Die "Brigitte" zeigt keine dürren Models mehr, und Beth Ditto macht Mode für vollschlanke Frauen. Doch auch Blogs wie "Fatshionista" verändern die Sicht auf Frauen
Die Hände auf den Hüften, die Schultern zurück, den Kopf stolz erhoben, so posiert Christina Lewis für die Fotos ihres Styleblogs. Auf einem Foto trägt sie einen engen Minirock, einen Fellmantel und aufreizenden roten Lippenstift, auf einem anderen ein Latexkleid, eine Nietenweste und schwere Schuhe von Jil Sander, die aussehen als könnten sie einen Bimsstein mit einem Schlag in der Mitte durchbrechen. Sie ist taff, stark und schön.
Lewis trägt Größe 54, ihr Modeblog Musings of a Fatshionista hat in den vergangenen Monaten eine große Fangemeinde gewonnen. Auf ihrer Seite beschreibt sie sich selbst als „dick und so schick wie es nur geht“. Ihr Motto: „Wenn das Angebot für dich sehr eingeschränkt ist, wie kanns
Übersetzung: Christine Käppeler
. Ihr Motto: „Wenn das Angebot für dich sehr eingeschränkt ist, wie kannst du dich da von der Menge abheben und so sagenhaft aussehen wie die anderen? Indem du keine Angst davor hast, ein Risiko einzugehen.“Nicht schlank, sondern umwerfendDie 24-jährige Grafikdesignerin aus Takoma Park in Maryland entwickelte ihr Gespür für Mode während ihrer Zeit an der Kunsthochschule in Philadelphia. Seither habe sie kein Problem mehr damit, sich in ihren Kleidern allen zu zeigen: „Ich sage den Leuten immer, ich will darin nicht möglichst schlank aussehen. Ich will umwerfend aussehen!“Lewis Seite gehört zu einer ganzen Reihe von neuen Modeblogs von Frauen, die einer Modeindustrie, die sie ausgrenzt, Paroli bieten. Da wäre zum Beispiel Young, Fat and Fabulous, das Blog der 23-jährigen Lehrerin Gabi Gregg aus Michigan. Sie sagt, sie habe ihr Blog begonnen, da sie den Eindruck hatte, „andere Seiten hätten keine Ahnung davon, was auf der Straße wirklich vor sich geht.“ Ähnliche Blogs aus den USA heißen Fatshionable und The Manfattan Project, und auch aus Frankreich, Österreich, Deutschland und Polen gibt es vergleichbare Blogs."Ich bin dick. Na und?"In Großbritannien betreibt die 34-jährige Modedesignerin Diane Denis das Blog Fat Girls Like Nice Clothes Too. Mich interessiert, ob Denis gezögert hat, bevor sie das Wort „fat“ in den Titel ihres Blogs aufnahm. „Nein, eigentlich nicht“, antwortet sie. „Ich wollte direkt sein, mit dem Finger auf die Modewelt zeigen und sagen „Ja, ich bin dick. Na und?“Die Seiten sind unterschiedlich, aber auf fast allen werden Modelabels besprochen, die in Übergrößen schneidern und es gibt Fotos der Lieblingsoutfits der Autorinnen und Bilder ihrer Vorbilder zu sehen, zu denen die Sängerin Beth Ditto und das Model Kelli Jean Drinkwater gehören. Seit kurzem ist bei vielen auch Gabourey Sidibe, der Star des Überraschungsfilms Precious dabei. Seit der Film über eine junge Frau, die sich – vergewaltigt von beiden Eltern und alleinerziehende Mutter eines Sohnes mit Down-Sydrom – von ganz unten hocharbeitet, in den USA Erfolg hat, verändert Sidibe auf den roten Teppichen in Designerkleidern die Wahrnehmung von Schönheit und Körperwahrnehmung.Die "Fatosphäre" wächstIm Prinzip kulminieren auf diesen Seiten zwei aktuelle Trends im Web. Zum einen wäre da die wachsende Anzahl jener Blogs, die sich liebevoll zur „Fatosphäre“ zählen. Auf diesen Seiten diskutieren Autoren und Leser über alles rund um die Köperwahrnehmung und Fett-Akzeptanz (dabei geht es darum, das eigene Gewicht anzunehmen, keine Diäten zu machen und sich mit der eigenen Figur gesund zu fühlen).Gleichzeitig sind die Modeblogs im Netz unterschiedlicher und schwerpunktlastiger geworden, nicht zuletzt im Zuge des überwältigenden Erfolgs von Scott Schumans Blog The Sartorialist, für das er modische Menschen auf der Straße fotografiert. Die 13-jährige Tavi Gevinson sorgte mit ihrem Modeblog Style Rookie für Furore – und dann wäre da noch Ari Seth Cohens Seite Advanced Style, für die er „die stilvollsten und kreativsten Senioren New Yorks“ fotografiert. Styleblogs demokratisieren die Mode, sie bieten ein differenzierteres Bild der Wirklichkeit als wir es gewohnt sind.Styleblogs demokratisieren die ModeDicke sind in der Mode am wenigsten sichtbar. Zum einen wird modische Kleidung meist nur bis zu einer gewissen Größe gefertigt – für viele Styleblogger ein ernstes Problem. „Ich glaube, dass viele unterschätzen, wie schwierig es für uns ist, modisch auf dem Laufenden zu sein. Die Auswahl ist sehr beschränkt“, erklärt Gregg.Doch der Mangel kann auch eine Quelle der Inspiration sein. Die 31-jährige Verlagsangestellte Lilli Hingee aus Melbourne startete ihre Seite Frocks and Frou Frou unter anderem, „weil der Markt für Übergrößen in Australien äußert erbärmlich ist“. Hingee bezeichnet sich selbst als „Mädchen mit Kurven“ – weder dick noch dünn –, auf ihrer Seite zeigt sie Teile internationaler Modelinien, die in großen Größen verfügbar sind. Ende 2009 zeigte sie sich für ein Projekt, das sie „Frockapalooza“ nannte, ein paar Monate lang jeden Tag auf ihrer Seite in einem anderen Kleid.Zum anderen werden dicke Frauen – und im Prinzip nicht nur sie, sondern alle Frauen, die eine durchschnittliche Figur haben – von den Bildern, die die Modeindustrie produziert, stigmatisiert. In den Magazinen und auf den Laufstegen werden beinahe ausschließlich extrem dünne, junge und überwiegend weiße Frauen gezeigt. In den vergangenen Monaten gab es kleine Anzeichen dafür, dass sich diese Haltung verändern könnte. In der amerikanischen Glamour sorgte im vergangenen Jahr ein Foto des Plus-Size-Models Lizzie Miller für Aufsehen, auf dem sich ihr nackter Bauch im Sitzen wölbt. Die Herausgeberin Cindi Leive regte die Furore um das Foto zu einem weiteren Shooting mit Übergrößen-Models an – auch diese posierten alle nackt. In diesem Monat widmete das Modemagazin V eine ganze Ausgabe dem Thema „Size“, darunter auch Fotos des Designers Karl Lagerfeld, die den Burlesque-Star Miss Dirty Martini in BH, mit Pompoms auf den Brustwarzen und in Strapsen zeigt.Fetisch mit ÜbergrößeSowohl Glamour als auch V zeigen auch bekleidete Plus-Size-Models, aber es ist doch interessant, dass sie mehrheitlich nackt oder halbnackt abgebildet werden. Die Bilder scheinen dicke Frauen zu fetischisieren, als besonders sexuelle Kreaturen mit großem Appetit. Im Internet ist dieses Thema nicht neu, dort wimmelt es nur so vor Fetisch-Seiten mit Dicken. Kate Harding, die Autorin des Blogs Shapely Prose, weist darauf hin, dass die Revolution nur eine vermeintliche ist, solange Frauen, die etwas fülliger sind, vor allem als Objekt dargestellt werden.Ganz anders sind die Bilder, die auf der Mutter aller Styleblogs für Dicke zu sehen sind. Fatshioista startete 2004 als Online Forum, die Entwicklung der Seite ist eine Erfolgsgeschichte. Sie widmet sich „einer aufregenden Mischung aus Sozialpolitik, den Geschichten dicker Mädchen und Popkultur“. Ihr Kernstück sind die Texte der Bloggerin Lesley Kinzel, aber es gibt noch immer ein Forum, in dem sich die Leserinnen über Übergrößen-Kleidertauschparties und die besten Adressen für Sport-BHs unterhalten.Das faszinierendste Feature der Seite ist jedoch ihre Flickr-Galerie, in die alle, die Größe 44 und größer tragen, Fotos von sich in ihren Lieblingsoutfits einstellen können. Wenn man sich durch die Fotos auf der Seite klickt, bekommt man einen Eindruck davon, wie leicht es sein könnte, unsere Sehgewohnheiten zu verändern. Da ist zum Beispiel eine umwerfende Frau mit einem Tattoo, das sich hinreißend über ihre Brust schlängelt. Oder eine andere tätowierte Frau in einer Pfauentunika, die passend zu ihrem leuchtend gelben Haar leuchtend gelbe Sandalen trägt. Eine Frau trägt ein pink und grün geblümtes Kleid im Stil der Sechziger und dazu eine pinke Strumpfhose.Ungewohnte BilderEs gibt Frauen in Abendkleidern aus Satin mit Spitzenhandschuhen, Tuniken mit Cartoonaufdruck und Cowboystiefel; Hotpants zu Pulli und Baskenmütze; Frauen in Badeanzügen, Bikinis und engen T-Shirts. Tausende von Frauen, die trotzig in die Kamera schauen, als wollten sie jeden herausfordern, der in Frage stellt, dass sie wunderschön aussehen. Dodai Stewart, die Herausgeberin der beliebten Website Jezebel, schrieb über ihre erste Begegnung mit Fatshionista: „Zuerst war es irritierend, so viele Bilder von „dicken“, übergewichtigen Frauen zu sehen. Nicht unbedingt wegen ihrer Körper oder ihrer Kleidung – sie sehen fantastisch aus – sondern weil ich es einfach nicht gewohnt war.“Ich frage die Feministin und Psychoanalytikern Susie Orbach, die das Buch Bodies: Schlachtfelder der Schönheit geschrieben hat, ob sie glaubt, dass diese Blogs unsere kulturell geprägte Sichtweise und unsere Vorstellungen von Schönheit verändern können. „Zweifellos könnten sie das“, sagt sie und erklärt dann, wie wir auf Bilder reagieren. „Was passiert, wenn sich Trends verändern? Eben noch sind gerade geschnittene Jeans in, dann sind weite Jeans angesagt. Zuerst kommt uns die neue Form fremd und hässlich vor. Doch sobald sie überall zu sehen ist, glauben wir, dass mit uns etwas nicht stimmt, wenn wir nicht damit konform gehen. Wir haben das Gefühl, aufholen zu müssen. Genau so verhält es sich auch mit der Körperwahrnehmung.“Weil wir dauernd mit Fotos von sehr dünnen Frauen konfrontiert sind, von denen viele noch digital bearbeitet wurden, versuchen wir diesem unerreichbaren Ideal zu gleichen. „Würden wir andere Bilder sehen, nicht nur von dicken Frauen, sondern von Frauen jeglicher Statur, dann würden wir nicht dauernd unsere Figur verändern wollen“, meint Orbach. „Wir würden uns repräsentiert fühlen und könnten uns auf andere Aspekte unseres Lebens konzentrieren.“Gegen die Kleiderständer-Klon-ArmeeManche behaupten, die Seiten würden die Fettleibigkeit unterstützen. Indem sie modische, stolze, dicke Frauen zeigen, würden sie andere dazu ermuntern zuzunehmen. Orbach ist anderer Ansicht: „Ich glaube, dass die Magerkeit die Fettleibigkeit unterstützt, denn sie fördert Diäten, und Diäten sind eine der Hauptursachen für Essstörungen.“ Sie macht sich eher Gedanken, ob die Fotos die Frauen nicht zu sehr als Objekt darstellen: „Mir würde es besser gefallen, wenn die Frauen auf den Fotos etwas tun würden, anstatt einfach in die Kamera zu starren.“Dodai Stewart sieht das anders: „Die Frauen, die wir in den Zeitschriften und auf den Laufstegen sehen, wirken oft wie eine Armee von Klonen. Sie sehen alle gleich aus und sind auf ihre Funktion als Kleiderständer reduziert. Eine solche Frau ist ein ultimatives Objekt. Bei den Fotos auf Fatshionista hingegen geht es genau so sehr um die individuelle Persönlichkeit der Frauen wie um die Mode, die sie tragen.“ Die Bloggerin Lesley Kinzel ist sich sicher, dass sich die Modewelt durch Fashionblogs entscheidend verändern wird: „Die Modewelt war immer ein Ort, der den Menschen erstrebenswert erschien, den sie von weitem bewundert haben, aber sie haben sich nie als Teil davon gefühlt. Das verändert sich nun. Die Zeitschriften öffnen sich für Plus-Size-Models, weil Modeblogs so viele unterschiedliche Menschen zeigen.“Und die Seiten haben bereits einzelne Frauen verändert. Ragini Nag Rao etwa, eine Studentin aus Kalkutta, lud 2008 die ersten Bilder von sich auf Fatshionista hoch, nachdem sie mit ihrem Körper immer gehadert hatte. „Ich sah dort zum ersten Mal Menschen, die eine Figur hatten wie ich oder noch dicker waren und großartig aussahen. Ich dachte mir, wenn die das können, dann kann ich das auch.“ Vor kurzem startete Nag Rao ihren eigenen Blog Forays in Fatshion. Das Blog, sagt sie, habe ihr Selbstbewusstsein „radikal verändert.“Viele dieser Bloggerinnen sehen das, was sie da tun, auch als politisches Statement. „Wenn man dick ist, sich so mag, wie man ist und sich als modisch bezeichnet, dann ist das per se politisch“, meint Gabi Gregg. „Für den Mainstream existieren dicke, zufriedene, modische Frauen nicht.“