Mobiltelefone auf Kuba verändern den Alltag auf der Insel. Die neue Technologie ist zwar teuer, aber ein zuverlässiger Komplize für die Vernetzung von unten
Roberto Machado greift mit einem Lächeln in seine Tasche und zieht feierlich ein Telefon heraus: ein Sony Ericsson, Jahrgang 2003. Für seinen neuen Besitzer ist es aber kein klobiges Relikt, sondern einfach nur schön. Der 31-jährige Künstler hat es vor kurzem von seiner Tante aus Spanien bekommen und ist begeistert. „Ich liebe es. Ich sage Ihnen, damit ist das Leben nicht mehr dasselbe.“
Das Zeitalter des Mobiltelefons hat Kuba erreicht. Seitdem die kommunistische Regierung das ehemals verbotene Symbol des kapitalistischen Konsumismus legalisierte, sind die Apparate überall im Land zu sehen: Sie sind an Gürtel geschnallt, baumeln an Bändern um Hälse und überall spielt jemand mit einem rum. Handys sind allgegenwärtig, es gibt
Übersetzung aus dem Englischen: Holger Hutt
g, es gibt allerdings eine speziell kubanischen Dreh: Nur sehr wenige nutzen die Telefone, um sich zu unterhalten.Machado sieht mich angesichts dieser Idee entgeistert an. „Reden? Wie in einem Gespräch? Nie. Nicht ein einziges Mal. Da müsste man ja schon sehr verrückt oder verzweifelt sein.“ Telefonate sind schlicht zu teuer, daher werden die Geräte als Pager benutzt. Statt das Gespräch entgegenzunehmen, notieren sich die Kubaner die Nummer des Anrufers und rufen von einem Festnetzapparat zurück. So ist das in einer verarmten Planwirtschaft, in der der Durchschnittslohn 20 Dollar im Monat beträgt. Gespräche zwischen Mobiltelefonen kosten 65 US-Cent pro Minute, aus dem Mobil- ins Festnetz sogar noch etwas mehr. Selbst eine SMS für 17 Cent gilt als teuer. Ein einminütiges Gespräch nach Europa kostet 5,85 US-Dollar.Kubaner müssen unglaubliche Opfer bringen oder über einen Wohltäter im Ausland verfügen, um sich das 60 Dollar teure Handset leisten zu können, das in den staatlichen Läden verkauft wird, und dann auch noch die weiteren 50 Dollar aufzubringen, um die Leitung bei der staatlichen Telefongesellschaft Etecsa zu aktivieren. Dennoch reißt die Schlange vor dem Etecsa-Store in der Obispo-Straße in Havanna nie ab. Viele junge Leute mit Sonnenbrillen und Designerjeans stehen hier an. Sie sind ebenso von Marken besessen wie ihre Altersgenossen im Westen. „Wir holen auf“, meint der 19-jährige Miguel. Alle in der Schlange scheinen in Anbetracht ihrer nahe bevorstehenden Vernetzung außer sich vor Freude und drücken sich die Nasen am Schaufenster platt. „Die haben schon sehr lange darauf gewartet“, sagt ein uniformierter Wachmann, der am Eingang steht.Kuba hat zwar immer noch die geringste Nutzungsrate für Mobiltelefone in ganz Lateinamerika, aber die Zahl der Nutzer steigt schnell. Gegenwärtig kommen laut offiziellen Angaben auf 11,2 Millionen Menschen 480.000 Geräte. Auf der einen Seite steht dies für die von Präsident Raúl Castro versprochenen Verbesserungen der Lebenssituation und Aufhebung der strengen Beschränkungen. Das Verbot von DVDs und Computerspielen wurde ebenfalls aufgehoben. Aus Sicht der Regierung hat die Sache allerdings einen Haken: Die Konsumgüter entfachen eine informationelle Revolution. Die Kubaner lechzen geradezu nach anderen Nachrichten, die nicht den staatlichen Medien entstammen. „Ich habe es satt, wie ein Zehnjähriger behandelt zu werden, der auf einem anderen Planeten lebt“, formuliert es ein Mann, der in der Tourismusindustrie arbeitet.Traditionellerweise werden die offiziellen Informationen durch die Gerüchteküche ergänzt, die auf Kuba „Radio Bemba“ („Radio Lippe“) genannt wird. Dieses Netzwerk wird nun durch die neuen Geräte wie Photohandys, Flashcards, DVDs und einen gelegentlichen Internetlink ergänzt. Das staatliche Informationsmonopol gehört der Geschichte an. „Selbst wenn sie nicht immer sofort sichtbar werden, bringen neue Technologien Veränderungen mit sich, die unter der Oberfläche der Gesellschaft brodeln“, meint der früher für die CIA tätige Kuba-Experte Brian Latell von der Universität Miami. Die Kubaner seien heute besser informiert als jemals zuvor, meint der 29-jährige Ruben Polanco, der als IT-Arbeiter bei einer staatlichen Bank beschäftigt ist. „Mit dem hier“, sagt er und meint damit die Kamera seines Motorola-Handys, „kommt die Wahrheit ans Tageslicht.“Der Einfluss der Technologie lässt sich an drei konkreten Beispielen aufzeigen: Vergangenen Monat kam es bei einem Baseball-Spiel zwischen Industriales und Sancti Spíritus zu Ausschreitungen, bei denen die Polizei Spieler und Zuschauer mit Knüppeln und Pfefferspray angriff, unter denen sich auch ein ranghohes Mitglied der kommunistischen Partei befand. Früher hätte sich der Vorfall nur mittels Klatsch und Tratsch verbreiten können, jetzt aber wurde er auf Handykameras festgehalten, auf Flashcards geladen, auf Computern und DVD-Playern im ganzen Land abgespielt und bei You Tube eingestellt.Ein anderes, heimlich gedrehtes Video, das großes Aufsehen erregte, zeigte Bilder dutzender Studenten am Instituto Superior de Arte (ISA) in Havanna, die gegen verdorbenes Essen und andere Missstände protestierten. Als drittes Beispiel wäre ein Skandal in der größten psychiatrischen Klinik des Landes zu nennen, wo 26 Menschen erfroren, als die Temperaturen im Januar unter den Gefrierpunkt sanken. Die Behörden räumten Fehler ein, versprachen, eine Untersuchung einzuleiten und hofften, wieder zur Tagesordnung zurückkehren zu können. Stattdessen drangen Autopsie-Bilder abgemagerter, mit Druckstellen übersäter Leichen an die Öffentlichkeit. „Es ist eine Sache, von so etwas zu hören und eine andere, es mit eigenen Augen zu sehen“, sagt der 37-jährige Wissenschaftler Antonio Gonzalez-Rodiles, der die Bilder auf einer Flashcard erhielt. „Die Körper bestanden nur noch aus Haut und Knochen, wie aus einem Konzentrationslager. Das ist wirklich zutiefst erschütternd.“Anders als andere autoritär regierte Länder wie Burma oder Iran ist die Lage auf Kuba nach wie vor ruhig und stabil. Es gibt keine Aufstände oder Massendemonstrationen, so dass die Informationstechnologie für die Regierung keine unmittelbare Bedrohung darstellt. Mit der Zeit dürfte die Technologie aber zu einer immer größeren Herausforderung werden. Wenn auch immer noch vom Meer umgeben, ist Kuba immer weniger eine Insel. Regierungskritische Blogger wie Yoani Sanchez haben im Ausland viele Leser und trotz des aus ökonomischen Gründen stark eingeschränkten Zugangs im Inland viel Anerkennung gefunden. Die Polizei hat große Mühe, in Wassertanks und an anderen Stellen verborgene Satellitenschüsseln ausfindig zu machen.Auch wenn die Regierung vorerst die Kontrolle behält, dürfte sie die Schlacht gegen die Technologie verlieren, sagt Dianna Melrose, die britische Botschafterin in Havanna. „Sie versuchen es König Knut gleichzutun und kämpfen gegen eine Welle, gegen die sie nicht gewinnen können.“