Im Kindergarten montiert der Nachwuchs herbstliche Objekte, Männer zimmern ihr Selbstbild und Nerds Collagen und Mashups: Sind Bastler die Figuren der Gegenwart?
Eine Toilette mit Aussicht, das ist doch mal was. Da aber die Physik vorsieht, dass, wenn man rausgucken, auch reingucken kann, steht das WC-Häuschen mit der offenen Front hoch oben in Letná, auf einem Hügel im Norden von Prag, wo man meist für sich ist und dabei schön die tschechische Kapitale überblicken kann.
Das Guck-Klo ist eines der jüngeren Werke des Architektentrios H3T. Die drei Prager sind herrlich spleenige Bastler. Ihre Erfindungen sind zwar nicht immer funktional, aber voll funktionsfähig. Wie ihre mobilen Saunen. Die eine sitzt auf einem Anhänger und verfügt über Bänke links und rechts, auf denen man während des Luftholens die vorbeiziehende Landschaft genießen kann. Die andere ist ein schwimmende
haft genießen kann. Die andere ist ein schwimmendes Holzkabuff, das man nur per Boot erreicht. Und nach dem Saunagang vielleicht eine Tasse Tee? Auch dafür hat H3T ein charmantes Häuschen gezimmert – und auf einen Kran in 20 Metern Höhe gesetzt. Den Herren geht die gute Aussicht über alles. Mark StöhrBastler, derHorst Seehofer besitzt, wie es heißt, eine Märklin H0 im Maßstab 1:87, die im Keller seines Ferienhauses in Schamhaupten stehe. Prof. Brinkmann aus der Schwarzwaldklinik wünschte sich 1984, zum Dank für eine gespendete Niere, nichts sehnlicher als eine Modelleisenbahn. Beide, Politiker und Chefarzt, verkörpern eine tradierte Bastlerfigur, die im Privaten unbehelligt ihren inneren Lokführer kreisen lassen kann (➝ Yourself, do it).Doch neben diesen regenerativ tätigen Bastler, der am wohlverdienten Feierabend bizarren Hobbys frönt, ist eine neue Figur getreten, die ebenfalls Bastler heißt: Sie ist nicht mehr Ladegerät, sondern Motor der Gesellschaft, nicht mehr privat, sondern öffentlich. Speziell in ihrer Tätigkeit als titelseitentauglicher Bomben- und als Computerbastler ist sie heute in der Lage, selbst die Welt aufs Gleis zu setzen, maßstabsgetreu. Klaus RaabBricolageFrz. Begriff für Bastelei. Dirk von Gehlen erklärt den Begriff im Glossar seines Buchs →Mashup so: „Manchmal wird er auch synonym zum Sample verwendet. Für den Anthropologen Claude Lévi-Strauss war Bricolage ein zentraler Begriff, mit dem er die Entstehung und Weitergabe von Mythen erklärte.“ Lévi-Strauss selbst schrieb 1962, in seiner „ursprünglichen Bedeutung“ betone das Verb bricoler „eine nicht vorgezeichnete Bewegung: die des Balles, der zurückspringt, des Hundes, der Umwege macht, des Pferdes, das von der geraden Bahn abweicht, um einem Hindernis aus dem Weg zu gehen“. Die „intellektuelle Bastelei“, die Lévi-Strauss mit Bricolage meint, das geistige „Nehmen und Verknüpfen“ dessen, „was da ist“, könne, wie die handwerkliche Bastelei, „glänzende und unvorhergesehene Ergebnisse zeitigen“.Die Tätigkeit des Bastelns schließt also nicht allein technische Tätigkeiten ein, sondern im Grunde jede noch so originell anmutende Tätigkeit, bei der aus Bestehendem etwas Neues entsteht. Das Wörterbuch der Völkerkunde verweist unter dem Eintrag „Bricolage“ denn auch ohne Umwege auf den Eintrag „Synkretismus“, die „heute umstrittene Bezeichnung für die Vermischung zweier oder mehrerer kultureller (meist religiöser) Traditionen“. Man kann sagen, die Welt war schon immer eine Bastelstube. raaErziehungAls Kind war mir diese Panik fremd, am 23. Dezember noch ohne ein Geschenk da zu stehen. Ich kaufte nie was, sondern bastelte es selber. So wie alle anderen. Im „Bastelzentrum“, einem Holzhäuschen auf dem Weihnachtsmarkt am Alexanderplatz, konnten wir Holzstückchen oder Figuren bearbeiten, indem wir mit einem Gerät, das einem Lötkolben ähnelte, kleine Muster einbrannten. Oder wir bastelten Sterne aus Stroh, die wir später an den Weihnachtsbaum hängten. Picklige Jungs fädelten Plaste-Perlenketten, und zierliche Mädchen schnitzten Pyramiden. In der DDR war „Produktive Arbeit“ auch ein Schulfach: Es gab den kleinen Unterschied (offiziell) nicht. Wir trugen alle Blaumann und feilten an Alu-Teilen herum. Dieses pädagogische Prinzip wird heute auch an Waldorf-Schulen gepflegt. Vor kurzem hat ein Lehrer mir vorgeschwärmt, er habe einer Schülerin das Schweißen beigebracht. Doch was nützt mir heute diese „Bastel-Dir-Dein-Leben“-Manier? Baue ich allein ein Ikea-Regal auf? Wenn ich mal einen „Kreuzer“ brauche, rufe ich jedenfalls erst meinen Bruder an. Maxi LeinkaufHeldenWenn Nerds zu Schere und Papier greifen, dann nicht, um einen Dampfer oder Kranich zu falten. Cubeecraft bietet solche Gimmicks an, denen sich auch die digitale Avantgarde nicht entziehen kann. Ein ganzes Arsenal an Helden und Schurken, von Captain America über Donnergott Thor bis Lord Voldemort, steht hier zum Zusammenfalten bereit. Die kostenlosen Bastelbögen muss man nur per Farbdrucker auf ein DIN-A4-Blatt übertragen. Einzig eine Schere ist vonnöten, um den sehr kantig gehaltenen Staubfängern Leben einzuhauchen, denn das Konstruktionsprinzip basiert auf einhakenden Laschen. Tobias PrüwerHerbstOffiziell am 22. September beginnende Jahreszeit, in deren Verlauf die Bäume ihre Blätter und Früchte lassen. Was insofern gut ist, als sich diese zum Basteln eignen. Weniger für die oben beschriebenen ➝ Bastler als für die Eltern bastelnder Kinder. Das Ergebnis ihrer Tätigkeit heißt ➝ Kastanienmännchen. raaKastanienmännchenMit Stöckchen zur Figur verbundene Kastanien. Zahnstocher eignen sich wegen der Spitzen besser als Streichhölzer. Außer, eine Kastaniengiraffe wird produziert: Dient der dünne Zahnstocher als Hals, auf dem eine Kopfkastanie thront, kann er brechen. Der Puppentierarzt muss kommen. raaKinderüberraschung (kurz Ü-Ei)Sie befindet sich seit 1974 im Sortiment der sogenannten Impulsware, von Eltern auch gerne Quengelware genannt, weil sie in Kinderaugenhöhe direkt neben der Supermarktkasse aufgebaut wird. Darin: ein Schokoladenei. Darin: ein gelbes Döschen. Und darin: die Überraschung. Handelt es sich hierbei um eine Figur aus einer Reihe (Happy Hippos, Bingo Birds, Top Ten Teddies), kann man sie auf Fachmessen verhökern. Handelt es sich um einen Schnellbausatz, sind dagegen Erwachsene und Kinder gleichermaßen in den Bann gezogen – bis man sie zusammengebaut hat. Danach dienen die debil grinsenden Autos und brüllenden Mülltonnen bis zur Entsorgung als Staubfänger auf dem Küchenregal. Was bleibt, sind die Döschen, in denen der Mist drin war. Aus denen kann man dann einiges basteln, von der Babyrassel bis zum Wackel-Dackel. Sophia HoffmannLebenslaufUnvermeidliches Accessoire jeder Bewerbung. In der Regel genauso zusammengebastelt wie die Alien-Skulpturen eines experimentellen Recycling-Künstlers: Man sammle seine besten Referenzen, schmücke sie aus bis kurz vor die Unglaubwürdigkeitsgrenze und drucke das Ergebnis auf feinstes Büttenpapier. Das Basteln am Lebenslauf ist zur Wissenschaft geworden: Was kommt gut an? Welches Layout ist angemessen? Hapert es am Basteltalent, kann man sich Hilfe besorgen: Von Vorlageformularen bis zum 24-Stunden-Service für die Fremderstellung gibt es unzählige Angebote.Doch was ist eigentlich mit dem Hobby „Basteln“ im Lebenslauf? Möchte man seine handwerklichen Fähigkeiten hervorheben, raten Spezialisten von der Nutzung des B-Worts ab und empfehlen die Formulierung: Kreatives Gestalten mit verschiedensten Materialien. Klingt gleich viel mehr nach Alien-Skulptur. SHLegoDas bislang gigantischste Lego-Modell aus 2.048 Teilen, ein Unimog, verfügt über einen Motor mit beweglichen Kolben und eine elektrische Seilwinde. Er lässt sich zum Schneepflug umrüsten. Highlight ist die „Kombination aus Power Funktion und Pneumatik“. Aha.Lego war schon immer besser als Playmobil, weil dort von Ritterburg bis Ponyhof alles vorgefertigt war. Der dänische Plastik-Klotz-Hersteller hat erkannt: Beim Spielen geht es ums Kreieren. Hier ist das Kind quasi ein Demiurg, der sein ganz eigenes Universum sogar ohne Spielanleitung zusammenstecken kann.Umso merkwürdiger scheint der neue Trend: Glaubt man der SZ, sind schon jetzt zehn Prozent der Lego-Kunden Erwachsene. Womöglich tappt der Hersteller damit in eine Falle: Wenn man eine Lehre als Mechatroniker absolviert haben muss, um die Lego-Rätsel verstehen zu können, kommt man jener Borniertheit von Playmobil nahe, wo man meint, einem alles vorsetzen zu müssen. TPMashupDa hat sich ein Journalist eines Themas angenommen, das ihn seit Jahren umtreibt. Gute Voraussetzung. Dirk von Gehlen, Redaktionsleiter von jetzt.de, den Jugendseiten der Süddeutschen Zeitung, hat ein Buch über das Mashup geschrieben – und schon das Glossar allein wäre lobenswert: Genauer bekommt man wohl kaum irgendwo in dieser Dichte aufgedröselt, wo die Definitionsunterschiede zwischen einem Remix und einer Bricolage liegen, also einer geistigen Bastelei mit dem, „was da ist“; zwischen Intertextualität und Plagiat, zwischen Raubkopie und Filesharing. Vor allem aber ist eine Verteidigung des „kreativen Kopierens“ als Kulturtechnik überfällig – nicht zu verwechseln mit einem Lob des Urheberrechtsbruchs. Ähnlich wie von Gehlen haben schon andere argumentiert, aber jenseits der Wissenschaft selten so unpolemisch, so differenziert und so quellenreich. Das macht es ja so originell. raaDirk von GehlenMashup. Lob der Kopie Suhrkamp 2011, 233 S., 15 €MülldrachenBasteln im Spätsommer (vgl. ➝ Herbst) bedeutet: Drachenbauen. Um Unmut zu vermeiden, wenn das selbst gebaute Ungetüm bei der Landung zerschellt, greift der Anfänger besser auf einfache Designs und billige Materialien zurück. Am besten nimmt man, was ohnehin niemand mehr braucht: einen Müllsack oder eine Plastiktüte. Dazu braucht man: Drachenschnur, Trinkhalme, Transparentpapier.Und so geht’s: Das Plastikmaterial zum Sechseck zuschneiden und ins innere Quadrat die Trinkhalme so kleben, dass links und rechts zwei Dreiecke wie Ohren weg stehen. Zwischen diesen wird eine Schnur gespannt und in deren Mitte die Leine befestigt. Fertig. Für die große Flugschau das Gerät bei milden Winden starten lassen und Brecht zitieren: „Fliege, fliege, kleiner Drache / Steig mit Eifer in die Lüfte / Schwing dich, kleine blaue Sache / Über unsre Häusergrüfte!“ TPSeifenkistenEs gibt Leute, die verdanken einer Seifenkiste ihr Matschauge. Es war in den späten Siebzigern, irgendwo im Süddeutschen. Die Konstruktion wirkte stabil: ein Miniatur-Zeppelin aus Sperrholz und Pappmaché, aufgesetzt auf die Karosserie eines ausrangierten Kinderwagens. Die Lenkung war eine sogenannte Schwenkachsenvorrichtung. Und genau die war das Problem. Schon nach wenigen Metern fuhr das Klappergefährt geradeaus, wo eine Kurve war, und stürzte einen Abhang hinab. Die Kiste war Schrott und das Auge auch ein bisschen.Seifenkistenrennen waren einmal ein richtiger Wettbewerbssport mit Meisterschaften und Pokalen. Davon ist heute nicht mehr viel übrig. Auch das Synonym „Kinderautomobil“ trifft die Sache nicht mehr so recht. Oder kennt noch jemand Kinder oder Jugendliche, die sich in mühsamer Kleinstarbeit einen Vierräder zusammentackern, der noch nicht mal über einen Motor verfügt? Die Seifenkiste scheint out zu sein oder vielleicht auch einfach eine Spur zu offline. MSYourself, do it Es immer dasselbe in den Werbepausen der Sportschau: Blank gewienerte Automobile, die ohne einen Hauch von Abgas durch die Landschaften schweben. Strahlende Segler, die mit Bierflasche, aber ohne Leberzirrhose, durch die Wellen gleiten. Und Mike Krüger, der sich eine Badewanne samt einer Kolonne Quietscheentchen bestellt, oder Boris Becker, der seiner Frau zwei Tonnen Blumen vor die Füße stellt. Die Zielgruppe für Werbespots ist selten so klar definiert wie hier: Autofahrer, Biertrinker und Heimwerker. Menschen also, mit denen man gerne viel Zeit verbringt.Doch die Imagepolitik der Baumärkte ist unterschiedlich: Während Praktiker und Hagebaumarkt mit Promipower eher die klassische Klientel umgarnen, präsentiert Hornbach seit jeher Spots an der Grenze zum Wahnsinn. Der aktuelle Trailer handelt von den Bewohnern eines osteuropäischen Dorfes, die verlernt haben, ihre Hände zu gebrauchen. Adressaten sind wohl eher Bohème-Bastler, die lieber an ihrem ➝ Lebenslauf werkeln als an ihrem Laminatboden. MS