Eine gewöhnliche Uhr eines relativ unbekannten Herstellers verkaufte sich in den USA unlängst millionenfach und es ist zu erwarten, dass wir diesen Ansturm bald auch in Europa erleben werden. Ihr Erfolg ist weder dem Design noch einer gigantischen Anzeigenkampagne geschuldet, sondern der Tatsache, dass sie zurzeit die Lieblingsuhr des amerikanischen Präsidenten ist. Barack Obama bekam den Chronometer, der ursprünglich für die Mitglieder des US-Geheimdienstes designt worden war, von einem seiner Bodyguards zum Geburtstag geschenkt.
Obama trug die Uhr unter anderem bei seiner Nominierung zum Kandidaten der Demokraten in Denver, bei seiner Siegesrede in Chicago, am Tag seiner Vereidigung und beim G20-Gipfel in Kopenhagen. Nachdem das Modell Jorg Gray 6500, das umgerech
Übersetzung der gekürzten Fassung: Christine Käppeler
s umgerechnet rund 300 Euro kostet, von Jeff Stein, einem Anwalt und Amateur-Uhrmacher, identifiziert worden war, stand seinem kommerziellen Erfolg nichts mehr im Weg. Nicht unbedingt aufgrund seiner Qualitäten als Uhr – es ist batteriebetrieben, kann nur die Zeit anzeigen und als Stoppuhr verwendet werden – sondern aufgrund dessen, was jetzt mit ihr verbunden wird. Wer eine solche Uhr besitzt, spielt in einer Liga mit dem mächtigsten Mann der Welt. Und welcher Mann möchte das nicht?Warum kaufen wir immer noch Uhren?Uhren sind heutzutage ein großes Geschäft. In den vergangenen fünf Jahren ist die Branche enorm gewachsen. Die Schweizer Uhrenindustrie etwa konnte ihren Exportumsatz zwischen 1986 und 2008 von rund 2,8 auf 11,5 Milliarden Euro steigern. Und das, obwohl die entscheidende Funktion einer Uhr, die Angabe der Zeit, durch die Erfindung des Mobiltelefons und des BlackBerrys eigentlich überflüssig geworden ist. Warum also kaufen wir sie immer noch? Warum überreichen Politiker ihren Gastgebern bei Staatsbesuchen immer noch teure Uhren? (Silvio Berlusconi muss Tony Blair im Laufe der Jahre ein gutes Dutzend überreicht haben). Weshalb besaß Milliardenbetrüger Bernie Madoff 17 Rolex-Uhren und sieben von Cartier? Warum sind die Uhren reicher Fußballer bei Dieben beliebter als ihre Sportwagen? Warum schmücken Männermagazine wie Esquire und GQ (in Deutschland auch die Magazine der Süddeutschen Zeitung und der Zeit; Anmerkung der Red.) ihre Seiten mit Hochglanzanzeigen auf denen A-Promis Uhren tragen, die mehrere tausend Euro kosten?Es ist noch gar nicht so lange her, da war es üblich, dass ein junger Mann an seinem 21. Geburtstag von seinem Vater eine vergoldete Uhr überreicht bekam und damit hatte es sich dann. Niemals wäre es einem Mann in den Sinn gekommen, er könne noch zwei, drei andere benötigen, bevor er 30 ist. Und ihm wäre erst recht nicht der Gedanke gekommen, er könne sich an seinem 40. über ein elegantes Holzkästchen mit filzverkleideten kleinen Fächern für die Aufbewahrung seiner „Uhrensammlung“ freuen.Die Tatsache, dass Männer immer noch Qualitätsuhren kaufen und schätzen ist sehr beruhigend für eine Branche, die in den Siebzigern dachte, ihr letztes Stündlein (bitte entschuldigen Sie dieses Wortspiel) hätte geschlagen. Die Erfindung der Quarzuhr (sowohl in analoger als auch digitaler Form) wurde 1967 zunächst als eine grandiose technische Errungenschaft gepriesen. Doch schon bald wurde sie als die erste ernstzunehmende Konkurrenz für die traditionelle Armbanduhr betrachtet, seit diese nach dem Ersten Weltkrieg ihren Siegeszug angetreten hatte. Junge Hipster sehnten sich nun nach billigen Casio-Uhren mit einer leuchtenden LED-Zeitanzeige, dazu kam die weltweite wirtschaftliche Flaute in den Siebzigern, beides zusammen bedeutete eine Katastrophe.Es sollten ein paar Jahre der Nabelschau vergehen, bevor einige innovative Unternehmer mit einer neuen Designphilosophie und einem neuen Marketingprogramm die Branche wieder zu neuem Glanz verhalfen. Diese Pioniere entschieden, dass eine Uhr nicht nur ein Zeitmessgerät sei, sondern ein Mini-Meisterwerk, in dem sich äußerstes handwerkliches Können, Tradition, fortschrittliche Technik und Innovation vereinen. Eine Uhr sollte nun so etwas wie der Maßanzug aus der Londoner Savile Row, der Sportwagen von Ferrari, die Mitgliedschaft im legendären New Yorker Mayfairs Club und ein NASA-Spaceshuttle in einem für das Handgelenk sein.Männeruhren sollen einen Hauch von Gefahr vermittelnUhren können trotz ihrer Größe und ihrer Unauffälligkeit sogar einen Hauch von Sport, Gefahr und Abenteuer vermitteln. Vor 25 Jahren unterzeichnete der Uhrenhersteller Tag Heuer einen Vertrag mit McLarens Formel-Eins-Rennstall. Schlagartig wurden die Uhren mit einer der glamourösesten und gefährlichsten Sportarten in Verbindung gebracht. Welcher Mann wollte daran nicht teilhaben – auch wenn sein Hockenheimring die Londoner U-Bahn-Linie Circle Line war?Die Prognose, der technische Fortschritt werde die Uhr zum Aussterben verdammen, hat sich nicht bewahrheitet. Männer besitzen heutzutage Mobiltelefone, BlackBerrys und Uhren, letztere wurde nicht durch erstere ersetzt. Uhren sind eines der wenigen Accessoires, mit denen der Träger seinen wahren Charakter, oder das, was er dafür hält, zur Schau stellen kann. Je nachdem, ob er eine Audemars Piguet oder eine Swatch-Uhr trägt, kann er zeigen, zu welchem Club er gehört. Er kann sich ein wenig der Extravaganz hingeben, ohne Kritik auf sich zu ziehen. Uhren sind der einzig wirklich anerkannte Schmuck für Männer. Armreife wirken oft fragwürdig, Siegelringe zwielichtig, Ohrstecker sind ein Tabu und Goldketten sehen lächerlich aus. Eine Rolex oder eine Jaeger LeCoultre hingegen ist immer salonfähig, ob sie nun aus Gold, Platin oder Stahl ist.Es gibt nur zwei Dinge, mit denen ein Mann wirklich angeben kann: sein Auto und seine Uhr. Das protzige Auto zieht zunehmend den Kürzeren. Nicht nur, weil es groß, teuer, gefährlich und schädlich für das Klima ist, sondern vor allem auch, weil es einen anderen entscheidenden Nachteil gegenüber der Uhr hat: Es steht meist in der Garage, wo es keiner sieht. Eine Uhr hingegen ist ein Porsche, den man in jedes Meeting mitnehmen kann.Die Wirtschaftskrise hat dazu beigetragen, dass sich der Geschmack der Männer verändert hat. Sarah Carlsen, Pressesprecherin von Cartier, hat festgestellt, dass die Zeiten, in denen die Kunden mit ihren Uhren protzen wollten, vorbei sind. „Die angeberischen Käufer, die wir noch hatten, als auf dem Markt die Kurse stiegen, gibt es längst nicht mehr“, sagt sie. „Wir verkaufen heute an Männer, die einen klugen Kauf tätigen wollen. Sie möchten zu der inoffiziellen Liga jener Männer gehören, die die Fertigung einer exquisiten Luxusuhr zu schätzen wissen.“Eine Uhr für 8 Millionen EuroUnd wo wir gerade über kluge Käufe sprechen: Es stimmt, dass eine Uhr ein lebenslanger Begleiter sein kann, wenn man sie sorgfältig auswählt. Ein Grund, weshalb Uhren auf Auktionen so gefragt sind, ist das Bewusstsein der Käufer dafür, dass die Qualität einer gebrauchten Uhr eine sichere Geldanlage ist. In den Neunzigern wechselte bei Sotheby’s eine Patek Philippe Henry Graves Superkompensationsuhr aus den Dreißigern für eine Rekordsumme von umgerechnet rund 8 Millionen Euro den Besitzer.Doch es geht, natürlich, auch um die einfachen Freuden. Ich besitze fünf Uhren – eine Jaeger LeCoultre Reverso, eine Vintage Rolex Submariner aus den Sechzigern, eine Tag Heuer Carrera, eine Manometro von Guiliano Mazzuoli und eine Swatch – und alle fünf sind mir gleich wichtig. Und, ob Ihnen das nun gefällt oder nicht, das Modell, das Sie tragen, sagt immer etwas über Sie aus. Dabei geht es nicht unbedingt um den Preis. Das Beispiel Obama beweist, dass man auch als mächtigster Mann der Welt eine Uhr tragen kann, die weniger als 300 Euro kostet. Diego della Valle, milliardenschwerer Eigentümer des Modeimperiums Tod’s, trägt stets eine bescheidene, aber gut designte Swatch-Uhr.Egal ob eine Uhr nun 50 oder 5.000 Euro kostet, Männer registrieren die Uhren anderer Männer gerade so, wie Frauen sich die Schuhe anderer Frauen ansehen. Das liegt in unserer Natur. Und die Uhrenindustrie ist froh darum.