Heute wird das Aufbau Haus am Berliner Moritzplatz eröffnet - der Aufbau Verlag hat gestern schon mal vorgefeiert. Kreative sollen sich hier unter einem Dach vernetzen
Man schaut auf einen Dönerladen, wenn man am Moritzplatz aus dem U-Bahnhof steigt. Und weiß, man ist in Kreuzberg.
Aber dieses neue, moderne Haus, das dort eröffnet hat, wirkt an diesem leeren, etwas öden Ort, wie ein Fremdkörper. Nur wenige Meter weiter verlief früher die Mauer.
Tritt man ein in dieses loftartige Gebäude, mit weiten Gängen und kleinen Brücken aus Eisen, fühlt man sich etwas verloren. Der Weg zur Dachterrasse führt an Betonwänden vorbei, an Kreativ-Shops und Büros mit Designer-Lampen. Ein kühles Ambiente. Aber dann, in der dritten Etage, hängen Schriftstellerporträts an den kahlen Mauern, Bücher stehen in weißen Regalen, hier ist also Kultur. Der Aufbau Verlag hat am gestrigen Abend se
estrigen Abend seine neuen Räume eingeweiht.Auf der weitläufigen Dachterasse schauen, meist schwarz gekleidete Leute, in den spätsommerlichen Himmel, mit Aperol-Spritz in der Hand, das passt grandios zu diesem Abend. Es ist ein einmaliges urbanes Projekt, also sind viele Menschen gekommen, Autoren, Lektoren, Journalisten, Medienvolk und Freunde."Man beginnt sich heimisch zu fühlen", begrüßt Aufbau-Geschäftsführer René Strien sie alle, "und wir sind verkehrsmäßig gut angebunden". Doch eigentlich will man ja gerade von diesem Sonnendeck gar nicht weg.Wie kaum ein anderer steht der 1945 von Johannes R. Becher (später Kulturminister der DDR) gegründete Aufbau-Verlag für die Eruptionen der Hauptstadt, für ein sich ständig wandelndes Berlin. Das Haus mit Stammautoren wie Anna Seghers, Lion Feuchtwanger, Erwin Strittmatter und Hans Fallada im Repertoire, war lange in der Französischen Straße zuhause, in einem ehemaligen Bankgebäude. Nach der Wende kamen "schlimme Einschnitte", von mehr als hundert Mitarbeitern blieben etwa dreißig übrig. Das Haus zog an den Hackeschen Markt, dorthin, wo etwas Neues entstanden ist. Aber aus dem "Vorzeige-Osten", wie Strien sagt, wurde eine Touristenmeile. Kein Nährboden mehr für Kreative. Am Moritzplatz, dem ewigen Brachland, entstehe nun die "eigentliche Mitte von Berlin". Kreuzberg sei der jugendliche Bezirk im alten Westberlin. Hier frage keiner mehr nach Ost oder West: "Das passt zu uns". Klingt groß. Zu groß?Bitte nicht rauchen!Die Bedeutung mittlerer Verlage scheint in Zeiten von E-Publishing und Internet kleiner zu werden. In der beliebiger anmutenden medialen Welt, "tun wir, was wir können und das, was Not tut: gute Qualität abliefern", erklärt Strien etwas schwammig und schwärmt von einem Treffen mit Monsieur Gallimard in Brüssel. Dort habe er vor ein paar Tagen das erste Mal Lobbyarbeit geleistet.Der andere Aufbau-Geschäftsführer, Tom Erben, überreicht dem zweiten "Visionär", Matthias Koch, eine schwarz-weiß- Johannes R. Becher-Fotografie. Der Mitte 60jährige Deutschlehrer, der auch die Finanzen einer Erbengemeinschaft verwaltet, hat 2008 den Verlag gekauft und damit vor der Insolvenz gerettet. Ohne ihn gäbe es dieses Haus nicht. Und auch die Idee, eine kreative Szene unter einem Dach zu versammeln, Kunst und Kommerz zu vereinen, Vernetzung und Symbiosen zu schaffen, ist seine.Aber das Allerwichtigste an diesem Abend: Bitte in den Räumen des Verlags nicht rauchen! Die Feuerlöscher springen sofort an. Die Terrasse ist die Rettung, man atmet auf. Ja, es gibt noch Kreative, die lustvoll paffen wollen.Und sie stürzen sich auf die Buffets. "Themenbuffets", man ist erfinderisch in diesem Haus.Zu Falladas Jeder stirbt für sich allein kann man Berliner Spezialitäten bekommen – Bouletten. "Ick denke bei Fallada eher an Der Trinker", sagt eine Dame, die Hörbücher produziert. Es gibt ein kleines französisches Buffet am Stand des Buches Madame Hemingway, und Mozarella Tomate bei den Italiern. Und weil wir in Kreuzberg sind, aber keine Türken: Entendöner.Ein Journalist plaudert über ein Buchprojekt, das er gerade abgeschlossen hat, es geht um Patchwork-Familien.Thomas Krüger, Chef der Bundeszentrale für politische Bildung, schwärmt von Tel Aviv, dieser morbiden Metropole, in der er ein "DDR-Déja Vue" hatte, und an das Projekt "Versuchsdemokratie" denkt. Es klingt als hänge ihm die untergegangene Bürgerbewegung noch immer nach.In einer Ecke der Terrasse steht Theologe und Freitag-Herausgeber Friedrich Schorlemmer und theoretisiert über Europa, das an seine Grenzen gekommen ist, an einen Punkt, vor dem er schon in den Neunzigern gewarnt hätte. Dann ist er schnell wieder nach Wittenberg verschwunden. Eine junge hübsche Agentin fragt ihren Autor: "Und, wie weit bist Du?"Swing-Musiker Andrej Hermlin ist zum Feiern gekommen, er hat bei Aufbau seine Autobiografie publiziert, auch Autor Rafael Seligmann und Journalist Harald Martenstein schauen vorbei. Der alte Mann und das Haus 17.000 Quadratmeter für Künstler, Handwerker und Kaufleute - hier sollen sich Leser und Autoren, Künstler und ihre Käufer begegnen. Es gibt ein Theater, eine Buchhandlung, ein Restaurant, Galerien, ein Kochstudio, Geschäfte und den "Planet Modulor", einen Laden indem Architekten und andere Kreative ihre Materialien einkaufen können.Doch braucht Berlin überhaupt so einen Ort?Einerseits ja, denn wo wächst diese Stadt noch, wenn nicht in der urbanen Kreativindustrie?Andererseits, die meisten in dieser Szene sind Einzelkämpfer, häufig prekär, sie können sich wahrscheinlich die Büromiete gar nicht leisten. Die digitale Bohème, oder was von ihr übrig ist, passt nicht so recht in solch ein repräsentatives Haus, sie bleibt lieber im Home-Office.Den Stadtteil Kreuzberg hingegen könnte es aufwerten, manche Anwohner vermissten eine gute Buchhandlung in der Nähe, und es könnten sich im Umfeld weitere Läden ansiedeln, das Viertel gentrifizieren. Fragt sich, wem das am Ende nutzt. Ein Mieter, der schon vorher hier gewohnt hat, seit vielen Jahren, konnte nicht rausgeklagt werden. Der alte Mann und das Haus.Eine niederländische Band spielt später Soul, manche wippen mit, aber es kracht nicht. Kreativ sein macht müde.Beim Gehen kann man noch ein fein gebundenes Charles Dickens-Buch mitnehmen. "Gibt es das auch als E-Book?", fragt ein junger Typ. Er sei so oft umgezogen in letzter Zeit, er behalte nur noch die persönlichsten Bücher.