Der Freitag: Frau Orbach, Sie können es täglich in Ihrer Praxis beobachten: Wie hat sich das Verhältnis zu unserem Körper verändert?
Susie Orbach:
Seit etwa 15 Jahren werden Körperstörungen und das ständige Beschäftigen mit dem Körper immer mehr als dauerhafter Lebensbegleiter angesehen, weniger als kurzfristiges Problem, das man lösen müsste.
Wie meinen Sie das?
Viele Frauen, die regelmäßig zur Therapie in meine Praxis kommen, erwähnen ihr körperliches Unbehagen wie nebenbei – als sei es etwas, mit dem sie leben müssen. Sie unterscheiden sich darin von denen, die ernsthaft Hilfe für ihre Körperprobleme suchen. Dennoch leiden beide Patientengruppen unter ähnlichen Schwierigkeiten.
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Sie unterscheiden sich darin von denen, die ernsthaft Hilfe für ihre Körperprobleme suchen. Dennoch leiden beide Patientengruppen unter ähnlichen Schwierigkeiten.Sie behaupten, der omnipräsente gesellschaftliche Diskurs destabilisiere das Körpergefühl. Wie äußert sich das?Da sind die ständige Sorge um die Ernährung, die Furcht, das Falsche zu essen, das permanente Regelaufstellen über gute und schlechte Nahrung, exzessives Trainieren oder die Zwangsvorstellung, sich alle fünfzehn Minuten – das ist bei jungen Frauen in England die Regel – mit seinem Körper zu befassen, sich zu fragen, was man verbessern und ändern könnte.Früher wurde der Körper als ein Werkzeug angesehen, das Güter produziert. Mittlerweile scheint er selbst ein Produkt zu sein, das wir formen sollen. Warum? Entscheidet mein Look heute stärker als früher über mein soziales Ansehen?Unsere Körper werden nicht länger gebraucht, um andere Dinge herzustellen, sondern wir modellieren die Körper jetzt. Würde ich diese Körperstörungen eine verbreitete Krankheit nennen? Ja! Es ist eine kulturelle Krankheit. Aber wir tun uns schwer damit, zu erkennen, dass wir ständig neue Körper kreieren wollen, die niemals stabil oder ausgeglichen sein können.Wer ist verantwortlich für den Schönheitskult: die Medien, die Werbung, das Glamour-Getue?Sie tragen dazu bei. Aber Glamour an sich ist nicht das Problem. Fragwürdig ist nur dessen einförmige Darstellung. Grafiker und künstlerische Leiter sind kluge Leute, aber sie bekommen selten Gelegenheit, an einer Vielfalt von Körpern zu arbeiten. Dabei könnten sie es schaffen, dass wir unterschiedliche Körpergrößen und -formen als gleichwertig ansehen.Eine Glamour-Kultur in Einheitsgröße, für die es keinen Grund gibt. Außer den: Die Diätindustrie hat ein großes Interesse am Versagen ihrer Produkte – damit Kunden zu Stammkunden werden. Fast jeder, der eine Diät hält, hat hinterher ein höheres Gewicht. Wenn Diäten wirken würden, müsste man sie nur einmal durchführen, aber die Rückfallrate ist sehr hoch.Wie verändern die öffentlichen Bilder konkret die Weise, wie wir im Alltag unseren Körper wahrnehmen?Sie signalisieren jungen Männern und Frauen, dass Sexualität bedeutet, sich selber von außen zu betrachten. Sie sollen Körperhaltungen einnehmen, die mehr mit Kameraeinstellungen zu tun haben als mit Liebe machen. Vor allem der Anstieg von Labioplastik, also Schamlippenkorrekturen, und Anal Bleaching, der Hautaufhellung im Analbereich, wird durch die in Sexbildern gezeigte Darstellung von Frauen ohne Schamhaar und mit weißem Hintern vorangetrieben.Sie behaupten auch, Körperhass sei ein Exportschlager des Westens. Können Sie das erklären?Wir exportieren die westlichen Schönheitsideale in die gesamte Welt. Junge Frauen in Litauen, Saudi-Arabien, China, Korea oder Nigeria möchten wirken, wie sie es in westlichen Anzeigen und Filmen sehen. Erst wenn sie ein solches Aussehen erreichen, fühlen sie sich als Teil der Moderne.Kann in der individuellen Entfaltung, die ja ein Motiv für die Beschäftigung mit dem eigenen Körper ist, nicht auch Freiheit liegen?Nein, ich spreche vom genauen Gegenteil von Freiheit. Unsere Individualität, unser Selbst, soll in ein Konsumzentrum verwandelt werden. Wir sollen unsere Körper unaufhörlich optimieren?Was halten Sie von kosmetischer Chirurgie?Es ist nicht verkehrt, wenn sich jemand persönlich für einen kosmetischen Eingriff entscheidet. Ich kann verstehen, wenn die Leute das Gefühl haben, dass dies ihre Qualen beenden würde. Doch eine große, erfolgreiche Industrie möchte davon profitieren, und deren Mantra lautet: ‚Beginne früh, tu es oft.‘Judith Butlers Ansatz, nach dem sich die Selbstbefreiung aus sozialen Rollen durch Parodie und Übertreibung klassischer Muster realisiert, basiert gerade auf einer ungestörten individuellen Körpererfahrung.Aber wo soll diese denn herkommen? Aus meiner Erfahrung ist das sehr idealistisch. Sprechen Sie mit jungen Frauen: Diese fühlen sich gerade nicht wunderbar und frei, sondern gefangen.Auch immer mehr Männer achten auf einen makellosen Körper, aber vor allem Frauen weisen bestimmte Körperstörungen auf. Wer ist dafür verantwortlich? Die Männer?Ich sehe hier nicht nur das Problem einer männerdominierten Gesellschaft oder des Patriarchats, obwohl die Fixierung auf ein bestimmtes Schönheitsideal für mich Gewalt gegen Frauen darstellt. Weil man aber mit der Destabilisierung unserer Körper viel Geld verdienen kann, wird diese sich bald auch auf die Männer ausweiten. Die ersten Anzeichen sind schon da: Männer wurden zur Zielgruppe für Steroide, also spezielle Diätprodukte – und natürlich zur Zielgruppe für sexuelle Hilfsmittel.Bei all der Kritik, was können Sie konkret ändern? Wir versuchen Politiker, Herausgeber oder Bildredakteure zu überzeugen, den kommerziellen Aspekt der Schönheit zu verringern – damit wir wieder gerne in unserem Körper leben.