen. Die Baby-X-Studie aus den USA hat sogar gezeigt, dass allein das Vertauschen der Stramplerfarben rosa und blau bei Eltern, die ihren Eindruck von ihnen fremden Babys aufschreiben sollten, typisch geschlechtsspezifische Eindrücke hervorbrachte: Den Jungen im rosa Strampler bescheinigten sie mehr Ruhe und Sanftheit, die Mädchen im blauen Strampler wurden als aktiv und temperamentvoll beschrieben.- Frauen scheuen Wettkämpfe: Eine Studie der Universität Pittsburgh hat ergeben, dass Frauen zu Wettkämpfen anders stehen, als Männer. Die Studie zeigt einen weiteren Aspekt, der in die unterschiedliche Präsenz von Männern und Frauen in bestimmten Berufsgruppen hineinspielt: Zurückhaltung, Bescheidenheit, Unsicherheit und Scheu vor Wettbewerb – das alles kennzeichnet heute lebende Frauen im Durchschnitt. Weitere Studien legen nahe, dass sie trotz der besseren Noten die Schule mit einem geringen Selbstbewusstsein verlassen, als ihre männlichen Kameraden.- Die Sache mit der Kinderbetreuung: Frauen haben heute häufig immer noch keine Wahl. Wenn sie Kinder haben möchten, dann ist das für einen Großteil von ihnen, erst recht, wenn sie auf dem Land leben, ein Ausschlusskriterium für Karriere. Der Staat hat es bis in das Jahr 2009 nicht geschafft, flächendeckend Alternativen zur Hausfrauen-Mutter zu schaffen: Bis auf die ostdeutschen Länder und Berlin, sowie einige Großstädte, ist die Kita-Platz-Realität bedrückend. Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung hat ergeben, dass die fehlenden Kita-Plätze Frauen bares Geld kosten. Ursula von der Leyen hatte das Problem erkannt und auf ihre Agenda ganz nach oben schieben wollen - erreicht hat sie wenig bis gar nichts. Stattdessen soll nun ein Familienkredit die Überbrückung der Zeit der Kinderbetreuung durch die Eltern erleichtern - ein schlechter Deal, vor allem für Mütter.- Gleich und gleich gesellt sich gern: „Empirische Studien belegen, dass Personen, die Personalentscheidungen treffen, tendenziell das eigene Geschlecht bevorzugen. Da Frauen auch in Management-Positionen unterhalb der Führungsebene stark unterrepräsentiert sind, besteht damit die Gefahr, dass sich das vorhandene Missverhältnis von Männern und Frauen in Entscheidungspositionen selbst reproduziert.“ (DIW 2007) Mit anderen Worten: Männer werden bevorzugt, selbst bei gleicher Qualifikation. Eine Männerquote - wenn man so will. Diese ist mal höher, mal niedriger - je nach Karrierestufe, versteht sich. Manche deutschen Arbeitgeber stellen Frauen im gebärfähigen Alter ungern ein. Ohne dass darüber offen geredet würde, denn diese Praxis ist rechtswidrig, werden bis heute gleich oder wenig schlechter qualifizierte Männer gegenüber „gebärgefährdeten“ Frauen eingestellt. Solche Informationen gibt es natürlich stets nur hinter vorgehaltener Hand - oder in zahlreichen Internetforen, in denen Frauen und ArbeitgeberInnen anonym ehrlich sein können.Ist die Quote gerecht?Es gibt also viele Gründe für die weiterhin bestehenden Unterschiede im Karriereverlauf von Männern und Frauen und die Liste ist mit Sicherheit unvollständig. In ihrem Zusammenspiel und der gegenseitigen Verstärkung werden sie zu einem Problem, dass zumindest für Norwegens konservativen Wirtschaftsminister Ansgar Gabrielsen 2003 nicht mehr durch freiwillige Selbstverpflichtungen zu lösen schien: Er führte die Quote ein. Im Jahr 2010 wird es eine Konferenz zur Evaluation der Ergebnisse dieses Schrittes geben - bis dahin wartet ganz Europa (aktuelle Gender-News aus Norwegen gibt es derweil hier). Denn die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem „Versuchskaninchen“ Norwegen bedeutet eine Chance, eine Debatte auf rationaler, statt auf emotionaler Basis zu führen: Sind Quoten ein gerechter Weg, Gleichberechtigung der Geschlechter zu erlangen?Wer diese Frage stellt, wird mit dem Vorwurf der Diskriminierung zu kämpfen haben. Dieser beherrscht schnell jegliche Debatte und versucht, QuotenbefürworterInnen moralisch zu entwerten. Doch in Artikel 3 des Grundgesetzes heißt es auch: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ In meiner nächsten Kolumne möchte ich deswegen genauer auf die Frage eingehen, in wie weit Diskriminierungsverbot, Artikel 3 des Grundgesetzes und Quoten miteinander zu vereinbaren wären – oder eben nicht.