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Erykah Badu, Queen of Neo-Soul, zieht sich im Clip zu „Window Seat“ aus. Das verstört noch? Klar, die Empörungsmaschine läuft, obwohl die Künstlerin genau das kritisiert

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Dass man mit nackten Tatsachen in Musikvideos noch verstören kann, hat Erykah Badu vergangene Woche gezeigt. Die Queen of Neo-Soul zieht sich im Clip zur Single „Window Seat“ auf offener Straße, aber abseits der Mainstreamverträglichkeit von Körperlichkeit aus.

Feministische Blogs wie Mädchenmannschaft oder feministing sprangen als erstes auf den gepixelten Hintern an. Was habe sich Erykah Badu dabei gedacht? Und inwiefern sei Nacktsein hier – wenn überhaupt - als feministisches Statement zu verstehen? Die politisch Korrekten horchten auf, als klar wurde, dass die Szenen im historischen Dealey Plaza in Dallas aufgenommen wurden, dort, wo 1963 John F. Kennedy ermordet wurde. Als dann auch noch die Polizei Badu mit einer Geldstrafe ahndete – denn es ist ja nun mal verboten, nackt durch die Straßen zu laufen – beschlagzeilten auch deutsche Nachrichtenmedien wie Spiegel Online den „Skandal“. Die Süddeutsche reduzierte die Aktion der Künstlerin gar auf ein „Striptease am Ort des Kennedy-Attentats“. Erykah Badu hat also gegen eine ganze Reihe von Regeln verstoßen und die Aufgabe der Öffentlichkeit ist es erstmal, sich vor Empörung aufzublasen.

Dabei ist die Idee mit dem Bordstein-Strip nicht neu. Auch das Pop-Duo Matt und Kim zogen sich für ihr Video „Lessons Learned“ zwischen Passanten am New Yorker Times Square aus.

Badu bezieht sich mit „Window Seat“ ausdrücklich auf das Video von Matt und Kim. Auch hier wird das Nacktsein von den Passanten zwar eher beiläufig wahrgenommen, aber entweder schreitet sofort die Polizei ein oder die „Bestrafung“ folgt durch den im Video angedeuteten Tod. Ja, auch im 21. Jahrhundert kann man mit so etwas simplem wie Nacktheit Verwirrung und moralische Diskussionen auslösen. Mehr noch: Das künstlerische Statement wird durch den moralischen Aufschrei in den Hintergrund gedrängt.

Erykah Badus Video ist ein Experiment. Ein Experiment an Konsensbildung. "Groupthink", Gruppendenken, nennt sie das. Und Groupthink ist auch das Wort, das am Ende des Videos als blaues Blut aus ihrem Kopf sickert. Mit „Gruppendenken“ bezieht sich die Sängerin auf die ungeschriebenen gesellschaftlichen Regeln, denen wir gehorchen, um nicht aufzufallen und nicht anzuecken. Auf ihrem Twitter-Account führt Badu das in den Tagen nach der Videopremiere noch genauer aus: Wir seien alle Opfer und Täter des Gruppendenkens. „Groupthink“ verhindere, dass jemand seinen individuellen Handlungen folge aus Angst, dafür verurteilt zu werden. Und schließlich, „Groupthink“ bedeute, eben nicht zu denken, sondern sich der Bequemlichkeit halber dem Konsens anzuschließen.

Gegenüber den Dallas News erklärte Badu einen Tag nach dem Dreh Mitte März, in „Window Seat“ gehe es darum,
sich Schicht für Schicht der Dämonen zu entledigen, die einen am Wachstum, an Entwicklung und Freiheit hinderten. Nacktheit als Symbol, kompromisslos der individuellen Linie zu folgen. Merkwürdigerweise scheint aber niemand diesen Gedanken aufgreifen zu wollen. Lieber fragt man sich, ob Badu das Gedenken Kennedys beflecke, ob sie mit ihrem Auftritt Kinder traumatisiert habe und ob das nicht doch alles ein zu billig kalkulierter PR-Trick sei. Und Schockrocker Alice Cooper darf auch noch seine Einschätzung abgeben, welche Konsequenzen Badus Verhalten nach sich ziehen könne. Oh weh!

Nun ist „Window Seat“ also ein Skandal geworden und obwohl die Künstlerin an unterschiedlichen Stellen auf ihre Intention hinweist und selbst im Video noch auf die Deutung der Symbolik anspielt – was die Menschen nicht verstehen, verurteilen sie – läuft alles nach Plan: Erykah Badu hat mit diesem Video gezeigt, wie leicht und vorhersehbar sich die öffentliche Meinung manipulieren lässt. Vielleicht bemerkt das noch jemand im aufgewirbelten Staub moralischer Entrüstung.

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