Für Paare verschiedener Nationalität, die heiraten wollen, ist eine Reise nach Dänemark oft die einzige Möglichkeit. Zu Besuch im Standesamt von Nordborg
Eigentlich ist dieser Ort nur für jene attraktiv, die Ruhe und Natur suchen. Knapp 7.000 Menschen leben im verschlafenen Nordborg in Süddänemark, 60 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt. Es gibt hier mehrere Seen, ein paar Restaurants, ein Schloss. Immerhin. Und jeden Freitag hat Nordborg noch eine richtige Touristenattraktion – das Standesamt.
Hochzeitspaare aus ganz Europa verwandeln es einmal pro Woche in einen globalisierten Ort: Russisch, Spanisch, Deutsch, Französisch und Englisch sind zu hören. Im Flur vor dem Trauungszimmer warten türkische Bräute mit Kopftuch, dunkelhäutige Bräute mit weißen Hüten und deutsche Bräute in knappen Cocktailkleidern. Im letzten Jahr reisten 1.100 bi-nationale Hochzeitspaare allein
re allein nach Nordborg, über 700 davon kamen aus Deutschland.Tina Gerke Jensen ist Standesbeamtin und hat an diesem Freitag 24 Trauungen vor sich. Dass sie wieder mal kein einziges dänisches Paar traut, wundert sie schon lange nicht mehr. Mit kräftiger Stimme ruft sie zwei Namen in den Flur und wartet. Als das Paar vor ihr steht, fragt sie lächelnd: „Wo sind denn Ihre Trauzeugen?“ Der deutsche Bräutigam und die kenianische Braut schauen irritiert: „Trauzeugen? Haben wir nicht. Man hat uns gesagt, wir brauchen keine.“ Die Standesbeamtin stöhnt leise.Sie lässt das Paar im Flur stehen, um im Büro mit ihrer Kollegin Grete Dixen zu sprechen. Jedes Paar, das das Standesamt betritt, muss bei Dixen Pässe und Dokumente abgeben. Erst wenn sie diese geprüft hat, dürfen die Brautleute zu Jensen ins Trauungszimmer. „Ich bin die Böse und Tina ist die Gute“, sagt Dixen. „Ich kontrolliere und muss streng sein. Tina übernimmt den feierlichen Teil.“ Die Hochzeiten finden im Zehn-Minuten-Takt statt – geheiratet wird das ganze Jahr über. Ruhige Freitage gibt es nicht. Wenn schon beim ersten Paar Probleme auftauchen, passt das gar nicht. Nach kurzer Absprache beschließen Dixen und Jensen, das Paar zurück nach Deutschland zu schicken. Ohne Trauzeugen geht es nicht.Geliehener HochzeitsstraußAber die deutsch-kenianischen Brautleute haben eine Lösung. Sie haben ein ebenfalls wartendes Paar gefragt, ob sie nicht Trauzeugen sein wollen. Außerdem leiht sich die Kenianerin noch den Strauß von ihrer Trauzeugin aus: „Ich habe hier heute Morgen keinen Blumenladen gefunden und dachte schon, ich müsste ohne Blumen heiraten“, sagt sie und lacht erleichtert.Während die erste Hochzeit hinter verschlossenen Türen stattfindet, füllt sich der Flur mit weiteren Paaren. Ein Bräutigam reißt verschwitzt die Tür zum Standesamt auf. Er und seine Zukünftige sind nachts in Köln losgefahren, um pünktlich in Nordborg zu sein. Sie haben nur noch eine halbe Stunde Zeit bis zur Trauung und wollen sich nach sechs Stunden Autofahrt frisch machen. In der Ikea-Tasche warten Kleid und Anzug auf ihren Einsatz. „Pässe“, sagt Dixen streng und hält die Hand auf. Erst danach schickt sie die beiden in den Umkleideraum, der eigentlich ein Besprechungszimmer ist.Solche Kurztrips machen die meisten Paare nicht freiwillig. Kaum jemand landet im roten Backsteinbau von Nordborg, weil er unbedingt im Ausland heiraten wollte. Für die meisten Paare ist es die einzige Möglichkeit, sich das Ja-Wort zu geben. Wer seinen ausländischen Partner auf einem deutschen Standesamt heiraten möchte, braucht viel Zeit, Geld und Nerven. Zeit und Geld für umfangreiche Dokumentenbeschaffungen aus dem Heimatland. Und Nerven, weil der Papierkrieg mit den Behörden sich endlos hinziehen kann.Reimund Kaiser und Mileydis Liranzo haben das erlebt. Auch die Kubanerin und der Deutsche wollen sich an diesem Tag in Dänemark trauen. In Bamberg waren sie mit ihren Plänen gescheitert. Unter anderem forderte der Beamte dort ein Ehefähigkeitszeugnis, und damit gingen die Probleme los, erzählt Kaiser: „Ich habe das Dokument schnell gehabt, aber dieses Papier aus Kuba zu bekommen, ist fast aussichtslos. Und komischerweise unterstützte die kubanische Botschaft uns überhaupt nicht.“ Das Paar bat schriftlich immer wieder um das Dokument, schließlich flog Liranzo nach Kuba, ohne Erfolg. Trotz monatelanger Mühe blieb der Weg in ein deutsches Standesamt versperrt.Nur weil sie schon ein gemeinsames Kind hatten, wurde die Kubanerin nicht ausgewiesen. Als Kaiser im Internet von den unbürokratischen Trauungen in Dänemark las, war das für beide eine Erleichterung. Die Dänen verlangen kein Ehefähigkeitszeugnis. Geburtsurkunde, Aufenthalts- oder Ledigkeitsbescheinigung und Pass reichen. Zumindest meistens.Eigener WirtschaftszweigMehrere tausend Hochzeitstouristen pro Jahr haben dazu geführt, dass ein eigener kleiner Wirtschaftszweig rund ums Heiraten entstanden ist. Es gibt Hochzeitsagenten, die die Papierarbeit mit den Standesämtern übernehmen. Miettrauzeugen bieten ihre Dienste an. Und auch die Dörfer und Städte haben sich auf Hochzeitspaare eingestellt. Ihre Idee: der Pflichtaufenthalt für Brautleute.Fast jede süddänische Gemeinde fordert, dass Paare sich drei Tage vor der Trauung im Ort aufhalten. Einige Gemeinden leben richtig von den Heiratswilligen, die abends durch die Straßen flanieren und in den Lokalen sitzen. Nordborg, wo man erst eine halbe Stunde vorher anreisen kann, ist eine Ausnahme. Standesbeamtin Jensen zuckt mit den Schultern, wenn sie gefragt wird, warum die Gemeinde nicht einen Pflichtaufenthalt einführt. Sie weiß es nicht.Wer im Internet Werbung von Agenturen liest, die eine „Extra Blitztrauung“ versprechen und Servicepakete für 1.400 Euro offerieren, könnte glauben, Dänemark sei das europäische Las Vegas – mal eben hinfahren und schon ist man verheiratet. „Das gibt es bei uns nicht“, betont Dixen. Man muss im Vorfeld Kopien der geforderten Dokumente einschicken und eine Gebühr überweisen. Danach bekommen die Paare einen Termin innerhalb der nächsten Wochen. An die Anrufe von Paaren, die auf eine Heirat binnen Tagen drängen, hat sich Dixen gewöhnt. Aber es ärgert sie, dass einige versuchen, sich eine Hochzeit zu erschleichen. Eine dänische Heiratsurkunde muss von deutschen Behörden anerkannt werden. Das Paar gilt als verheiratet, und der ausländische Ehepartner kann eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen.Etwa zwei Mal im Monat hat Dixen mit falschen Dokumenten zu tun. Oder jemand bietet ihr Geld, damit sie ein Auge zudrückt, wenn beispielsweise das Visum schon abgelaufen ist. Sie erzählt sogar von Verhaftungen auf dem Standesamt: „Wenn ich finde, dass etwas merkwürdig aussieht, dann spreche ich mit der Grenzpolizei.“ Dokumentenfälschung ist das eine Problem, Scheinehen sind das andere. Die Standesbeamtinnen sind sich bewusst, dass das unbürokratische Dänemark auch Paare anlockt, die nicht aus Liebe heiraten. „Manchmal, wenn der Mann sehr viel älter ist als die Frau, denke ich: Ist das auch eine wirkliche Ehe? Aber wenn die Papiere in Ordnung sind, ist es schwierig etwas dagegen zu machen“, sagt Jensen.Vor dem Trauungszimmer warten immer noch Reimund Kaiser und Mileydis Liranzo. Mit ihren Papieren gibt es keine Probleme, auch ihre Trauzeugen sind eingetroffen. Sarah und Jasmin sind deutsche Studentinnen, die in der Nähe leben. Sie verdienen sich als Miettrauzeugen etwas dazu. Drei Einsätze haben sie heute. Um Freunde und Familie nach Dänemark mitzunehmen, fehlten Kaiser und Liranzo das Geld. Fast alle Paare kommen nur zu zweit.Dann ist es soweit: Jensen führt sie ins Trauungszimmer. Die Standesbeamtin liest ihren Text heute schon zum fünfzehnten Mal auf Deutsch vor. Trotzdem will sie Herzlichkeit ausstrahlen. Es soll nicht nach Massenabfertigung aussehen, auch wenn es das ist. Braut und Bräutigam strahlen, sagen Ja und tauschen die Ringe. Keine zehn Minuten später stehen sie als Eheleute wieder auf dem Flur: „Was machen wir jetzt?“, fragt Kaiser seine Trauzeugen. Und weil diese eine Stunde Zeit haben bis zum nächsten Termin, gehen die vier zusammen Sekt trinken. Beamtin Jensen verschwindet derweil mit dem nächsten Paar, und Dixen begrüßt eine englische Braut und ihren deutschen Bräutigam: „Pässe bitte.“