Der Freitag: Als ich Sie neulich erwähnte, hieß es: „Die Courths-Mahler des Ostens!“ Ist das für Sie beleidigend?
Elfriede Brüning: Courths-Mahler hat schon meine Mutter abgelehnt. Sie las lieber Clara Viebig.
Mein Vater hatte einen winzigen Tischlerbetrieb. Ich konnte nur bis zur 10. Klasse in die Schule gehen, wollte aber unbedingt Journalistin werden. Um Volontärin bei einer Zeitung zu werden, fehlten mir Verbindungen. Ich kam in einem Pressebüro unter, ohne Bezahlung, lernte mit drei Fingern tippen und musste Zeitungen ordnen. So fiel mir das 12-Uhr-Blatt in die Hand. Da waren junge Mädchen abgebildet, die sich an einer Schönheitskonkurrenz beteiligten. Darüber müßte man schreiben, dachte ich. Ich war 15 und bewarb mich
eteiligten. Darüber müßte man schreiben, dachte ich. Ich war 15 und bewarb mich. Nein, aber der Artikel kam.Als Reporterin suchten Sie oft die Selbsterfahrung. 1952 haben Sie für einen Roman über die Studenten der Arbeiter- und Bauernfakultät ein halbes Jahr deren Leben geteilt. Und als sie Regine Haberkorn schrieben, arbeiteten sie in einem Betrieb. Lange bevor die Partei die Autoren dazu aufrief. Wer das für wichtig hielt, tat es schon früher. Ich konnte nur so die Betriebsatmosphäre bewältigen. Aber zurück zur jungen Reporterin. Wie schafften Sie es ins große Feuilleton?1930 schrieb ich die Erzählung „Über Sonntag“ und sagte mir: Die muss ins Und das klappte?Man lud mich in die Redaktion ein und Hildenbrandt sagte, er könne die Geschichte nicht bringen. Es ging um zwei jungen Menschen, die zelteten, also die Nacht miteinander verbrachten. Plötzlich rief er doch: „Chef vom Dienst, hier – für die Sonntagsausgabe!“ So erschien die Sache neben Beiträgen von Thomas Mann und Alfred Polgar. Ich ging wie auf Wolken und dachte, jeder müsste mir meine Berühmtheit ansehen. „Über Sonntag“ ist ein Meisterstück. Im hart skandierenden neusachlichen Stil, den Sie später leider aufgaben, beschrieben Sie die selbstbewusst organisierte Freizeit armer Berliner. Die Leser lauern, ob die beiden zusammen schlafen. Das Mädchen weigert sich und erkennt über Nacht, dass sie den Mann doch nicht mag. So erringt sie die für proletarische Frauen so schwierige Souveränität über ihren Körper. Wie kamen Sie 1932 zum Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller?Es gab jede Nacht Straßenschlachten zwischen SA und Rotfrontkämpferbund, dauernd wechselte der Reichskanzler. Mit 20 trat ich der KPD bei. Damals war auch Wirtschaftskrise. Meine Mutter versuchte, mit einer Leihbibliothek unser Budget aufzubessern. Die Kunden fanden, wir hätten nicht die richtigen Bücher. Arbeiterschriftsteller wollten sie: Karl Grünbergs Wie erlebten Sie den Einschnitt von 1933?Der Bund wurde verboten, wir verloren die Verbindung. Aber einige gingen zur Bücherverbrennung, um diese Schandtat zu bezeugen. Wir hofften auch, uns dort wieder zu treffen. Nun machten wir illegal weiter, trafen uns nur in kleinen Gruppen, meist in der Umgebung Berlins und lasen uns Erzählungen, Satiren, Gedichte über das Leben im Dritten Reich vor. Das Beste wurde nach Prag gebracht, wo sich Wieland Herzfeldes Malik-Verlag installiert hatte. Ich war auch Kurierin. Dort traf ich mich mit meiner großen Liebe, Heinz Pohl, Jude und Kommunist, ehemals Chefredakteur vonJohannes R. Becher, der den Bund vom Ausland leitete, riet, bei nicht gleichgeschalteten Verlagen zu publizieren. Ich verschaffte mir einen Reportageauftrag über eine Segelflugschule auf der Kurischen Nehrung. Als ich sah, dass die jungen Leute schon auf den Krieg getrimmt wurden, schrieb ich dem Redakteur, dass ich das nicht machen könnte. Wieso, schrieb er zurück. Vorläufig segeln die noch lustig durch Wind und Wolken! Schildern Sie die herrliche Landschaft, das wollen die Leute lesen! Aber ich habe mich lieber bei den bettel-armen Fischern umgesehen. Daraus ist Ihr Roman Ich hatte das Buch schon fast vergessen.Es enthält aber kein faschistisches Gedankengut, liest sich eher wie sozialistischer Realismus, allerdings mit einer charakteristischen Qualität Ihres Schreibens: Es gibt kein Happy End, aber die Protagonistin entwickelt mehr Selbständigkeit. Erstaunlich, dass das auch als Fortsetzungsroman erschien. Man konnte etwa bis Kriegsanfang noch schreiben. Die Zeitungen brachten so etwas lieber als die Blubo-Lektüre. Was war Blubo?Blut und Boden. Die Freunde vom Bund meinten zur mir: Du kennst doch das Leben und Treiben um Berlin. Schreib doch ein unbeschwertes Sommerbuch! Ich erfand ein Mädchen, das sich von ihrer Gruppe löst und einem älteren Mann zuwendet, aber doch zur Gruppe zurückgeht. Das Buch wurde 1935 sehr günstig aufgenommen. Nur ein Naziblatt schrieb von Asphaltliteratur à la Irmgard Keun.Bei uns hatte sich ein Spitzel eingeschlichen. Im Oktober 1935 wurden wir wegen Vorbereitung zum Hochverrat verhaftet. Der Gestapobeamte sagte: „Die Figuren aus Ihrem Buch kennen wir, die sitzen heute alle in Moabit.“ Ich war erschrocken. Da der Spitzel mich nur einmal gesehen hatte, konnte ich behaupten, zufällig in die Gruppe gekommen zu sein und wurde nicht angeklagt, musste aber ein halbes Jahr in Gestapo-Schutzhaft.Sie durften aber schreiben. Zur Tarnung schrieb ich einen harmlosen Liebesroman, musste das Geschriebene aber jeden Tag abliefern. Als ich entlassen wurde – 1936, im Jahr der Olympiade, als alles ein bisschen lockerer war – da brachte der Berliner Schützen-Verlag Immerhin verteidigen hier zwei Frauen ihren Verlobten gegenüber vehement die Absicht, als Ehefrauen arbeiten zu gehen. Das widersprach dem Frauenbild der Nazis. War das Buch ein Erfolg? Ja, eine Zeitung brachte sogar mein Foto: die junge hoffnungsvolle Autorin. Die ging aber der dunkelsten Zeit ihres Lebens entgegen. Alle meine Freunde waren emigriert oder inhaftiert. Ich litt auch sehr darunter, dass die Frauen so an den Rand gedrückt waren. Im Schützen-Verlag gab es einen Lektor, Joachim Barckhausen, der dort für das Erscheinen des Buchs gesorgt hatte. Wir haben 1937 geheiratet. Er war kein Kommunist, hatte aber dem Weltbühnenkreis angehört.Wie ging es 1945 weiter?Bechers „Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“ schlug mir vor, das Feuilleton der Zeitung In einem Brief schildern Sie die Lage der Autoren der inneren Emigration nach dem Krieg. Warum trat Becher den Bundmitgliedern, die zu jung und arm gewesen waren, um zu emigrieren, reserviert entgegen?Er buhlte um die bürgerlichen Schriftsteller. Wir übrig gebliebenen Bund-Mitglieder galten jetzt als Proletkult. 1945 gründeten wir einen Verein sozialistischer Schriftsteller. Die berühmten Bund-Autoren wie Anna Seghers und Ludwig Renn kamen nicht dazu. Sie nahmen uns nicht ernst. Mit Misstrauen begegneten uns auch die sowjetischen Kulturoffiziere. Wieso hatten wir überlebt? Trotzdem wollten wir nun endlich die Wahrheit schreiben, erlebten aber bald, dass es wieder Tabus gab: die Vergewaltigungen, Demontagen, der Schwarzmarkt. Optimismus war gefragt.Sie haben dann doch interessante Reportagen geschrieben. Unter anderem für Weil das Flüchtlingsthema tabu war, ist vergessen, dass diese Zeitschrift existierte, in der Sie Missstände benennen konnten. Wie kam Ihr literarischer Erfolg?Ich bekam die Briefe der hingerichteten Widerstandskämpfer Hilde und Hans Coppi in die Hand. Hilde, die im Gefängnis ihren Sohn gebar, durfte leben, so lange sie stillen konnte. Daraus entstand Damit du weiterlebst. Im Krieg hatte ich zudem an einem Text gearbeitet über eine Frau, die sich bewusst ein Kind anschafft, den Vater aber ablehnt. Ein Kind für mich allein spielt dann im Nachkriegsberlin. Wir hatten ja nun großen Überschuss an Frauen, die Lebenssinn suchten. Das war nicht selten ein Kind. Reclam brachte jahrelang 20.000 Exemplare heraus.Ein Longseller wurde auch Kurz vor dem 17. Juni 1953. Es wurde geschimpft über das Essen, die schlechte Verkehrsverbindung. In einigen Abteilungen wurde schon gestreikt. Ich suchte vergeblich den positiven Helden. Eine Hausfrau entschließt sich, gegen den Willen ihres Mannes zu arbeiten, weil sie Anschaffungen machen will. Sie findet Freude an der Arbeit, obwohl der Mann fremd geht und der 13-jährige Junge Sorgen macht. Zum Schluss renkt es sich wieder ein. Ausnahmsweise ein Happy End? Man hat mir trotzdem viel an dem Roman angekreidet. Ich hätte nicht genug über Planerfüllung geschrieben. Mich interessierten immer mehr die zwischenmenschlichen Probleme, die im Arbeits- leben entstanden. Ehebruch am Arbeitsplatz war im sozialistischen Roman nicht unbedingt erwünscht, obwohl er wegen der Männerknappheit oft vorkam. Ihr Korrespondenzband enthält Briefe von Frauenpolitikerinnen, die die sozialistische Moral durch das Buch gefährdet sahen. Deshalb wurden meine Bücher oft kleinbürgerlich genannt. Wir Frauen galten nur als Unterhaltungsschriftstellerinnen: Marianne Bruns, Hildegard Rauchfuß und ich. Die männlichen Kollegen, die schrieben die große Literatur. Die Betriebsromane lasen sich aber oft wie Leitartikel.Die DDR war sicher zunächst ein Staat, wie Sie ihn gewünscht hatten. Wann kamen Ihnen Zweifel?1968, beim Einmarsch in die CSSR. Ich war mit Berta Waterstrat bei Freunden in Westberlin. Die Diskussionen waren uns so peinlich, dass wir bald gingen und uns fragten, ob wir im Osten bleiben. Dann dachten wir an die vielen Nazis, die im Westen Positionen hatten. Gestört hat mich aber auch, dass sich die DDR politische Gefangene gegen Devisen abkaufen ließ.1990 publizierten Sie Tonbandprotokolle von Frauen, die den Gulag überlebt hatten. Einige kannten Sie lange. Die durften über ihre Erlebnisse nicht erzählen. Aber warum waren sie nicht in den Westen gegangen und hielten trotzdem an der Freundschaft zur Sowjetunion fest? Sie lobten die sowjetische Bevölkerung, die ihnen immer geholfen habe zu überleben. Haben Sie jemals bedauert, eine Frau zu sein?Eigentlich nicht.Heute sagen noch viele Künstlerinnen, dass sie es schwerer hatten als Männer.Das war früher auch so. Auch zu DDR-Zeiten. Das Gespräch führte Sabine Kebir