Die Presseverlage brauchen dringend neue Erlösquellen. Wie wär's mit einem neuen "Leistungsschutzrecht"? Wer Online-Texte ausdruckt, muss blechen. Wird das Surfen nun bürokratisiert?
Seit der Medienmogul Rupert Murdoch für seine Online-Medienangebote das Ende des Free Content ausgerufen hat, ist auch in Deutschland Bewegung in die Debatte um Bezahlinhalte gekommen. Angetrieben von Springer-Vorstand Mathias Döpfner suchen die Verleger nach Wegen, sich neue Erlösquellen zu erschließen.
Im Rahmen einer Podiumsdiskussion der grünennahen Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin stellte Springers Chef-Öffentlichkeitsarbeiter Christoph Keese, selbst gelernter Journalist, Überlegungen vor, die ein gemeinsamer Ausschuss der beiden Verlegerverbände VDZ und BDVZ erarbeitet hat. Um den Qualitätsjournalismus zu retten, möchten die deutsche Zeitungsverleger nämlich eine Art „VG Verlage“ einführen, eine Verwertungsge
VDZ und BDVZ erarbeitet hat. Um den Qualitätsjournalismus zu retten, möchten die deutsche Zeitungsverleger nämlich eine Art „VG Verlage“ einführen, eine Verwertungsgesellschaft, die von gewerblichen Nutzern Gebühren für die Nutzung der Inhalte ihrer Mitglieder, sprich: der Presseverlage, verlangt. Wenn also zum Beispiel ein Bankmitarbeiter zur Vorbereitung auf einen Kundentermin sich einen Artikel aus der Online-Ausgabe der FAZ ausdrucke, erläutert Keese, werde künftig eine kleine Gebühr fällig.Wie man allerdings gewerblich von privaten Nutzern abgrenzen soll, verraten die Verleger nicht. Malte Spitz, Mitglied im Bundesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen, die für eine Kultur-Flatrate eintreten, greift das Banker-Beispiel auf und führt es ad absurdum: Was passiert, wenn der Bankmitarbeiter den Artikel über seinen Kunden schon beim Frühstück in der privat von ihm abonnierten Zeitung gelesen hat und sich dann nur noch im Büro ausdruckt. Handelt es sich dann um eine gewerbliche Nutzung? Um dieses Abgrenzungsproblem zu lösen, sollen die Gebühren nach den derzeitigen Vorstellungen der Verleger deshalb auch pauschalisiert werden.Problematisch wäre freilich die saubere Abgrenzung zwischen dem (immateriellen) Urheberrecht, das die Rechte der Autoren an ihren Texten schützt, und einem (materiellen) Leistungsschutzrecht, das die konkrete Ausgestaltung dieser Texte schützen würde – also vor allem das Layout. Wie aber ist es zum Beispiel zu bewerten, wenn ein Nutzer sich, um im Beispiel zu bleiben, aus dem faz.net-Layout den reinen (ASCII-)Text kopiert und in ein anderes Layout gießt? Der reine Text fällt zunächst einmal unter das Urheberrecht, da seine Verbreitung aber an eine materielle Veröffentlichung in Print und/oder Online geknüpft ist, sind möglicherweise auch die Rechte der Verlage berührt. So argumentiert zumindest Keese, der aber klarstellt, dass das Recht der Autoren, ihre Texte zweit- oder drittzuverwerten, davon „selbstverständlich“ unberührt bleibe.Geht Qualitätsjournalismus auch ohne Verlage?Die Realität sieht freilich so aus, dass die meisten Autoren vertraglich gezwungen werden zu akzeptieren, dass mit der Honorierung eines Print-Artikels auch die Online-Veröffentlichung desselben Textes abgegolten ist („Buyout“). Zudem erschwert die Publikation im Web faktisch auch die bislang übliche Mehrfachverwertung. Bislang war es durchaus üblich, dass ein Artikel, der zuerst im Trierischen Volksfreund veröffentlicht wurde, ein paar Tage später auch im Konstanzer Südkurier und danach vielleicht noch in der Märkischen Allgemeinen erschien. Durch die Online-Veröffentlichung geht aber die Exklusivität vieler, oft aufwendig recherchierter Informationen verloren, da sie von anderen Redaktionen nach Belieben und ohne großen Aufwand zusammengestellt – oder neudeutsch: „aggregiert“ – werden können.Leistungsschutzrechte gibt es bereits in anderen Branchen, wie etwa beim Film: Um den hohen Produktionskosten – und dem damit verbundenen wirtschaftlichen Risiko – Rechnung zu tragen, sind auch die technischen „Träger“ der urheberrechtlich geschützten (künstlerischen bzw. journalistischen) Leistung durch ein sogenanntes Leistungsschutzrecht geschützt. Das Kopieren von Ton- und Filmspuren ohne Genehmigung des Rechteinhabers ist strafbar – und zwar für eine Dauer von 50 Jahren nach der Erstveröffentlichung des jeweiligen Trägers.Doch wie ein Kommentator auf carta.de erklärt, haben Leistungsschutzrechte zum Zweck, dass eine bestimmte Nutzung verboten wird, „weil eine Schutzlücke besteht. Dass kostenpflichtige Lizenzen vergeben werden können, ist dabei eigentlich nur ein Nebeneffekt.“ Um ein Verbot geht es den Verlagen aber gar nicht. Denn wenn Google Snippets oder Überschriften künftig nicht mehr wiedergeben dürfte, würde das den Verlagen mehr schaden als nutzen. „Das Verbotsrecht soll also nur pro forma eingeführt werden, um Lizenzen zu vergeben und damit Geld zu verdienen. Das ist nicht der Sinn von Leistungsschutzrechten.“Dass die Autoren, wie Keese behauptet, von einem solchen neuen Leistungsschutzrecht profitieren würden, ist für Eva-Maria Schnurr zudem nicht ausgemacht. Die stellvertretenden Vorsitzende von Freischreiber, einem Ende 2008 gegründeten Interessenverband Freier Journalisten, fürchtet: „Was für die Verlage gut ist, ist nicht automatisch auch für die Autoren gut.“ Es sei schön und gut, den Qualitätsjournalismus retten zu wollen, aber „braucht man dazu Verlage?“"Google-Steuer wäre das ehrlichere Instrument"Christoph Keese macht eine Rechnung dazu auf: Bei einem Jahresumsatz von rund 5 Milliarden Euro erziele die gesamte deutsche Presseverlags-Branche lediglich Online-Werbeeinnahmen von kombiniert 160 Millionen Euro, während Google mit seiner Suchwortwerbung allein in Deutschland 2 Milliarden Euro umsetze. Von diesem Kuchen möchten die Verleger künftig mehr abhaben. Hier vergleicht Keese allerdings Äpfel mit Birnen, denn die zwei Milliarden Werbeumsatz enthalten nur zu einem Bruchteil Einnahmen, die journalistischen Angeboten zuzuordnen sind. Zudem kann man, vereinfacht gesagt, davon ausgehen, dass (mindestens) 50 Prozent dieser 160 Millionen wiederum Google zu verdanken sind, denn mindestens die Hälfte aller Internet-Nutzer – bei weniger bekannten journalistischen Angeboten ist die Quote deutlich höher – landen über Google bei einer bestimmten Nachrichtenseite, und nicht weil sie die URL direkt in ihren Browser eingegeben haben.Der Medienrechtler und Fachanwalt für Urheberrecht Till Jäger ist indes skeptisch, ob das bestehende wirtschaftliche Ungleichgewicht durch ein Leistungsschutzrecht beseitigt werden kann. Er fürchtet neben den erwähnten Abgrenzungsproblemen eine komplizierte Bürokratie durch die Einführung einer Verwertungsgesellschaft. „Eine Google-Steuer" – wie sie französische Regierung vorschlägt – "wäre das ehrlichere Instrument.“ Christoph Keese konzediert, dass derzeit das Kartellrecht gegenüber dem Leistungschutzrecht sicherlich „die schärfere Waffe“ sei, um dem Suchmaschinen-Giganten beizukommen.Aber, Stichwort Google: Was soll hier eigentlich geschützt werden? Sind Überschriften, die aus drei Worten bestehen, schon schützenswert? Und selbst wenn: Wie lassen sie sich eindeutig einem Rechteinhaber zuordnen? Welchen Status haben die „Snippets“, also die Kurzzusammenfassungen, mit denen bei Google-Suchen die einzelnen Treffer angezeigt werden: Handelt es sich dabei um eine Leistung des Verlags oder des Autors?Alles nicht so einfach – was die schwarz-gelbe Koalition freilich nicht davon abgehalten hat, den Verlegern in ihrer Koalitionsvereinbarung ein Leistungsschutzrecht in Aussicht zu stellen. Doch auch Christoph Keese gibt zu: „Selbst wenn die Firma Google uns Verlagen ihren gesamten Jahresgewinn schenken würde, würde das nicht reichen, die verlorenen Umsätze zurückzugewinnen.“ Was fehle, sei bislang ein funktionierender Marktplatz für Online-Journalismus: So etwas wie der Zeitungs-Kiosk im richtigen Leben. Zu dumm, dass es Google schon gibt. Aber vielleicht könnte man I-Tunes noch mal neu erfinden?