Einige alte Hochzeitsregeln - etwa dass ein Thronfolger keine Bürgerliche heiraten soll - gelten nicht mehr. Ein Überblick über eingespielte Bräuche und Verbote heute
Es gibt Jobs, die der digitalen Technik zum Opfer fallen – und solche, die mit ihr erst ihre richtige Blüte erleben. Zu Letzteren muss man eine Erscheinung zählen, die gehäuft im Umfeld von Hochzeiten auftritt. Nach dem Essen baut oft ein Mann um die Fünfzig am Rande der Tanzfläche ein überdimensionales Keyboard auf, in dem von Stevie Wonders „I just called to say I love you“ bis zu Elton Johns „Can you feel the love tonight“ jede Melodie gespeichert ist, die der internationale Schnulzen-Markt so hergibt. Wenn man Glück hat, verzichtet der Alleinunterhalter darauf, zu den Computertönen auch noch zu singen. Meist hat man aber kein Glück. Jan Pfaff
BühneEs gibt weltweit verschiedene Ideen davon, was eine Ehe ist. Der Ethnologe Georg Pfeffer definiert die bleibende Gemeinsamkeit: Alle Formen der Ehe sind „Eingriffe der Öffentlichkeit“, um Beziehungen formal zu billigen. Da die Öffentlichkeit im Spiel ist, ist die Hochzeit oft ein Angeberfest. Man bereitet dem Paar eine große Bühne, im übertragenen, aber auch im wörtlichen Sinn (➝Planung). In einigen Gesellschaften, in denen Sex vor der Ehe ein ➝Tabu ist, sind die Heirats-, Scheidungs- und Wiederverheiratungsraten eher hoch. Hier ist es keine blöde Idee, Bühnenbauer zu werden. Klaus RaabEhegattensplittingWenn beide Partner etwa gleich viel verdienen, bietet die Ehe kaum steuerliche Vorteile. Beim Ehegattensplitting werden die Einkommen addiert und durch zwei geteilt, daraus wird die Steuer errechnet. Am wenigsten Steuern zahlt ein Paar, wenn nur ein Ehepartner Einkommen hat – der Satz errechnet sich dann nur aus der Hälfte seines (seltener: ihres) Einkommens. Das Splitting ist so nur in einem progressiven Steuersystem denkbar, in dem der Steuersatz mit dem Einkommen steigt. Die Regierung Adenauer führte es 1958 ein, nachdem die noch von den Nazis eingeführte Zusammenveranlagung ohne Splitting für verfassungswidrig erklärt worden war. Dadurch waren Zweiverdiener-Ehen benachteiligt, weil die Partner zusammen einen höheren Steuertarif erreichten als jeder für sich genommen. Die Nazis wollten damit die Einverdiener-Ehe bevorzugen. Die fördert das heutige Splitting allerdings auch nach wie vor. Jörn-Jakob SurkemperEheringeDie Hochzeit ist der Familien-Laufsteg (➝Bühne). Wen das abschreckt, der kann die Brillis heute weglassen. Das Standesamt verlangt keine Ringe. raaGeschenkeKaum zu glauben, dass früher in Kaufhäusern und Haushaltswarengeschäften Hochzeitstische standen, die extra für ein bestimmtes Brautpaar gedeckt waren. Das erleichterte Freunden und Angehörigen die Geschenksuche und verhinderte Dopplungen. Längst findet die Kapitalisierung der Liebe im Internet statt. Etliche Webseiten haben sich darauf spezialisiert, Waren, Wünsche und Geschenke zu koordinieren. Einstige Klassiker des Heiratsshoppings, Geschirr und Besteck, spielen nur noch eine marginale Rolle. Auf dem virtuellen Hochzeitstisch liegen jetzt eine Runde Schwimmen mit Robben etwa, eine UNICEF-Spende für sauberes Wasser im Sudan oder ein molekularer Kochkurs. Wem das zu konventionell ist, der kann sich auch einmal Baggerfahren wünschen. Mark StöhrGretna GreenFür Jahrhunderte galt das schottische Grenzörtchen Gretna Green minderjährigen Verliebten als Zufluchtsort. Hier schloss ein Schmied den Bund fürs Leben – ohne Zustimmung der Eltern. Lediglich zwei ➝Trauzeugen mussten der Zeremonie beiwohnen, der Amboss wurde zum Traualtar.Dramatische Szenen sollen sich abgespielt haben auf den Wegen nach Gretna Green, wenn verzweifelte Eltern ihren Kindern nachjagten. Davon berichtet ein üppig ausstaffiertes Museum inklusive Kutschenausstellung. Heute kann man hier regulär heiraten und sich hernach vor der reetgedeckten Schmiede fotografieren lassen. Ein Dudelsackspieler kostet 85 Pfund extra. Tobias PrüwerHomoeheDie umgangssprachliche Neuprägung geht glatt als Etikettenschwindel durch: Mit einer Ehe hat die eingetragene Lebenspartnerschaft soviel zu tun wie Gänsewein mit Grauburgunder. Die verpartnerten Menschen gleichen Geschlechts haben keinesfalls die Rechte wie Eheleute – und das ist gesetzlich gewollt. Unter der Regierung Schröder-Fischer 2001 eingeführt, blockierten die Unions-Länder im Bundesrat eine Gleichstellung etwa in punkto Steuer- oder Adoptionsrecht. Lebenspartner gelten weiter als ledig. In den meisten Bundesländern wird die Partnerschaft heute immerhin ausschließlich in Standesämtern vollzogen: Nur in Bayern reicht ein Notar und in Baden-Württemberg bilden Landratsamt oder Gemeindeverwaltung die Kulisse.Die katholische Kirche lehnt die Lebenspartnerschaft kategorisch ab, da sie den Status der Ehe schwäche (➝Tabu). Kritik kommt aber auch aus manchen Schwul-lesbisch-transgender-Gruppen. Sie sehen ein Ankuscheln an den heterosexuellen Mainstream. Das Bundesverfassungsgericht hat dessen ungeachtet die Gleichstellung mit der Ehe gefordert. Schwarz-Gelb gelobte Besserung – und dabei blieb es bislang. TPKreuzcousinenheiratHierbei handelt es sich um eine Verbindung von menschheitsgeschichtlich großer Bedeutung – es gab sie in allen Zeiten und in vielen Kulturen. Das Begriffsmonstrum bezeichnet die Ehe zwischen Kindern von Geschwistern unterschiedlichen Geschlechts, also etwa mit dem Kind der Schwester des Vaters oder dem Kind des Bruders der Mutter – wie bei Abraham und Isaak. (Im Gegensatz zur Parallelcousinenheirat, also mit dem Vaterbruder- oder Mutterschwesterkind – wie bei Kaiser Franz Joseph von Österreich und Sissi.)Klingt nach Inzest und damit nach ➝Tabu, ist aber keines: Die Kreuzcousine zu heiraten bedeutet, in eine andere Gruppe hineinzuheiraten. Die Kreuzcousine gehört nie zur eigenen Abstammungslinie, sofern Verwandtschaft entweder über die männliche oder die weibliche Linie definiert ist (im Gegensatz zur Parallelcousine, die immer zur eigenen Gruppe gehört). Die Kreuzcousinenheirat ist daher eine Heirat nach außen. Sie festigt und erneuert Allianzen. Heiraten ist in diesem Sinn die Schaffung friedlicher Beziehungen. raaLas VegasAm 1. Mai 1967 gaben sich Elvis Presley und Priscilla Ann Wagner in Las Vegas das Ja-Wort. Hochzeiten in der Glückspielmetropole waren wegen des liberalen Heiratsrechts dort schon vorher sehr populär. Doch nach der Traumtrauung brach ein regelrechter Boom aus. Es entwickelte sich eine Hochzeitsindustrie, wie es sie so wahrscheinlich kein zweites Mal gibt auf der Welt. In Las Vegas kann man bekanntlich immer und überall heiraten: in Kitsch-Kapellen, im Helikopter, im Heißluftballon, in speziellen Drive-Ins und – eh klar – mit Elvis als ➝Trauzeuge. Die amtliche Erlaubnis dazu gibt es an sieben Tagen in der Woche gegen ein paar US-Dollar.Seit einiger Zeit sind die Schlangen vor dem Marriage License Bureau aber deutlich kürzer geworden, manchmal kommt man – früher undenkbar – sogar sofort dran. Lediglich 92.000 Paare wollten 2010 noch getraut werden, 2004, allerdings einem Allzeithoch, waren es noch 128.250. Der Hauptgrund, so liest man, sei die Wirtschaftskrise. Zudem ist von einer allgemeinen Heiratsunlust die Rede. In ihrer Not stürzen sich die Hochzeitsmacher von Las Vegas auf bereits verheiratete Paare, die ihr Ehegelübde noch einmal erneuern wollen – und auf Homosexuelle. Die dürfen in Nevada zwar nicht heiraten, aber sie dürfen wenigstens so tun, als ob (➝Homoehe). MSSie fällt einem vor die Füße, die Liebe. Sie braucht dann einen Antrag, und dann braucht sie noch einen Ort (➝Gretna Green), an dem sie ewig wird oder zerplatzt wie ein Ballon. „Ich stand schon vor der Tür. Ich bin eben wieder abgefahren. Ich kann das nicht, Carrie“, sagt Mr. Big im ersten Sex City-Film, und Carrie fällt der lange Spitzenschleier wie ein Waschlappen ins Gesicht. Dabei sollte die Hochzeit doch groß in der Vogue aufgezogen werden (➝Bühne). Aber Mr. Big ödete das Pompöse an, die Fingerfood-Romantik, oder waren es Canapés? Flying Buffett? Die Tischkärtchen farblich abgestimmt mit den Menükarten? Wer das geplant hat, muss ein Amateur gewesen sein.Anders als Frank, der deutsche Hochzeitsplaner. Wedding-Planner sind gewissermaßen en vogue. Frank beherrscht die Excel-Tabellen und das Timing. Er hat aber auch Sinn für das Individuelle. Gothic-Hochzeiten nennt er „szenebezogen“, bei denen heißt es: ganz in Schwarz. Auf Youtube kann man seine Schritte verfolgen, aber am Ende fragt man sich doch ernüchtert: Wieso wollen die bloß alle heiraten? Maxi LeinkaufSpieleGähn, die Braut ist entführt? Muss nicht sein. Der neueste Trend: Spieleverbot! Um es durchzusetzen, muss man es frühzeitig streng kommunizieren. raaStandesbeamtenmetaphernEin Ausflugsschiff, die Hochzeitsgesellschaft hat Platz genommen, das Brautpaar wartet auf die Traurede. Der Standesbeamte hat sich was ausgedacht: Vom „Fluss des Lebens“ ist die Rede, der „tückische Stromschnellen“ bereit hält, durch die man hindurch muss, wenn man zum „Meer“ will. Doch auch hier drohen „Wellen“, „Stürme“, manchmal ein „Tsunami“. Das „Schiff“ kommt in „schwere See“, „läuft voll“, nur gemeinsam findet die „Crew“ zurück in „ruhiges Gewässer“, um am Ende im „Hafen“ einzulaufen. Ist das der Tod nach einem Haufen Ärger? Schöne Aussichten.Für den nächsten Termin hat der Standesbeamte bestimmt die andere Rede ausgedruckt. Zum Thema „Lotterie“ oder „Marathonlauf“. MSSurprise Wedding DancesDie Brubakers haben sich 2007 etwas Besonderes überlegt, um ihre Hochzeitsgäste zu überraschen – einen neuartigen Tanz. Das Video, das ihn zeigt, wurde bei Youtube bis heute mehr als 12 Millionen Mal angeklickt. Unter Brautpaaren entbrannte in der Folge ein Wettbewerb um den verrücktesten Surprise Wedding Dance. Das Prinzip: Nach anfänglichem Schwofen zu einem Liebeslied folgt ein Break und darauf ein präzise einstudierter Ausdruckstanz, je abgefahrener, desto besser! Ganze Filmszenen (Dirty Dancing) werden nachgetanzt, und vorher träge herumstehende Gäste entpuppen sich als eingeweiht und schließen sich an. Sophia HoffmannTabuSelbst die vermeintlich tabuloseste Gesellschaft kennt bis heute Tabus – etwa die Inzestschranke. Die Wahl eines Heiratspartners in der eigenen Kernfamilie ist weltweit nicht ohne Beispiel, aber doch ein ziemlich verbreitetes No-Go. Es gibt allerdings keinen Konsens darüber, wer als zur Familie gehörig bezeichnet wird (siehe auch ➝Kreuzcousinenheirat).Im globalen Rahmen vergleichsweise gut angesehen ist die zugleich in vielen Gesellschaften als skandalös empfundene Vielehe, meist die Verbindung eines Mannes mit mehreren Frauen (Polygynie). Dass eine Frau mehrere Männer hat (Polyandrie), ist seltener. Die Vielliebe (Polyamorie) ist zwar auch in der sogenannten tabulosen westlichen Gesellschaft gebräuchlich. Es gibt aber keine offizielle Anerkennung, etwa in Form eines Polytrauscheins. raaTrauzeugeKein Trauzeuge parat? Was tun? Das Standesamt meint (siehe auch ➝Eheringe): Trauzeugen sind nicht mehr erforderlich. Superlösung. raaZeitungEs gibt einige Hochzeitsbräuche, bei denen man sich auf einem schmalen Grat zwischen hübscher Tradition und Geschmacklosigkeit (➝Spiele) bewegt. Wie bei dem der Hochzeitszeitung. Ganze Internetportale beschäftigen sich mit dem handkopierten oder hochglänzenden Papier, das zur Unterhaltung und als Erinnerung dient. Wie bei jeder Zeitung ist es der Inhalt, der über die Qualität entscheidet. Entspricht er dem eines Klatschmagazins (stammen die ➝Eheringe aus dem Kaugummiautomaten?, Fotos von Expartnern), hatte Ulkonkel Toni seine Hände im Spiel. Mit etwas Glück hatte aber die wortgewandte Kollegin das Sagen, deren Grafiker-Mann geholfen hat. Seine Familie kann man sich eben nicht aussuchen, seine Freunde aber schon. SH