Eine Glastüre, ein unscheinbares Schild: "Kuchenmanufaktur Koriat". Dahinter liegt sein Reich: Aviv Koriats Backstube. Eine Vitrine grenzt den Verkaufsbereich von den Backräumen ab, an die 15 Kuchensorten stehen bereit. Hinter der Vitrine, neben den Backöfen, stapeln sich runde Formen in Regalen, mit Mürbeteig gefüllt, bereits gebacken. Sie kühlen aus. Rechts führt ein Durchgang in die Backstube. Auf den weißen Kacheln dort stehen die Zutaten für die Rezepte gekritzelt. Aviv Koriat grinst und gesteht: Er vertraue seinem Gedächtnis nicht allzu sehr. Alles weitere erzählt der gebürtige Israeli bei einem Milchkaffee an einem der Tischchen vor seinem Laden in Berlin-Neukölln. Und er erzählt lieber auf Englisch. Ab und an mis
Kultur : Spezielle Mischung
Aviv Koriat wuchs in einem Kibbuz auf, kämpfte als Soldat im Libanon und fand schließlich das Rezept für den perfekten Schokokuchen. Was ist das Geheimnis?
Von
Susanne Lang
an mischen sich deutsche Worte darunter: Weizengrieß oder Käsekuchen.Der Freitag: Herr Koriat, erinnern Sie sich an den ersten Kuchen, den Sie jemals gegessen haben?Aviv Koriat: Ich glaube, wie bei allen Kindern war es Schokoladenkuchen. Schlechter Schokoladenkuchen.Sie lachen – was ist schlechter Schokoladenkuchen?Der ist trocken, zu süß, beinhaltet zuviel Kakaopulver. Kuchen gehört zu meinen stärksten Kindheitserinnerungen. Ich war damals von lauter backenden Frauen umgeben.Sie wuchsen in einem Kibbuz in Israel auf. Wann gingen Sie dort weg?Mit 18 Jahren, als ich meinen Dienst in der Armee antrat. Nach vier Jahren kehrte ich zunächst für vier Monate ins Kibbuz zurück, ich fühlte mich ziemlich ausgelaugt. Danach begann meine Lebensreise.War das nicht ein großer Schritt: aus dem alternativen Kibbuz zur Armee?Eigentlich nicht. Das Kibbuz ist auch Teil dieser sehr idealistischen Gesellschaft: Die Idee, dem Land zu dienen, steht über der Idee der eigenen Karriere. Seit ich geboren bin, war ich von Leuten umgeben, die irgendwann in ihrem Leben gedient hatten. Jeder geht zur Armee.Wenn Sie die Wahl gehabt hätten zwischen Zivil- und Militärdienst, was hätten Sie gemacht?Heute würde ich mich für Zivildienst entscheiden. Damals mit 18 wäre ich zu 100 Prozent zur Armee gegangen. In Israel ist die Situation anders als hier, von Kindheit an begleitete mich die Notwendigkeit, das Land zu verteidigen. Trotzdem wollte ich nicht, dass mein Sohn das Gleiche macht wie ich damals.Der Duft von gebackenem Kuchen zieht durch ein gekipptes Fenster auf den Gehweg. Aviv Koriat blickt durch das Fenster nach innen. "Macht es Ihnen was aus, wenn ich nach den Kuchen im Ofen schaue?" Fünf Minuten später ist er wieder zurück, mit einem zufriedenen Lächeln: "Gerade noch rechtzeitig."Wir waren bei Ihrem Sohn, Sie wollen nicht, dass er zum Militär geht?Vor allem will ich nicht, dass er das durchmachen muss, was ich durchmachen musste. Es ist so eine Zeitverschwendung! Das Beste, was ich dort gelernt habe, ist nicht aufzugeben. Du machst weiter bis zum Ende. Dieses mentale und physische Training bleibt dir dein Leben lang erhalten. Motto: Es gibt kein Aua und keine Mama.Waren Sie auch im Krieg?Ja, im Libanon. Völlig absurd. Spätestens da stellte ich fest, dass Krieg die völlig falsche Strategie ist. Absolut absurd! Andere Länder zu besetzen und die Bevölkerung zu erschießen, um dann von anderen erschossen zu werden.Es war zu lesen, dass Sie in Ihrer Kuchenmanufaktur zwei Mitarbeiter aus dem Libanon beschäftigen?Ich hatte zwei libanesische Kollegen. Sie waren toll, machten fantastische Arbeit. Aber es lief immer etwas mit, das ich heute als grundsätzliches Misstrauen beschreiben würde. Es ist verrückt, aber daran sind wir letztlich gescheitert.Wie drückte sich das aus?Sie hatten viele schreckliche Geschichten über israelische Soldaten gehört, von denen ich hoffe, aber eigentlich auch aus meiner Erfahrung weiß, dass sie nicht stimmen. Zumindest treffen sie nicht auf die Situationen zu, in denen ich selbst dabei war. Aber die Mütter erzählen diese Kriegsgeschichten ihren Söhnen und die geben sie wieder weiter, so dass sie sich fest im kollektiven Gedächtnis verankern. Das kann man als Einzelner nicht verändern. Am Ende sind wir daran gescheitert, eine gemeinsame Sprache zu finden.Wie kam es, dass Sie Ihren Kuchenladen ausgerechnet in Neukölln eröffnet haben, in Nachbarschaft von vielen Libanesen und Palästinensern?Das wusste ich anfangs gar nicht. Ich kam beim Joggen hier vorbei und fand die Gegend sowie die Räumlichkeiten gut. Nebenan die Spielhöllen, das Bordell, Kioske, ist doch wunderbar. Aber die Leute haben mich rasch vor Spannungen gewarnt.Sie wollten trotzdem bleiben?Klar, meine Idee war, auf die Leute zuzugehen und ihnen einen Job bei mir anzubieten. Ich wollte Teil dieser Nachbarschaft sein, nicht der Fremde bleiben.Und?Niemand kam.Weil Sie Israeli sind?Nein, weil die meisten hier Hartz IV haben wollen, keine Arbeit. Das ist meine Vermutung. Anfangs jedenfalls wusste ja niemand, dass ich Israeli bin. Grundsätzlich arbeite ich sehr gern mit einem internationalen Team. Aktuell backen hier zwei Marokkaner, ich mag die Mentalität, mein Vater ist in Marokko geboren. Im August hat eine Amerikanerin in der Küche angefangen, eine Deutsche verkauft und organisiert.Auch Ihr Backstil ist international. Sie kombinieren verschiedene Traditionen?Stimmt, da hat mich das Kibbuz geprägt. Unsere Nachbarin dort, eine deutsche Gastronomin, wusste sehr viel über Essen, sie hatte einen kleinen Garten und experimentierte viel. Als Kind besuchte ich sie häufig und schaute ihr zu, wenn sie Marmelade machte. Von ihr lernte ich alles über Geschmack: Anhand von zehn verschiedenen Sorten Chili in ihrem Garten zeigte sie mir, welche unterschiedlichen Arten von Schärfe wir schmecken können und in welcher Mundregion wir das tun.Wie kamen Sie dazu, Traditionen zu kombinieren?Das taten die Frauen lange vor mir. Meine Mutter ist polnischer Herkunft, aber sehr von meiner Tante aus Marokko beeinflusst, so dass sie bereits die europäische mit der nordafrikanischen Backkunst mischte. Die anderen Frauen kamen aus Argentinien, Ägypten oder Österreich. Und sie beeinflussten sich gegenseitig.Wann haben Sie Ihren ersten Kuchen gebacken?Ich glaube, ich war acht Jahre alt – gemeinsam mit meiner Mutter. Erst hatte ich sehr viele Fragen, aber dann begann ich, Vorschläge zu machen. Wir wurden richtige Partner. Eine ihrer Spezialitäten zum Beispiel war ein Kranz – nicht die schwere Sorte, wie man sie in Deutschland kennt. Sondern einen aus einem leichten Hefeteig mit wenig Butter. Sie füllte ihn mit Marmelade. Eines Tages schlug ich ihr vor, ihn mal mit Vanillecreme auszuprobieren und wir experimentierten lang, bis der selbstgemachte Pudding eine gute Füllung ergab.Welche Kuchen essen Sie am liebsten?Ich mag Schokokuchen noch immer sehr gerne. Aber es ist so schwer, einen wirklich guten zu machen. Die Leute denken immer, man müsse einfach ganz viel Schokolade nehmen und dann schmecke er auf jeden Fall. Aber das ist kein guter Kuchen! Sondern eine riskante Angelegenheit, man kann die Leute damit echt vollstopfen.Was ist das Geheimnis Ihrer Schokokuchen?Die Schokolade ist sehr reduziert, ich variierte dafür das Rezept meiner Käsekuchen-Füllung und biete nun drei Sorten an: mit Vanille-, Waldfrucht- oder Blaubeer- Creme. Aber bis dahin war es ein langer Weg, ich spielte viel mit dem Verhältnis von Schokolade, Eiern, Zucker und Temperatur.Wie lange probierten Sie?Ich brauchte zwei Jahre, bis ich die perfekte Mischung gefunden hatte. Vor allem lernte ich dabei, was man nicht tun darf. Das ist das Wichtigste.Was denn nicht?Nun, ein Beispiel, es gibt diese deutsche Spezialität Schwarzwälder Kirschtorte. Das ist ein wunderbarer Kuchen! Aber es ist total schwer, ihn gut zu machen ...Haben Sie deshalb keine im Angebot?Nein, ich fühle mich meiner eigenen Tradition stärker verpflichtet. Ich nehme deutsche Einflüsse auf, aber bin nicht so arrogant zu behaupten, ich könnte es genauso gut.Aviv Koriat blickt in Richtung Backstube und entschuldigt sich. Kurz darauf kehrt er zurück, diesmal mit einem zufriedenen Lächeln und einem Gebäckstück, das nach Nüssen, Zimt und warmer Butter duftet. "Probieren Sie!", sagt er, "das ist mein Mama-Rezept!". Ein leichtes Hefegebäck, eine Art Mischung aus Croissant und Nusshörnchen. Ein perfekter Frühstücksbegleiter.Gibt es eine israelische Back-Tradition?Nein, das Handwerk ist zu jung, um eine eigene Tradition herausgebildet zu haben. Wir kombinieren viel und sind vor allem von französischen und spanischen Einflüssen geprägt. Viele Köche lernen in diesen Ländern und kehren dann nach Israel zurück. Brioches und Croissants schmecken fantastisch in Israel! Und das Handwerk ist bei weitem nicht so reguliert wie hier. Man muss keinen Meister haben, um gute Backwaren zu verkaufen.Sondern?Einen guten Ofen, gutes Mehl, Wasser und ein bisschen Fantasie. Nehmen Sie Berlin, das ist so ein kreativer Ort, aber finden Sie hier mal gutes Brot! Die Regulierung führt dazu, dass nur noch die großen Ketten überleben. Wo sind all die kleinen, kreativen Back-Läden?!Vielleicht liegt es am Image: Backen gilt – anders als Kochen – nicht als cool, sondern als Hausfrauenangelegenheit?Nun ja, Kochen ist sehr viel einfacher, man kann während des Prozesses Fehler ausbessern. Wenn ein Teig einmal im Ofen ist, hat man keine Chance mehr. Und im professionellen Bereich ist es so, dass immer noch mehr Männer in der Gastronomie arbeiten als Frauen. Es ist körperlich sehr hart. Dabei ist es toll, mit Frauen zu arbeiten.Weshalb?Sie denken anders, haben eine andere Art des Planens. Wenn nur Männer an einem Ort arbeiten, ist die Energie ganz anders. Frauen verändern das auf angenehme Weise.Was sagt Ihre Familie eigentlich dazu, dass Sie hauptberuflich Kuchen backen?Hm, schwierig! Meine Eltern konnten es kaum glauben, dass ich meine eigene Design-Firma aufgegeben habe, um Konditor zu werden. Bis heute fragen Sie mich jede Woche, ob ich das noch mache. Die Gesellschaft in Israel ist sehr machomäßig strukturiert. Man hat Soldat zu sein, oder mindestens Geschäftsmann, Manager, Doktor oder Professor. Hier dagegen finden die Leute die Kuchenmanufaktur eine coole Sache!Wie war es für Sie als Israeli, nach Deutschland zu gehen?Ehrlich gesagt, ich dachte niemals daran, das zu tun. Ich hatte viele Aversionen. Im Kibbuz leben sehr viele Überlebende, alte Leute, depressive Leute, die immer noch am Holocaust leiden. Das liegt im alltäglichen Leben schwer über allem. Gleichzeitig aber gibt es eine starke Affirmation der deutschen Kultur, sie gilt als etwas Bewundernswertes. Ein Nachbar übersetzte Faust aus dem Deutschen ins Hebräische, er war ein Überlebender und er war Idealist, er sagte sich: Ja, das passierte. Aber trotzdem gibt es Goethe und Wagner, faszinierende Künstler, die wir studieren sollten.Das war wahrscheinlich aber nicht der Grund für Sie hierherzukommen?Nein, ich ging mit meiner ersten Frau, einer Künstlerin, nach Berlin. Leider ging die Ehe auseinander. Danach lernte ich meine jetzige Frau kennen, eine Kunstprofessorin in Weimar.Wie sehen Ihre Eltern es, dass Sie hier leben?Die beiden sind nicht ganz so verbittert, meine Mutter etwas mehr, weil Ihre Familie – wie sagt man auf Deutsch: ausgelöscht wurde. Aber sie können trotzdem glücklich sein. Mein Vater freute sich zum Beispiel auch, als Deutschland bei der WM gegen Argentinien gewonnen hatte. Und ich habe jetzt ein deutsches Kind, mein Sohn hat einen israelischen Vater, aber seine Muttersprache ist Deutsch. Es gibt neue Möglichkeiten in Deutschland. Es ist sehr friedlich, mit vielen jungen, fröhlichen Menschen. Aber eine gewisse Sensibilität wird dennoch bleiben.Das Gespräch führte Susanne Lang