In Berlin trafen sich Software-Tüftler zum Music Hack Day. 24 Stunden bastelten sie an neuen Musik-Anwendungen fürs Netz. Und dachten über die verlorene Sinnlichkeit nach
Das Sonnenlicht flutet durch große Scheiben, auf der Spree fahren Boote vorbei. Doch schnell werden die Vorhänge halb zugezogen. Im vierten Stock des Veranstaltungszentrums "Radialsystem V" am Spreeufer in Berlin-Friedrichshain haben sich etwa 50 Menschen zum "Music Hack Day" versammelt.
Zwei Frauen sind dabei. Ansonsten Männer, von Anfang Zwanzig bis in die Vierziger. Alle Anwesenden nennen sich hier nur beim Vornamen, Nachnamen existieren in der Welt der Software-Tüftler nicht. Sind das alles Hacker? "Nicht im klassischen Sinn", sagt Katharina von Soundcloud. Sie seien ja nicht hier, um sich irgendwo reinzuhacken, Spionageprogramme zu verstecken oder Server lahmzulegen. Hier geht es darum, mit Musikanwendungen zu experimentieren. "Hacken" versteht man eher als entwick
n oder Server lahmzulegen. Hier geht es darum, mit Musikanwendungen zu experimentieren. "Hacken" versteht man eher als entwickeln oder programmieren. Die Idee: Die Teilnehmer haben 24 Stunden Zeit, neue Projekte und Prototypen zu entwickeln, die sie am nächsten Tag präsentieren. Nachdem der erste "Music Hack Day" im Juli in London ein großer Erfolg war, trifft man sich nun zum zweiten Mal in Berlin.In dem Raum wimmelt es von Laptops, Kabel liegen herum. Dazwischen stapeln sich halbleere Pizzakartons. Über die Bildschirme ziehen Code-Zeilen oder abstrakte Graphiken. Die Teilnehmer arbeiten in kleinen Gruppen. "Denn niemand kann alles", sagt Katharina. Hin und wieder erklingen schräge elektronische Geräusche, die auch mal mit einem spontanen Klatschen kommentiert werden.Ein gemeinsamer TraumDie Teilnehmer kommen aus den USA, Großbritannien, Schweden, Polen, Holland und allen Teilen Deutschlands. Sie verständigen sich auf Englisch. Die meisten von ihnen arbeiten als Softwareentwickler für Firmen, die kaum jemand kennt, der nicht zur Szene dazugehört. Eines Tages wird vielleicht eine dieser Firmen so groß sein wie heute Youtube oder Facebook. Diese Hoffnung verbindet die Anwesenden, es ist ihr gemeinsamer Traum. Der "Hack Day" soll eine Spielwiese sein, auf der irgenwann auch mal eine öknomisch attraktive Idee entstehen soll. Bisher verdient kaum jemand Geld. Martin von RJDJ aus London sagt: "Wir machen im Augenblick kein Geld. Aber wir haben Investoren, die bezahlen unsere Gehälter und die Reise zum Hack Day“. Es ist das klassische Start Up Konzept.„Ziemlich nerdig hier, oder?“ sagt David von Soundcloud. Er hat das Berliner Treffen organisiert. Aber was ist das eigentlich, ein Nerd? Jemand, der nicht auf sein Äußeres achte in der realen Welt. Der keinen Sinn für Mode habe, sagt eine junge Frau aus Schweden. Sie ist Mitte Zwanzig, sehr dünn, kurze wasserstoffblonde Haare und bleiches Gesicht. T, ein Entwickler aus Kreuzberg, der viel Zeit in der C-Base, dem Berliner Treffpunkt der Szene verbringt, sagt, nicht alle hier seien Nerds. Aber man erkenne sie. "Du kannst sie riechen." Wie er die Leute hier nennen würde? Technikbegeisterte Musikliebhaber. Geeks eben, sagt die Schwedin.Woran hier gebastelt wird, kann man bei der Präsentation am nächsten Tag sehen. Die Hacker werden unruhig. Wer will als erstes, fragt David. Ein junger Mann tritt vor. Er hat mit dem neuen Touch-Pad von Apple experimentiert. Wenn man es mit einem Finger berührt, erscheint ein orangener Vogel vor Wolkenhintergrund. Dazu ein greller Computerton. Nimmt man zwei Finger sind es zwei Vögel. Bis zu elf Vögel können abgebildet werden. Applaus im Publikum.Danach geht der nächste Software-Bastler nach vorn, Macbook in der Hand. Er hat ein Spiel entworfen. Zwei Spieler treten gegeneinander an. Der erste gibt eine kurze Tonfolge vor. Der zweite Spieler muss versuchen, die gleiche Sequenz nachzumachen. Doch es sind keine normalen Töne, sondern Geräusche aus dem Street Fighter-Spiel. Auch dafür gibt es freundlichen Applaus.Codes werden untereinander weitergereichtDann ist Charlie aus Utrecht dran. Er arbeitet für die Webseite Cloudspeakers, die Rezensionen gerade erschienener Alben im Internet zusammensucht. Charlie sieht in etwa so aus, wie man sich einen Surfer vorstellt: schulterlange blonde Locken, blaue Augen, groß und kräftig. Seinen Hack nennt er „Last Echos In The Cloud“. Ein klassisches "Mashup", wie sie es hier nennen – etwas aus verschiedenen Inhalten neu Zusammengesetzes. Die Anwendung ist für Musikliebhaber gedacht, die bereits ein Profil bei Last.fm haben. Charlies Programm sucht Informationen zu den Lieblingsbands bei Seiten wie Cloudspeaker und Echonest. Dass die unterschiedlichen Webseiten miteinander kompatibel sind, dafür sorgen die Programmierer auf solchen Treffen. Die Schnittstellen zwischen den Programme werden freigegeben. Begeistert sagt Charlie: "Wenn man ein Problem hat, dann läuft mal eben mit seinem Laptop rüber, zu demjenigen, der die Seite programmiert hat. Der gibt einem dann die richtigen Codes."Später kommt T an die Reihe. Er hat mit einem Freund schon vor Jahren an virtuellen Klangräumen getüftelt. Daran hat er jetzt weiter gearbeitet. Die Vorführung ist beindruckend, auch wenn noch nicht ganz klar ist, wohin das führen könnte. T hat einen virtuellen Raum programmiert, man kann mit einem normalen Telefon anrufen, sich dort mit anderen zum Gespräch verabreden – und je nach Position im virtuellen Raum wird auch die eigene Telefonstimme und diejenigen der anderen angepasst. Wenn man sich virtuell bewegt, klingt es mal näher oder weiter weg, abgewandt oder zugewandt.Die verlorene Sinnlichkeit zurückholenJakob aus München hat an einer Visualisierung von Tönen gearbeitet. Auf dem Bildschirm sind einfache gelbe, blaue und grüne Linien vor schwarzem Hintergrund zu erkennen. Ein Punkt bewegt sich auf diesen Linien, verbindet einzelne Noten. Mit der Maus kann man die Form die Linien hin und herziehen. Sie haben drei Dimensionen. Jakob ist Mitte 20, sucht gerade ein Praktikum. Worum geht es ihm? „Wenn ein DJ mit seinem Laptop Musik macht und die Leute dazu tanzen, dann fehlt da etwas“. Wir müssen seine Performance sichtbar machen. Irgendwie visualisieren. Es geht ihm darum, die verlorene Sinnlichkeit in das digitale Zeitalter wieder einzuführen. Dabei flackern seine Augen. Er vergleicht das hier mit den Experimenten früher Musiker, als diese aus einer klassischen Gitarre eine E-Gitarre getüftelt haben. Nur das hier sei ein viel größerer Schritt. "Das hier ist die Zukunft."Am Ende wirken alle Musik-Hacker zufrieden, schon bald wollen sie sich wieder treffen. Der nächste Music Hack Day findet in Kürze in Amsterdam statt.