Gordon Roddick hat mit seiner Frau den "Body Shop" gegründet. Er glaubt, dass man die Welt durch ethische Unternehmen verändern kann. Und dadurch, dass man Ärger macht
Anfang der Siebziger, da war Gordon Roddick Mitte dreißig, betrieben er und seine Frau Anita im südenglischen Badeort Littlehampton ein Restaurant. Jeden Abend, bevor sie es schlossen, wischten sie die Tageskarte von der schwarzen Tafel, stellten die Tafel ins Fenster und schrieben eine Frage darauf. Zum Beispiel: Warum gibt der Stadtrat so viel Geld für die Vorhänge seines neuen Gebäudes aus? „Was auch immer uns gerade ärgerte, das kam auf die Tafel“, erinnert sich Roddick. „Und die Leute kamen vorbei, um mehr herauszufinden. Dieses Restaurant war eine politische Waffe.“
Drei Jahre blieben Roddick und seine Frau dabei, 1976 sattelten sie um und eröffneten eine kleine Drogerie in Brighton. „Um den Kopf über Wasser zu halt
Übersetzung: Christine Käppeler
er zu halten“, wie Roddick heute sagt. „Wir mussten zwei Kinder ernähren und keiner wollte uns einen Job geben.“ Drei Jahrzehnte später hatte der „Body Shop“ des Paares weltweit mehrere tausend Filialen. In den Schaufenstern wurde gegen Tierversuche, Menschenrechtsverletzungen und den Klimawandel protestiert. Bis die Roddicks ihre Kette 2006 an L’Oreál verkauften, hatten sie so ein politisches Waffenarsenal aufgebaut.Anitas Name, ihr Gesicht und ihre leidenschaftliche Persönlichkeit werden für immer für den Erfolg der Kampagnen und den wirtschaftlichen Steilflug des Body Shop stehen. Ihr Mann hielt sich stets bescheiden im Hintergrund. Still und leise gründete und finanzierte er soziale Unternehmen, die das Leben von tausenden Menschen verändert haben. Wenige kennen ihn als den Kopf hinter The Big Issue – einer Zeitung, die von professionellen Journalisten geschrieben und von Obdachlosen verkauft wird. Oder als Vorstand von Freeplay – einem Unternehmen, das Entwicklungsländern Elektrogeräte wie etwa Radios zur Verfügung stellt, die kein Stromnetz brauchen und durch Sonnenenergie oder Muskelkraft betrieben werden. Außerdem ist Roddick noch die treibende Kraft hinter der Fairtrade-Schokolade Devine.Als wir ihn in seinem Haus in Littlehampton treffen, ist er eben aus Mallorca zurückgekehrt, wo er Regierungs- und Wirtschaftsvertretern erläutert hat, dass die Insel verloren sei, wenn sie in Zukunft weiter auf Billigtourismus setzen. Eine bittere Botschaft, gerade für Mallorca. Doch Roddick ist überzeugt, dass es zu spät ist, um sich länger selbst zu täuschen.Kein Schwarzmaler„Niemand setzt sich mit der Realität auseinander, dass wir mit unserer Fixierung auf Wachstum so nicht fortfahren können“, sagt der 68-Jährige in weichem schottischen Tonfall. „Die Ressourcen der Erde sind beschränkt. Wenn wir so weiter machen, werden wir in fürchterliche Schwierigkeiten geraten. Die Regierungen müssen anfangen, uns die Wahrheit zu sagen und uns auf eine andere Zukunft vorbereiten.“ Und dann macht Roddick etwas so Unerwartetes wie Herzerwärmendes – er lacht. Aus ganzem Herzen. „Lachen ist alles, was man tun kann. Deshalb zu heulen, lohnt sich nicht.“Roddicks Botschaft mag kompromisslos sein, doch er ist keiner von den Schwarzmalern. Seine Küche zeugt davon, dass er sein Leben immer voll ausgekostet hat. In einer Ecke steht ein unanständiges Werk des Streetart-Künstlers Banksy (es wird umgedreht, wenn die Enkelkinder zu Besuch kommen). Auf dem Tisch liegen in Schalen frische Erdbeeren und Erbsen aus dem Gewächshaus, das sich Roddick mit fünf Nachbarsfamilien teilt. Neben den Erbsen steht eine Flasche Weißwein aus dem Weinberg, den Roddick direkt vor seiner Haustür angelegt hat. Und dann wären da noch die vielen Fotos seiner lebhaften Frau Anita, deren Einfluss weiterhin sein Leben bestimmt.Es sei ihr verschmitztes Temperament gewesen, sagt er, das ihn vor einem Jahr zu 38 Degrees inspirierte. 38 Degrees ist eine Online-Kampagne, die auf alle möglichen politischen Fragen aufmerksam macht – von der Reform der Banken über politischen Lobbyismus bis hin zu Donald Trumps Golfplatz in Aberdeenshire. Nach Anitas plötzlichem Tod – sie starb vor drei Jahren an den Folgen einer Hirnblutung – wollte Roddick etwas beginnen, womit er ihren Aktivismus über ihren Tod hinaus weiterführen konnte. 38 Degrees ist eine überparteiliche Initiative, die gemeinschaftliche Aktionen anregt: Petitionen, Briefe, im Mai sogar einen Flashmob, der bei der BBC auftauchte und ein Ende der angedrohten Einsparungen bei dem Sender verlangte. „Ich weiß, dass Anita alles zum Lachen brachte, was den Mächtigen eine Menge Ärger verursacht.“Gordon Roddick wurde 1942 als Sohn eines schottischen Getreidemaklers und einer Liverpoolerin geboren, doch beide Eltern starben noch vor seinem siebten Lebensjahr. Er wurde auf das Internat Merchiston Castle in Edingburgh geschickt – eine verhasste Zeit. Im Anschluss studierte er Agrarwissenschaften am Königlichen College in Circenster. Roddick erzählt: „Mir ist nichts eingefallen, was ich sonst hätte tun können.“ Erfolg war ihm nicht beschieden. „Ich war der erste in der Geschichte des College, dem es gelang bei der Prüfung über ‚Bauernhöfe‘ durchzufallen - und die ist wirklich sehr einfach.“ Er lacht laut. „Dummerweise war ich vorher die ganze Nacht unterwegs gewesen. Als die Klausur losging, schlief ich prompt ein.“Als Dichter kam er nicht weitMit 20 brach er aus, ging die nächsten viereinhalb Jahre auf Reisen, schlug sich in Australien, Neuseeland, Südamerika und Afrika mit Gelegenheitsjobs durch. Er putzte Eisenbahnwaggons, schürfte in Zinngruben und arbeitete als Tankwart. „Wenn man auf diese Weise reist, dann erfährt man unweigerlich, dass die ärmeren Länder von den Reicheren ausgebeutet werden.“ Er kehrte nach Hause zurück, in der Hoffnung seine Erfahrungen in Form von Gedichten zu verewigen. Eine kurze Zeit arbeitete er für den Comicverlag DC Thomson, doch bald schon übertrumpften ihn bei den Gedichten andere in der Edinburgher Literatenszene. „Ich hatte eine Menge zu sagen, aber ich wusste nicht wie“. Und so entschied er sich stattdessen, zurück nach Australien zu gehen. Er sollte nur bis Sussex kommen, wo er in einem Pub auf Anita traf und sich augenblicklich verliebte. Eine Woche später zog er bei ihr ein.Roddicks Frau beschreiben alle, die sie kannten, als Temperamentbündel. Sie habe wie keine andere Menschen anregen können, protestierte gerne laut und beschwatzte Leute. Gordon Roddicks Stärke war hingegen seine einfühlsame Art, die es dem bescheidenen, zurückhaltenden Schotten ermöglichte, Freundschaften zu knüpfen, wo keiner es erwartet hätte. Einmal paddelte er zum Beispiel mit einem Mann namens Carlos 1.200 Meilen den Amazonas hinunter. Carlos hatte seine Frau erschossen und trug ein Rasiermesser bei sich, bereit sich umzubringen, wenn er von der Polizei erwischt werden sollte. „Er war ein guter Kerl, auch wenn er nicht ganz normal war“, sagt Roddick.So lässt sich auch seine ungewöhnliche Partnerschaft mit John Bird erklären, einem Ex-Knacki, der auf der Straße lebte. Bird hatte zunächst kein Interesse daran, die Odachlosenzeitung The Big Issue mit Roddick zu gründen, da er keine Möglichkeit sah, daraus Profit zu schlagen. Inzwischen sind die beiden seit Jahrzehnten Freunde. Roddick liebte es, Zaungast zu sein, wenn er und Anita hitzige Streitgespräche führten. „Ich liebe Menschen, die im Herzen Anarchisten sind“, sagt Roddick. „Ich habe eine ganze Reihe solcher Freunde, die immer offen sagen, was sie denken. Mich freut das sehr, denn ich selbst kann so etwas nicht. Dafür bin ich viel zu feige.“Roddick wird oft als der ökonomische Kopf hinter den Visionen seiner Frau Anita porträtiert, doch er sagt, als sie anfingen sei sein einziges Finanz-Know-How eine simple Maxime gewesen: Gib nicht mehr aus, als du einnimmst! „Ich komme aus einer Familie von sparsamen Schotten“, erzählt er. „Eine bessere Schule hätte ich nicht haben können.“ Was er mitbrachte, war vor allem ein klares Gespür für die Ungerechtigkeit traditioneller Geschäftspraktiken. „Es gibt viele großartige Menschen, die jegliche Moral an der Bürotür ablegen. Sie gehen in ihre Firma und verhalten sich verdammt schlecht, erst wenn sie am Abend nach Hause gehen, packen sie ihren Anstand wieder aus und werden wieder zu netten Menschen.“Roddick jedoch war davon überzeugt, dass man mit Geschäften etwas Gutes bewirken kann. Anita und er boten ihren Zulieferern für den Body Shop gerechte Handelsbedingungen, lange bevor Fairtrade in Mode kam. An seiner Idee für The Big Issue hielt er auch dann fest, als die Body-Shop-Stiftung erklärte, es sei ein hoffnungsloses Konzept. Heute ist The Big Issue eines der erfolgreichsten sozialen Unternehmen Großbritanniens – und auch nach 19 Jahren noch innovativ. Zuletzt führten sie die Treuekarte ein, die Leser anspornt bei kleinen, lokalen Händlern einzukaufen – und das Programm Big Issue Invest, das an Menschen mit geringem Einkommen Mikrokredite vergibt.Den Börsengang bereut erMit dem Alter werde er radikaler, sagt Roddick. Er ist enttäuscht, dass die großen Firmen und die Kräfte des Marktes so wenig dazu beitragen, dass die Dinge sich zum Besseren verändern. Er bereut es zutiefst, dass er mit dem Body Shop an die Börse gegangen ist, auch wenn er diesem Schritt seinen Reichtum verdankt. „Das Beste, was wir zum Wohl der ganzen Welt tun könnten, wäre die Harvard Business School abzufackeln“, bemerkt er nüchtern. „Sie haben den Leuten dieses ganze Shareholder-Value-Ethos und Profitdenken eingetrichtert. Das ist nicht länger hinnehmbar.“Roddick ist überzeugt davon, dass die Industriestaaten ihre Lebensweise radikal verändern müssen. Er sei froh, dass die maximale Ölfördermenge mittlerweile erreicht scheine: „Alles wird sich dadurch enorm verteuern. So wie unser System funktioniert, verfallen die Banken in Panik, sobald wir weniger Kühlschränke und Autos kaufen. Die Ersparnisse der Leute werden abgewertet, alles geht den Bach hinunter. Ich wäre dafür, dass wir uns mit einer Dreitagewoche zufrieden geben, weniger einkaufen und weniger Müll produzieren.“Mit so einer Idee macht man sich bei bestimmten Kreise mächtig unbeliebt. Doch andererseits war Roddick selten ein Mann für Wohlfühl-Fälle. Er unterstützt die Cageprisoners, eine Menschenrechtsorganisation, die sich für Guantánamo-Häftlinge einsetzt und für Gespräche mit den Taliban wirbt. Sein jüngstes Anliegen ist die Freilassung der zwei noch inhaftierten Männer der „Angola Drei“, die aufgrund einer umstrittenen Verurteilung – sie sollen einen Gefängniswärter im Angola Prison in Louisiana umgebracht haben – über 30 Jahre in Isolationshaft saßen.Roddick sagt, er führe nie Marktanalysen durch, bevor er ein neues Geschäftsprojekt starte. „Ich glaube einfach, dass es ein Erfolg wird.“ Und er sagt selbst, dass er wohl in all den Jahren manchen Fehler gemacht hat. Er erinnert sich lachend an die erste Body-Shop-Kampagne für Greenpeace, die auf sauren Regen aufmerksam machen sollte. Roddick und seine Frau Anita hielten sich für wahnsinnig clever und schrieben quer über ihre Ladenfenster den Slogan „Acid Reigns“. Ein missglücktes Wortspiel. Keiner verstand, wovon die Rede war.„Man neigt dazu, Fehler zu verstecken“, sagt Roddick. „Aber wichtig ist vor allem, dass man sich engagiert. Am Ende zählt nur, dass man gegen das kämpft, was einen ankotzt.“