Kultur
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Die Freiheit, sich jederzeit zu verzetteln
Aus „Ich war hier“ wird „Ich bin hier“: Aber wie verändert sich unser Schreiben in Zeiten mobiler Kommunikation? Dieser Frage wollte ein Workshop in Berlin nachgehen
Der Platz vor dem Backsteingebäude bleibt leer. Krystian Woznicki, ausgestattet mit Schal und Schirmmütze, blickt sich immer wieder um auf dem Fabrikgelände im Prenzlauer Berg in Berlin. Der Workshop „Wir nennen es Schreiben“ soll hier stattfinden, als Teil des Symposiums Mobile Textkulturen. Woznicki, der Chef des Internetfeuilletons Berliner Gazette, hat es mitorganisiert. Aber es hätten sich mehr als die acht Anwesenden für den Workshop angemeldet, sagt er. Wo die nur bleiben? Leider hat er an diesem Morgen sein Handy vergessen.
Es geht bei dem Workshop um Fragen wie diese: Können wir nicht einfach nur gehen, fahren und warten, ohne uns dabei ständig mitteilen zu müssen? Und wie ändert sich das Schreiben, wenn wir Informationsh
ilen zu müssen? Und wie ändert sich das Schreiben, wenn wir Informationshäppchen via SMS, Twitter oder Blogs überall und jederzeit verstreuen können? Heute könne man immer einfacher schreiben und publizieren, sagt Woznicki. Das führe zu einer „Explosion des Schreibens“ – aber nicht nur: Früher berichtete man nach einem Ereignis, heute berichtet man via Twitter oder SMS von einem Ereignis. Aus „I was here“ werde „I am here“. Wer aus dieser Position schreibt, der tut das nicht mehr mit Abstand und Reflexion, sondern der lässt andere an dem teilhaben, was er unmittelbar erlebt. Was sich vor allem ändert, ist also die Zeitwahrnehmung.Auf einer höheren EbeneDer Workshop soll jetzt beginnen. Ob seine Nachricht vielleicht nicht alle Teilnehmer erreicht habe, überlegt Woznicki – verlassen könne man sich auf E-Mails ja nicht. Er entscheidet, den Nachzüglern, ganz analog, einen Zettel an der Tür als Nachricht zu hinterlassen, darauf steht: „Workshop ‚Wir nennen es Schreiben‘ 3. Stock.“Eine achtköpfige Gruppe aus Journalisten, Studenten und Künstlern sitzt bereits am Tischviereck im Dachgeschoss des Gebäudes, das mit Glaswänden umgeben ist. Eine vierstündige Plauderrunde steht bevor, die das Gerede vom Tod der Zeitung und der Überlegenheit der mobilen Medien auf seinen Gehalt abklopft. Und zwar gleich mit der kritischen Eingangsfrage: Wir können immer schneller veröffentlichen, doch können wir auch immer schneller denken? Christopher Grieser fühlt sich angespornt. Ja, wir können schneller denken, sagt der 20-jährige Publizistikstudent. Wenn ein Blog oder Onlineartikel von den Lesern immer wieder korrigiert werden kann, sei schließlich eine Art Schwarmintelligenz für das Denken zuständig.Grieser ist der Prototyp des Digital Native. Nachrichten liest er nur im Internet, früher bei Google News oder Spiegel Online, heute über Feedreader und Twitter. Auch wenn er nicht am Computer sitzt, ist er online – mobil. „Ich finde Papier anstrengender“, sagt er. An seiner Hose steckt ein Smiley-Knopf mit umgedrehtem Mund. Texte im Netz könne er verlinken, bei Twitter einstellen oder per E-Mail weiterschicken, wenn sie ihm gefallen. Außerdem könne er die Schrift vergrößern und verkleinern, den Text nach Stichworten durchsuchen und Teile daraus kopieren. Das alles fehle, wenn er Zeitung lese. Inzwischen tue er das trotzdem ab und zu. „Ich lerne mir das rückwärts an“, sagt er. Doch anders als die „statischen Halbartikel“ in Zeitungen seien die neuen Online-Formate fließend, sagt er. Sie verändern sich also, auch weil der Netzschwarm Einfluss nimmt.Im Idealfall stimme das, entgegnet Chris Köver, Geschäftsführerin des Missy Magazins und eine der drei Leiterinnen und Leiter des Workshops. Den Kommentaren, die zu Onlineartikeln eingestellt würden, fehle allerdings oft das Niveau. Auf der Internetseite von Missy könne sie viele Kommentare, die dort eingingen, nicht veröffentlichen. „Ich lasse ja auch niemanden in meinem Wohnzimmer prügeln“, begründet das die 31-Jährige.Chris Köver ist ein Beispiel dafür, wie man Online und Print erfolgreich verbinden kann. Die 31-Jährige hat beim Magazin De:bug angefangen zu schreiben, dann bei Zeit Online volontiert und vor zweieinhalb Jahren das Missy Magazin mitgegründet. Heute schreibt sie vor allem über Netzkultur, Feminismus und Popkultur.Während Köver die Diskussion erdet, ist Verena Kuni, die zweite Leiterin, um Abstraktionsniveau und Struktur bemüht. „Feedback“, „Ko-Produktion“, „Prozession“, „Redaktion“, „Moderation“, „Zensur“ schreibt die 43-jährige Kunst- und Medienwissenschaftlerin handschriftlich auf das Flipchart – also diese Papiertafel – und guckt sich das durch ihre Brille an, um gleich wieder ein Papier nachzulegen. „Ich bin ein ziemliches Papiertigerchen“, sagt Kuni. Blogs etwa schreibe sie vor allem nachts – als „Pausenformat“.Auf den vier BuchstabenBlogs – was im Privaten angefangen hat, ist längst in den Redaktionen angekommen: Texte werden schneller veröffentlicht, kürzer und stichpunktartiger. Wird Lesern so die Aufnahmefähigkeit abtrainiert? „Ich weiß nicht, wann ich das Dossier in der Zeit das letzte Mal in einem Stück gelesen habe, ohne drei Mal meine E-Mails zu checken“, sagt Andreas Weiland, Mitherausgeber des Jugendmedienprojekts politik orange. Online würde man dazu animiert, die Links im Text anzuklicken, bevor man den Artikel zu Ende gelesen habe. Er schreibt auch für Onlinemedien, weil er da viel mehr ausprobieren und Konventionen brechen könne, sagt er. Doch ganz unkritisch sieht er die neuen Entwicklungen nicht.Blogs, Onlineartikel und Tweets bringen Freiheit – wer sie liest, kann sich aber auch ohne Papier verzetteln. Auch die Aufmerksamkeit derjenigen kann leiden, die per Skype-Konferenz miteinander sprechen. Hier ist die Runde sich einig: Es führt kein Weg daran vorbei, sich auch mal zu treffen, in einem Raum zu sein, zu lächeln und mit den Augen zu zwinkern. Die mobile Technik trage eher dazu bei, „dass wir auf dem Hintern sitzen bleiben, wo wir sind, statt uns zu bewegen“, sagt Köver.Doch gerade Bewegung sei hilfreich für das Schreiben – und eine uralte Kulturtechnik: Beim Flanieren Texte erdenken und strukturieren. Vielleicht sollte man beim nächsten Spaziergang das Handy einfach mal ausschalten.