Die Off-Produktion „The Power of Pussy“ will den Geschlechterkampf entzerren: Sie überwindet die Grenzen des Theaters und begegnet dem Gender-Trouble mit Selbstironie
Ein BH brennt auf einem Grill. Ehrfürchtig warten alle Anwesenden auf das Ende des Rituals. Kein Kichern im Publikum, kein Stühlerücken, keine Anzeichen von Radikalfeminismus. Die langsam vor sich hin schmelzenden Plastikbügel sind das Abschlussbild des Abends. Wer bei dem brennenden Dessous gleich an eine mentale Verhaftung in den Siebzigern denkt, liegt jedoch nur bedingt richtig. Denn zeitgeschichtlich sind die Performer von „The Power of Pussy“ mehr als flexibel. Auf der Bühne des Off-Theaters „Lofft“ in Leipzig reisen sie zu den Hot Spots eines Diskurses, der einen starken inneren Kontrast aufweist: Einerseits ist er medial ausgetreten wie die Latschen der Öko-Feministinnen in den Achtzigern. Anderseits weiß im Gender-Kosmos k
s kaum mehr einer Bescheid.„Trouble“, wie es bei der Übermutter des Postfeminismus, Judith Butler, im Original der Streitschrift „Das Unbehagen der Geschlechter“ heißt, ist hier mal locker untertrieben. Begriffe wie „queer“ und „Transgender“ sind in den Popkulturjargon eingegangen. Die Palette der sexuellen und geschlechtlichen Identitäten erscheint wie ein riesiger, bunter Selbstbedienungsladen: Weibliche und männliche Eigenschaften sind längst nicht mehr an das biologische Geschlecht gebunden. Es ist doch schön, mag man denken, dass ich als Tomboy oder Sissy, butch oder femme oder in Kombination von allem, fröhlich vor mich hin leben kann. Bloß: Wer kennt sich noch aus in dem ganzen Identitäten-Dschungel?Das freie Theaterkollektiv „Fräulein Wunder AG“ hat sich vorgenommen, Licht in das Dunkel zu bringen. In einer futuristischen Camping-Kulisse stehen drei Frauen und ein Mann in silbernen Glitzeroveralls in einem Planschbecken und beamen sich und das Publikum zu einer „Pussy-Power-Quelle“: Los geht die Reise mit dem Raumschiff „RU 486“. Eine böse Zynikerin, die da sofort an die gleichnamige Abtreibungspille denkt.Strickzeug griffbereitUnter den Sitzen der Zuschauer liegen Tomaten, denn eine Station ist der legendäre Wurf von Sigrid Rüger anno ´68, die einen Genossen mit dem Gemüse bewarf und damit den Südenfall zumindest gemüse-mäßig neu definierte. Auch das Publikum darf aktiv werden: Der einzige Mann in dem ganzen Schauspiel muss als Vertreter des Patriarchats als lebendige Zielscheibe herhalten. Strickzeug mit Anleitung liegt bereit, um sich im schlimmsten Fall die Zeit vertreiben zu können. Auf die Tabula Rasa des Power-Pussy-Universums werden die Stationen der Gender-History projiziert. Bilder von eisern marschierenden Suffragetten. Bilder von feiernden Damen, die mit dem Frauenwahlrecht einen der ersten großen Siege der Frauenbewegung errungen haben. Eine Off-Stimme erzählt, was Vorreiterinnen wie Emmeline Pankhurst so alles Cooles gemacht haben. Denn cool soll die Revue ganz im Sinne eines Post-Post-Feminismus sein. Und, in enger, schwesterlicher Umarmung: bildend.Die „Fräulein Wunder AG“ ist der klassische Ausbrecher aus einem Universum, das Hoch- und Popkultur, Kulturvermittlung und Unterhaltung, trennt. Dokumentarische Elemente wie Umfragen auf der Straße mit blonder Rauschengel-Perücke à la Alice Schwarzer werden mit performativen Motiven kontrastiert. Eine Mitwirkende zersticht langsam eine Dose mit Tomaten auf ihrem Kopf, während eine andere in der Rolle der Andy-Warhol-Mörderin Valerie Solanas Auszüge aus dem „Manifest der Gesellschaft zur Vernichtung der Männer“ liest. Auch Feminismus-Expertinnen kommen in kleinen Filmen live zu Wort: „Wonderwoman“ aus der gleichnamigen TV-Serie wird mit Statements zum aktuellen Diskus synchronisiert.Dabei kommt die Trash-Alliteration The Power of Pussy. Eine unendliche Geschichte des Feminismus im Titel kämpferischer daher, als die Produktion es letztendlich einlöst. Das mag zunächst wie eine Schwäche klingen, ist aber eine große Stärke. In Wahrheit geht es vor allem um eines: künstlerische Grenzen zu überwinden. Paradigmen der heteronormativen Gesellschaft mit Burlesque-Einlagen zum Rap der selbsternannten Akademikerinnen-Schlampe „Lady Bitch Ray“ zu unterlaufen.The Power of Pussy erschafft eine ganz eigene Bühnen-Ästhetik, die dem Regietheater zwar den lackierten Mittelfinger zeigt, aber weitestgehend ohne die klassischen Körperflüssigkeiten-Sauereien des oftmals bemüht provokanten Avantgardetheaters auskommt. Selbst die drastische Mutter-Mythos-Unterwanderung einer Performerin, die nackt, mit rotem Schamhaartoupé eine Tomate gebährt, erscheint wie eine Neubelebung, ein theatraler Reclaim des Klischees. Selbstironie ist hier der Schlüssel. Die Subversion ist die dabei deutlich erfrischender als das dokumentarische Material. Dies liegt aber in der Natur der Sache: Wer sich dem Dauerbrenner-Thema „Gender“ annimmt, der wird nicht viel Neues erzählen können. Der braucht vor allem kreative Inszenierungsideen.Zum Schluss hin dürfen alle daran haptisch partizipieren: Als lebendige Pornodienstleister veräußern die Performer primäre und sekundäre Geschlechtsteile, indem sie sich Kartons mit Löchern an den passenden Stellen umhängen. Wer möchte, darf hineingreifen. Damit wird auch die letzte künstlerische Grenze gesprengt: Theater zum Anfassen.