Ein Kollektiv von Cola-Fans will zeigen, dass eine andere Art des Wirtschaftens möglich ist. Sie wollen das korrekteste Getränk der Welt produzieren: Premium Cola
Sieht so eine Firmenzentrale aus? Eine Studentenbude im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel, 23 Quadratmeter, Dachschrägen, in der Küche hängt eine Deutschlandkarte mit roten, grünen und schwarzen Klebepunkten. Im Flur steht auf einem Tisch ein Laptop, das Ping-Geräusch eintreffender E-Mails ist ab und an zu hören. Hier arbeitet Uwe Lübbermann daran, die Welt zu verbessern. So überschaubar sein Arbeitsplatz, so groß der Anspruch: Er will zeigen, dass eine andere Art des Wirtschaftens möglich ist, dass Kapitalismus auch ohne Profitmaximierung und aggressives Marketing funktionieren kann.
Das Produkt, um das es geht, habe er gerade nicht da, sagt er. „Immer wenn ich ein paar Flaschen Premium Cola nach Hause bringe, trinke ich sie ziemlic
ie ziemlich schnell aus.“ Die Cola hat einen intensiven Geschmack und eine besonders starke Koffeindröhnung, 250 Milligramm auf einen Liter – die maximal erlaubte Menge, knapp sechsmal so viel, wie sich in einer normalen Cola findet. Ansonsten fällt Premium Cola durch Understatement auf, man macht aus Prinzip keine Werbung. Die Kosten dafür müssten an die Konsumenten weitergegeben werden, das wäre nicht korrekt, sagt Lübbermann. „Korrekt“ ist ein Wort, das er besonders gerne benutzt.Auf jeder Premium-Flasche findet sich ein schlichtes Etikett, auf dem Lübbermanns Name und seine Wohnadresse stehen. Die Marke ist auf ihn eingetragen, offiziell gehört ihm Premium. „Aber eigentlich gehört alles dem Kollektiv.“ Und Teil des Kollektivs kann jeder werden, ob Getränkehändler, Spediteur, Abfüller, Barkeeper oder Konsument – wer immer mit der Cola zu tun hat, kann sich auf einer Mailingliste eintragen lassen, wenn er einen Kollektivisten kennt, der ihn empfiehlt.Per E-Mail werden alle unternehmerischen Entscheidungen diskutiert, die Finanzen offen gelegt, über Investitionen abgestimmt – streng nach den Regeln der Konsensdemokratie. So lange nur ein Kollektivist dagegen stimmt, gilt der Vorschlag als abgelehnt.Lübbermann nennt sich „zentraler Koordinator“. Lange Zeit sei Premium Cola für ihn nur ein Hobby gewesen, erzählt der 34-Jährige mit dem rasierten Schädel und den breiten Koteletten. Er hat eine Ausbildung als Werbekaufmann, demnächst will er sein Wirtschaftspsychologie-Studium abschließen. Früher hat er in einem Skateboardladen, auf dem Bau und als Barkeeper gearbeitet. „Ich habe da Geschäftspraktiken kennengelernt, die ich nicht richtig fand.“ Seit April arbeitet er nun Vollzeit für das Kollektiv. 1.200 Euro bekommt er dafür. Das Geld sei aber nur ein Teil seines Lohns. Hinzu komme der Spaß, etwas entwickeln zu können. „Premium ist ein virtuelles Unternehmen.“ Mehr als Laptop und Telefon braucht Lübbermann nicht. „Aber wir verändern damit Dinge in der Offline-Welt.“Wer braucht schon Verträge?Als „alter-naiv“ werden die Kollektivisten manchmal geschmäht. Sie senken schon mal aus freien Stücken die Preise, wenn alle Kosten gedeckt sind. Und sie lehnen es ab, Geschäftsbeziehungen mit schriftlichen Verträgen zu regeln. „Wenn kein Vertrauen da ist, bringt mir ein Vertrag auch nichts“, sagt Lübbermann.Auf der Landkarte in der Küche zeigt er auf einen schwarzen Punkt. Dieser Getränkehändler habe gerade Ärger gemacht. Lübbermann wollte ihn aus der Lieferkette rausschmeißen, weil er sich erpresst fühlte. Der Händler drohte, Premium aus dem Sortiment zu nehmen, wenn sie es zuließen, dass ein Kunde des Händlers seine Premium Cola von einem anderen Händler bezieht. Das Kollektiv votierte gegen einen Rausschmiss. „Mit dem Beschluss muss ich dann leben“, sagt Lübbermann. Der Kunde wechselte danach trotzdem den Lieferanten, ohne dass der verschmähte Händler Premium aus dem Sortiment nahm. Auch wenn ihm manche Entscheidungen nicht gefallen, an dem Abstimmungsverfahren zweifelt Lübbermann nicht. Das Besondere an Premium Cola sei schließlich nicht das Getränk, sondern das Wissen, dass bei Produktion und Vertrieb alles so fair und transparent wie möglich zugehe. „Wir verkaufen nicht so sehr ein Produkt, sondern eine Organisationsleistung.“Gewinnstreben lehnen die Premium-Kollektivisten ab. Das führe nur zu Kostendrückerei, weil Unternehmen bei der Herstellung verschiedene Anbieter gegeneinander ausspielten. Und zu überzogenen Preisen, weil immer das Maximale am Markt herausgeholt werden soll. Die Kollektivisten kontrollieren stattdessen, ob Spediteure ihren Fahrern genügend Zeit für Ruhepausen gewähren und ob die Flaschensortierer auf dem Leerguthof einen anständigen Lohn bekommen.Wer wie viel an einer Flasche Premium Cola verdient, ist genau festgelegt. Wenn eine Flasche zwei Euro koste, rechnet Lübbermann vor, dann seien nur 6,6 Cent davon der Preis für die Zutaten. Schließlich bestehe Cola hauptsächlich aus Wasser und Zucker. „Der Rest ist die Arbeit von Menschen. Und die sollen alle einen fairen Anteil bekommen.“Alptraum der GroßkonzerneDie Gründungsgeschichte von Premium Cola ist dabei der Alptraum aller Großkonzerne. Es ist die Geschichte von Konsumenten, die sich mit dem Angebotenen nicht zufrieden geben, sondern das gewünschte Produkt einfach selbst herstellen. Ohne eine Rezeptänderung bei Afri-Cola gäbe es kein Premium-Experiment. Im Dezember 1999 bemerkte Lübbermann, dass seine geliebte Afri irgendwie anders schmeckte. Die Marke war von der Mineralbrunnen Überkingen-Teinach AG aufgekauft worden. Der Konzern veränderte das Originalrezept, deutlich weniger Koffein, Afri sollte massentauglich werden.„Wenn das nicht alles klammheimlich passiert wäre, hätte es gar nicht so einen Aufstand gegeben“, sagt Lübbermann heute. Er organisierte den Protest enttäuschter Afri-Fans und gründete die „Interessengruppe Premium“, benannt nach einem Schriftzug auf dem Etikett, der ebenfalls verschwunden war. Nach knapp zwei Jahren erfolgloser Proteste, erhielt Lübbermann einen Tipp per E-Mail. Ein Abfüller in Nördlingen hatte noch das Afri-Originalrezept. Die Gruppe beschloss, die Cola – aus rechtlichen Gründen mit einer geschmacksneutralen Veränderung – selbst herzustellen. Zunächst nur in 1.000-Flaschen-Serien, aber bald stieg die Nachfrage.Nach und nach entwickelten die Cola-Liebhaber dann den theoretischen Überbau zu ihrem Produkt, das „Betriebssystem“ – Leitlinien und Ideen, die ein korrektes Wirtschaften möglich machen sollen. Lübbermann tüftelte etwa den Anti-Mengenrabatt aus. Während es im Getränkehandel üblich ist, dass Abnehmer großer Mengen Preisnachlässe bekommen, macht Premium es umgekehrt. Auf den Preis jeder Flasche wird ein Cent drauf geschlagen. Damit wird ein Rabatt finanziert, den Abnehmer kleiner Mengen bekommen. So soll es sich lohnen, die Cola auch dorthin zu liefern, wo es nur einen Kunden gibt.Obwohl Premium stetig wächst, ist der Marktanteil noch verschwindend gering. 492.000 Flaschen verkaufte Premium Cola 2009, das sind 0,05 Promille des deutschen Cola-Marktes. „Wir wollten immer langsam wachsen“, sagt Lübbermann. Seit 2008 haben sie die Produktpalette noch um ein Bio-Bier erweitert.Wer überzeugt ist, kann Sprecher werdenBei der Verbreitung – sowohl in Deutschland, der Schweiz als auch in Österreich – setzt man dabei ganz auf aktive Konsumenten. Wer von Premium überzeugt ist, kann Sprecher werden. Das heißt, er versucht Cola und Bier in Cafés, Bars und Clubs, die er mag, wie ein Getränke-Vertreter unterzubringen. Pro verkaufter Bier-Flasche bekommt er dafür einen 2-Cent-Anteil, für jede Cola-Flasche gibt es 4 Cent.An einem lauen Mainachmittag ist Alexander Kusserow deshalb in Potsdam unterwegs. Er will einen Neuling anlernen, der den Sprecherjob hier übernehmen soll. Kusserow, 29, gehört zu den Cola-Enthusiasten, die seit Beginn dabei sind. Er erzählt, dass er alte Afri-Flaschen noch ungeöffnet daheim hat – und „einige der ersten 1.000er-Premium-Serie“. Trinken könne man die zwar nicht mehr, aber es seien tolle Sammlerstücke.„Den Winter über habe ich als Sprecher eigentlich nichts gemacht. Keine Lust, aber jetzt geht’s wieder los“, sagt Kusserow. Er steht in einem Bio-Supermarkt und fragt nach der Geschäftsleitung. Eine Frau Mitte Vierzig, freundlich, aber reserviert. „Cola geht bei uns gar nicht, zu ungesund. Aber das Bio-Bier könnt ihr zum Probieren da lassen“, sagt sie. Kusserow erzählt, dass bei Premium alles von einem Kollektiv entschieden werde. „So, so, wie früher“, sagt die Frau und schmunzelt. Sie müsse nun wieder an die Arbeit.Kusserow und sein Begleiter ziehen weiter. „Wir wollen nicht zu pushy sein.“ Sie versuchen zu promoten, ohne wirklich zu promoten. Sie haben eine vorausgewählte Liste von Läden, die in Frage kommen. Die Cola soll es nicht überall geben, man will etwas Besonderes bleiben. Ein Café oder eine Bar müssten einen eigenen Charme haben, das Personal dürfe nicht gehetzt wirken, sagt Kusserow. „Wir entscheiden das nach Bauchgefühl.“ Er steht vor einer Strandbar. Die Liegestühle sind von Schöfferhofer gesponsert, eine Langnese-Fahne hängt am Eingang. „Das geht gar nicht“, sagt er. „Zu kommerziell.“Seinen Lebensunterhalt verdient er als Mitinhaber einer kleinen Werbeagentur. Was fasziniert ihn ausgerechnet an dem werbefeindlichen Premium-Projekt? „Beruflich musste ich früher oft Dinge verkaufen, von denen ich nicht überzeugt war“, erzählt er. Premium war da ein Gegenpol. „Etwas, hinter dem man 100 Prozent stehen kann.“ Knapp 100 Euro Sprecherlohn kriege er dafür im Monat. „Das ist ein reines Hobby.“Per Mailingliste hat Lübbermann im April eine Diskussion angestoßen, wie Premium professioneller werden könnte, ohne seinen Charakter zu verlieren. Er kämpf mit dem „Labertaschen-Problem“, sagt Lübbermann. Kollektivisten, die versprechen eine Aufgabe zu übernehmen, sich aber nicht kümmern. Am Ende macht er es meist selbst.Vor Kurzem war er bei Bionade in Unterfranken zu einem Vortrag eingeladen. Er sollte darüber reden, was Bionade von Premium lernen könne. Anschließend besichtigte er die Bio-Felder, auf denen nur für Bionade angebaut wird. Es hat ihn beeindruckt, welchen Einfluss man mit großer Kaufkraft nehmen kann. „Wenn ich unseren Lieferanten von Kolanüssen frage, woher diese stammen und unter welchen Bedingungen sie angebaut werden, sagt er mir das einfach nicht, weil wir so klein sind. Wenn Bionade fragen würde, wäre das etwas ganz Anderes.“ Premium könnte von Bionade den Anspruch übernehmen, „Volksbrause sein zu wollen“, sagt er.Nicht zu schnell wachsenAber gut wachsen, ohne Kompromisse zu machen – geht das? In der Schweiz haben sie nun einen Sprecher, der Profi-Außendienstler ist. Er hat den Schweizer Umsatz im Alleingang stark in die Höhe getrieben. Lübbermann würde gerne auch in Deutschland Profis finden, die sich für die Premium-Idee begeistern.Nicht alle Kollektivisten finden das richtig. „Bei uns gibt es Fundis und Realos“, sagt Lübbermann. Als Fundi könnte wohl Miguel Martinez gelten, seit 15 Jahren lebt der Spanier in Hamburg. Auch er ist von Beginn an dabei. Er sagt: „Wenn ich zurückschaue, hätte ich eine Sache anders gemacht. Ich hätte das Kollektiv nicht so weit geöffnet, weil Premium sich dann leichter treu bleiben könnte.“ In den letzten Jahren seien Mitglieder dazugekommen, die wie „normale Geschäftsleute ticken“. Von denen fühlt er sich als Hamburg-Sprecher gestresst, wenn sie ihn fragen, warum es die Cola nicht auch hier und dort zu kaufen gibt. „Premium kriegt man in 80 Prozent der Läden, die ich gut finde. Das reicht.“Gegen Professionalisierung an sich habe er nichts, sagt Martinez. „Ich kann auch als Linker zuverlässig sein.“ Nur zu starkes Wachstum sei gefährlich. Dann müssten 40.000 Flaschen plötzlich um jeden Preis verkauft werden, weil man zu hohe Stückzahlen produziert hat und die Cola zu verderben droht.Allerdings sieht er auch den Widerspruch, der dem Projekt innewohnt. Je größer Premium wird, desto mehr kann man verändern. Aber wie soll das gehen, wenn man zugleich anti-kommerziell bleiben will? Martinez hofft auf die Vorbildfunktion. Andere könnten auf Premium aufmerksam werden und das Betriebssystem kopieren. „Ich habe nämlich einen Traum“, sagt er. „Einen Supermarkt, in dem alle Produkte nach dem Premium-Prinzip hergestellt sind. Alles fair, alles korrekt. Das wäre toll.“