Filterkaffee schmeckt nicht im eigentlichen Sinne gut, selbst wenn die Werbung seit Jahrzehnten das Gegenteil behauptet. Dort nippen Menschen in entspannter Runde an ihren Tassen und kommen nicht mehr aus den Ahs! und Ohs! heraus. Dabei können die Bohnen noch so teuflisch sein, können Arabica heißen oder Robusta – der Filter macht sie alle gleich. Er nimmt dem Geschmack oben und unten und überführt ihn in eine sozialdemokratische Laschheit. Wer sich auf den Filter einlässt, erhebt nicht den Anspruch, besonders zu sein. Wer ihn verweigert, begibt sich in die Zone der Distinktion (➝Clooney). In der filterlosen Gesellschaft mag der Kaffee intensiver schmecken (u. U. aber auch nicht ➝Manuelles Verfahren), dafür wird verbiss
Kultur : Der Melitta-Mann heißt Clooney
Unter der Hegemonie von Latte macchiato und Cappuccino soll kein Platz mehr für Filterkaffee sein. Wie steht es um die gesellschaftliche Bedeutung dieses Heißgetränks?
nicht ➝Manuelles Verfahren), dafür wird verbissener um die Bohne gekämpft. Lascher war manchmal lustiger. Mark StöhrBaristaEigentlich heißt Barista auf Italienisch Barkeeper. Aber mit dem internationalen Siegeszug der italienischen Kaffeekultur wurde aus dem Barista ein neuer Beruf. Der moderne Barista ist nur für Kaffee aus dem Halbautomaten zuständig, hat ein fundiertes Wissen über Kaffeebohnen, deren Röstung, das Aufschäumen von Milch und die optisch gelungene Präsentation. Das geht soweit, dass der Cappuccino zum Kunstobjekt wird, der Milchschaum zu schade, um ihn wegzuschlürfen, wenn sich auf seiner cremigen Oberfläche kleine Schwäne, Seepferdchen oder Löwenköpfe tummeln.In manchen Ländern, wie zum Beispiel in Australien, ist der Hype um diesen Firlefanz so groß, dass die Berufswahl als sichere Karriereleiter gilt. Wer sich also entschließt, seine Leidenschaft dem Malen von Milchbildern zu widmen, kann aus einem breiten Angebot von Kursen wählen, ab 49 Euro pro Tag. Und natürlich gibt es auch Weltmeisterschaften, bei denen eine Jury Geschmack, Aussehen, Technik und Gesamteindruck bewertet. Insofern verdanken wir dem distinguierten Kaffeegenussverhalten (➝To Go, ➝Clooney) so manchen Arbeitsplatz, den der ➝Melitta-Mann einfach nicht zu schaffen in der Lage war. Sophia HoffmannClooney, GeorgeDer Werbespot existiert in mehreren Versionen, der Basisplot aber geht so: George Clooney wird nach dem Besuch eines Nespresso-Shops von einem herabstürzenden Klavier erschlagen. Im Himmel erwartet ihn John Malkovich als Gott. Der hat es auf Clooneys ➝Kaffeemaschine abgesehen und bietet einen Deal an: Maschine gegen Leben. Der Himmel trinkt Nespresso, so die Botschaft.Die Aluminiumkapseln und Brühautomaten des Schweizer Herstellers sind schon wegen ihres Preises ein Distinktionsfall. Auch die Vermarktung setzt voll auf Exklusivität. Während der ➝Melitta-Mann einer von uns war, steigen für Nespresso zwei Außerirdische aus Hollywood in den Ring. Insbesondere Clooney, die Verkörperung des weltgewandten Gentlemantums, positioniert Kaffee in der Jetset-Zone (➝To Go) der Kreditkarten und Longdrinks, das smarte Augenzwinkern inklusive. Fehlt nur noch jemand, der den Aluminiummüll entsorgt. MSErfindungenSie hatte es satt, immer den Kaffeesatz zwischen den Zähnen zu haben. Also nahm Amalie Auguste Melitta Bentz kurzerhand eine Blechdose, klopfte mit einem Nagel Löcher in den Boden und legte ein Löschblatt aus dem Schulheft ihres Sohnes hinein. Es war die Geburtsstunde des Papierfilters (➝Feinschmecker), die Erfinderin Mutter dreier Kinder. Als die Zubereitung von kaffeesatzfreiem Kaffee in ihrem Freundeskreis auf Begeisterung stieß, beschloss sie, ihre Idee zu vermarkten. Am 20. Juni 1908 erteilte das kaiserliche Patentamt der Dresdenerin den Gebrauchsmusterschutz.Melitta (➝Melitta-Mann) wurde bald zum Synonym für die Filtertüte, im Ausland abschätzig angesehen, in Deutschland aber marktbeherrschend, weil sie sauberen Kaffee verspricht. Noch immer regt das Heißgetränk weltweit den Erfindergeist an. Die jüngste Erfindung stammt aus den USA und nennt sich Aeropress. Sie wurde 2005 von Alan Adler entwickelt, der den Papierfilter mit einem Presskolben verbunden hat. Man muss also nicht warten, bis der Kaffee mittels Schwerkraft den Weg in die Kanne gefunden hat, sondern kann die Brühzeit selbst genau bestimmen. Jörn KabischFeinschmeckerPapier, in diesem speziellen Fall das Papier des Kaffeefilters, der dem Filterkaffee seinen Namen gegeben hat, hat einen entscheidenden Nachteil: Es saugt sämtliche Fette aus der zu filternden Flüssigkeit; beim Kaffee sind das die so genannten Brühkolloide, also ausgerechnet die Geschmacksträger.Für Feinschmecker ist Papier daher nichts. Sie schwören auf Titan- oder Goldfilter. Die Poren in den Metallfolien trennen rein mechanisch feste von flüssigen Bestandteilen und sind abwaschbar, aber nicht spülmaschinenfest. Die Beschichtung mit den Edelmetallen soll jede geschmackliche Beeinflussung verhindern. Bei professionellen Kaffeeverkostungen wird übrigens nicht mal dieser Filter benutzt, sondern die guten alten Karlsbader Kannen kommen zum Einsatz. Nur der Keramikfilter (ohne Papier) gilt als absolut geschmacksneutral (siehe ergänzend auch Presskolbenfilter unter ➝Erfindungen). JKKaffeekränzchenDie geselligen Zusammenkünfte sozial gleichgestellter Frauen (meist höher gestellter, die anderen mussten servieren) gehen bis ins 17.Jahrhundert zurück. Der Name Kränzchen leitet sich von der Tradition des Pfingstschießens ab, die Trophäe war ein Kranz und wer sie schoss, musste die nächste anstehende Festivität ausrichten. Vor allem im deutschen Bürgertum war das Kaffeekränzchen lange ein bedeutender Anlass, bei dem die Frauen sich über ihre Sorgen und den neuesten Klatsch austauschten. Neben dem einen oder anderen Likörchen wurde Kaffee gereicht, Filterkaffee. Eine Unterform dieses Damenkränzchens war das sogenannte Jungfernkränzchen. Einerseits ein Phänomen der katholischen Jugendbewegung des 19.Jahrhunderts, diente es der Gruppenförderung unverheirateter Mädchen und verfügte gar über ein eigenes Magazin (Das Kränzchen, 1888 bis 1934). Andererseits ein spöttisches Synonym für die Zusammenkunft sogenannter alter Jungfern.Heute finden Frauenkränzchen aus Zeitmangel meist wochenends statt und heißen Brunch. Kaffee wird dabei immer noch gerne getrunken. Ob es Filterkaffee ist? Das steht auf einem anderen Blatt Papier (➝Feinschmecker). SHKaffeemaschineDas gebräuchlichste Mittel, um Filterkaffee herzustellen, ist immer noch die Kaffeemaschine. Der erste elektrische betriebene Apparat war der 1954 patentierte „Wigomat“. Er verwendete das noch heute übliche Aufgussverfahren, in dessen Rahmen das Wasser erhitzt wird und tröpfchenweise durch den mit gemahlenem Kaffee gefüllten Filter in eine Kanne auf einer Wärmeplatte gelangt.Maschinen dieser Art eroberten in den siebziger Jahren den Massenmarkt. Heute herrscht Vollversorgung: 95 Prozent aller deutschen Haushalte besitzen mindestens ein Gerät. Seit Jahren allerdings stagniert der Absatz. Im Segment Haushaltskleingeräte verkauft sich die italienische Espressomaschine immer besser.Wenn Sie ihre alte Kaffeemaschine also auch schon im Schrank stehen haben, dann holen Sie sie doch mal wieder raus und stöpseln sie ein (Begründung siehe unter anderem ➝Zischen). JKManuelles VerfahrenMan kann mit Kaffee viel falsch machen. Was aus dem Filter der ➝Kaffeemaschine tropft und anschließend über der Warmhalteplatte wieder verdampft, das sollte man nur auf den Durst trinken. Herkunft, Röstung und Mahlgrad des Kaffees, Wasserhärte und -temperatur sowie die Brühzeit sind die entscheidenden Stellschrauben bei der Zubereitung. Viele Kaffeemaschinen erreichen die notwendige Temperatur nicht, der Kaffee wird dann bitter, andere tropfen zu langsam, dann wird er sauer. Und leider kompensieren sich diese beiden Unannehmlichkeiten gegenseitig nicht.Aber man kann die Prozedur selbst in die Hand nehmen , wenn man den Kaffee aufgießt: Das Wasser darf nicht mehr kochen, ansonsten verflüchtigen sich die Aromastoffe. Eine Temperatur von 86 bis 89 Grad Celsius ist perfekt. Das Kaffeemehl wird nun mit einem kleinen Schwall Wasser vorgebrüht. Auf diese Weise werden die gerösteten Öle, Fette und Bitterstoffe gelöst. Nun das Wasser in kleinen Mengen alle zehn Sekunden schwallweise nachgießen. Der Vorgang sollte vier bis sechs Minuten dauern. Unter vier Minuten entfalten sich die Aromen nicht, nach über sechs Minuten verflüchtigen sie sich bereits. JKMelitta-MannIn Hemd und Pullover geisterte der Melitta-Mann ab 1989 für zehn Jahre durchs TV. Der Mann mit Glamourfaktor Null spiegelte den gelebten Biedermeier der Wohnzimmerschrankwandwelt. Er stand für die alte BRD und wurde mit Untergang der Bonner Republik umso wichtiger. Bis er aus der Mode kam: Der Melitta-Mann, verkörpert von Egon Wellenbrink, ist ein später Wendeverlierer, ein Loser der Globalisierung. Abgelöst von einer Trinkkultur, an deren Spitze die selbsterklärte digitale Boheme mit all ihren Projekten steht (➝To Go), hat der brave Bürgerratgeber ausgedient, der fast einfältig empfiehlt: „Melitta macht den Kaffee zum Genuss.“ Heute repräsentieren komplexere Figuren die komplex gewordene Kaffegenusswelt. Der Nachfolger des Melitta-Manns heißt, tatsächlich: ➝Clooney, George. TPTankstellenkaffee Kaum sind wir auf der Autobahn, werde ich nervös und schaue nach der nächsten Abfahrt. „In fünf Kilometern rechts“, weise ich den Fahrer an (früher war das meist mein Vater). „Wie bitte?“, versucht er meist zu intervenieren, als hätte er nur den Hauch einer Chance. Wir halten also an der ersten Raststätte. Schon der Name lässt mich träumen. Raststätte! Das klingt nach just another word..., nach Reisen ohne Ankommen, auch wenn wir ein Ziel haben, Dresden oder München, auch wenn der Fahrer ausgerechnet hat, wie lange wir brauchen, „wenn wir zügig durchfahren“.Ich sage lässig: „Bitte wenig Milch!“ Ein ehrlicher Tankstellenkaffee ist gerade stark genug. Und er ist schwarz. So wie ihn Bauarbeiter trinken aus ihren Thermosbechern. Oder Bühnenarbeiter in der Zigarettenpause. Ich rauche leider nicht mehr, aber ich bestelle Filterkaffee, auch wenn an Tankstellen jetzt immer mehr Automaten mit Fremdwörtern stehen. Ich provoziere damit meine Oma bei unserem jährlichen Chinesischessen. Nach sechs verschiedenen Entengerichten fragt sie: „Noch ein Dessert?“ – „Ich nehme einen Espresso“, antworte ich süffisant. Sie schaut mich zornig an: „Du immer mit deinen Extrawünschen!“ Maxi LeinkaufTo GoDie moderne Arbeitswelt werde mehr und mehr zur losen Ansammlung von Jobs und Projekten, konstatierte der Soziologe Richard Sennett schon 1998. Alles fließt, die feste Arbeitsstelle gibt es nicht mehr. Dass der flexible Arbeiter auch in Deutschland längst angekommen ist, lässt sich am Erfolg dreier Worte ablesen: „Coffee to go“. Kaffee zum Mitnehmen soll das heißen, aber trendiger und auch nicht nach Stehcafé klingen. Die denglische Wortschöpfung traf wohl einen Nerv, und selbst Burgerbratbuden kommen nicht an ihr vorbei.Im Einwegbehälter aus Pappe an jeder Ecke gereicht statt in der Goldrandtasse am Beistelltisch, besorgt der Coffee to go den Koffeinschock unterwegs. Denn die hypernervöse Jetzt-Welt ist weder Kindergeburtstag noch ➝Kaffeekränzchen; der Mensch von heute ist permanent unterwegs oder muss wenigstens so aussehen. Der Coffee to go ist das Statussymbol aller Erfolgreichen und Wannabe-Erfolgreichen, die nicht nur das Geld auf der Straße finden (wollen). Auch Geselligkeit findet on the run statt. Die Kaffeeteilchen dazu werden mobil gereicht. TPZischenEs gibt Geräusche, die sind vom Aussterben bedroht. Man findet sie noch bei Besuchen in der Heimat. Das Knirschen des Sonnenschirmständers auf dem Waschbeton der Terrasse etwa.Auch die Kaffeemaschine produziert so ein selten gewordenes Elterngeräusch. Zum Ende des Mittagessens hebt sie an zu ihrer Symphonie. Mit einem Tröpfeln zunächst, das rasch zum Fließen wird. Wenn ein Gutteil des Wassers durch den Filter gelaufen ist, dann das Finale: ein Ächzen und Gurgeln, das sich in einem donnernden Gewitter entlädt. Die Espressoautomaten und Padmaschinen moderner Prägung (➝Kaffeemaschine) kennen keine Dramaturgie, kein Vorspiel. Sie kommen gleich zur Sache. Ihr Geräusch: ein gleichförmiges Summen, manchmal zum Schluss hin ein kurzes Zischen. Kaffee im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. MS