Wenn uns im Netz jemand ärgert, stempeln wir ihn schnell als Troll ab. Aber wer sich mit seinem digitalen Widersacher trifft, lernt einiges dazu – und ihn womöglich schätzen
Als der britische Fernsehmoderator Noel Edmonds sich dazu entschloss, den Studenten zu treffen, der die Facebook-Gruppe „Könnte bitte jemand Noel Edmonds umbringen“ gegründet hat, tat er einen mutigen Schritt. Und trotz der Art und Weise, wie die Geschichte dargestellt wurde, kann man diesen Studenten nur schwer als Troll bezeichnen – das heißt als jemanden, der Dinge postet, nur um andere zu verärgern. Jemanden, der im Netz negative Dinge über einen verbreitet, zu treffen, mag vielen sinnlos erscheinen, ich aber lese Online-Kommentare mit anderen Augen und habe ein anderes Verständnis vom Trollen, seit ich meinen vermeintlichen Troll getroffen habe.
"Clifford", oder Clifford49, war irgendwann permanent auf der Internetseite der Birmingham Pos
Übersetzung: Holger Hutt
ingham Post, bei der ich arbeitete, präsent. Wenn wir eine Geschichte ins Netz stellten, standen die Chancen gut, dass Clifford den ersten Kommentar absetzen würde – und er hatte nie auch nur ein gutes Wort übrig. Die Sache begann zum Problem zu werden: Stammleser schickten mir E-Mails, in denen sie mir sagten, sie fühlten sich nicht mehr wohl dabei, auf unserer Seite zu kommentieren und hätten Angst, Clifford könnte sich auf ihre Worte stürzen und sie gegen sie verwenden. Wenn er nicht gerade dabei war, Leserinnen zu verscheuchen, listete er auf Twitter auf, was er an mir und meinen Kollegen zu kritisieren hatte. Als ich einmal seine Zeitleiste überflog, wurde mir immer unwohler, denn ich sah, dass sie fast ausschließlich Kritik an mir und meiner Zeitung beinhaltete. Ich fühlte mich ins Visier genommen und eingeschüchtert.Schau ihm in die AugenEines Tages, kurz bevor ich meinen Arbeitsplatz bei der Post verließ, erschien Clifford auf einer anderen Seite und hinterließ auch dort einen negativen Kommentar zu meiner Arbeit. Da machte etwas klick. Ich hatte mir die anonyme Kritik dieses Mannes schon zu lange angehört. Es war an der Zeit, ihm in die Augen zu sehen und ihn zu fragen, wo das Problem liegt. Also postete ich: "Sie sind seit deren Launch auf den Seiten der Post unterwegs und auch wenn ich weiß, dass Sie nicht gerade zu unseren größten Fans gehören, so interessieren Sie sich doch auf jeden Fall für unsere Entwicklung. Ich werde nur noch kommende Woche bei der Post arbeiten und wollte Sie fragen, ob Sie nicht Lust hätten, bei uns in der Redaktion vorbeizukommen und sich unsere Arbeit einmal aus einer anderen Perspektive anzusehen? Ich hinterließ meine E-Mail-Adresse und erhielt innerhalb von Minuten die Antwort: „Ja, das würde ich liebend gerne.“Erst in diesem Moment wurde mir klar, dass ich einen potenziellen Axt-Mörder eingeladen hatte, der von einem tiefen Groll gegen unsere Zeitung besessen ist. Tagelang grübelte ich und stellte mir vor, wie er in der Reaktion ankommen würde, um aus purer Lust auf Journalistenblut meine Kollegen zu massakrieren. Aber natürlich geschah nichts dergleichen. Weit entfernt. Clifford war höflich, gebildet und sich völlig im Unklaren darüber, wie er online rüberkam. Er erklärte sich sogar zu einer Videoaufnahme bereit, in der er erläuterte, wie die Anonymität des Netzes dazu beiträgt, dass man vergisst, dass man es mit leibhaftigen Menschen zu tun hat, die mit dem rauen Ton scharfer Kommentare nicht immer so gut umgehen können.Nur ein MissverständnisAber natürlich lag das Missverständnis nicht allein auf seiner Seite. Wenn ich mir seine Postings im Lichte dessen, was ich jetzt weiß, noch einmal ansehe, wird mir klar, dass einige Kommentare von dem Bedürfnis motiviert waren, unseren Journalismus zu verbessern. Das Wesen der Plattform und die Anonymität, die sie ihm gab, ließen das Ganze wie einen Angriff wirken. Diese Lektion habe ich als Journalistin mitgenommen. Wir vergessen oft, das soziale Medien immer noch relativ neu für uns sind und wir noch viel zu lernen haben: Wie übermittelt man beispielsweise die Nuancen eines persönlichen Gesprächs in 140 Zeichen? Wie macht man deutlich, dass sich hinter der virtuellen Figur oder dem Nickname ein vernunftbegabtes menschliches Wesen verbirgt? Wenn jemand daran scheitert, ist es nur allzu leicht, ihm das Label „Troll“ anzuhängen.Edmonds sagte nach seinem Treffen mit dem Studenten, dieser habe sein Tun aufrichtig bereut, als ihm klar geworden sei, welche Konsequenzen sein Schabernack gehabt hatte. Das war kein Troll, sondern ein Junge, der etwas falsch verstanden hatte.Das heißt nicht, es würde keine echten Trolle geben – absolut. Ich war schockiert, als ein ehemaliger Kollege mir gestand, er genieße es durchaus, anonyme Kommentare zu verfassen, die das einzige Ziel verfolgten, von den anderen negative Reaktionen zu erhalten. Sich daran zu vergnügen, andere zu ärgern, ist widerlich und feige. Als ich ihm wegen der Sache zusetzte, wurde klar, dass die Plattformen es ihm schlicht leicht machten, eine hässliche Seite seines Charakters auszuleben, sich dabei aber von seinen Opfern zu isolieren. Leute wie er werden erst dann aufhören, wenn die Gesellschaft ihr Verhalten in irgendeiner Weise sanktioniert. Das muss nicht notwenig eine Gefängnisstrafe sein wie im Fall des 21 Jahre alten Biologie-Studenten Liam Stacey, der nach dem Zusammenbruch des Boltoner Spielers Fabrice Muamba rassistische Tweeds absetzte und dafür zu 56 Tagen Haft verurteilt wurde.Mein Treffen mit Clifford hat mich zur Optimistin gemacht – echte Trolle sind wirklich in der Minderheit. Die meisten von uns meinen es gut und können das online vielleicht nur nicht immer so gut rüberbringen. Das heißt nicht, dass wir uns mit Trollen auseinandersetzen müssen, wenn wir einem über den Weg laufen. Wenn es uns aber auf vernünftige und höfliche Weise gelänge, diese Menschen von ihren Fehlern zu überzeugen, würde das Netz zu einem besseren Ort werden. Das kann es aber nur, wenn wir aufhören, schlechtes Verhalten immer gleich als Trolling aufzufassen, ohne zu bedenken, dass hier vielleicht lediglich jemand versucht, sich auf unbeholfene Weise mitzuteilen.