DIE FLEDERMAUS als Musiktheaterwerkstatt

HfM Hanns Eisler Berlin Regie-Absolventen versuchten sich an Kriegs- und Sexspielen (frei nach der Operette Johann Strauß')

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Die Fledermaus-Aufführungen werden sehr oft auch als Silvester- oder Faschingskracher (nebenbei) genutzt, und selbstverständlich zählen sie auch ohne diese "Zugriffe" zum Kanon großer Opernhäuser. In Berlin waren/sind gleich mal drei diverse Fledermäuse abrufbar gewesen; die zwei ältesten von ihnen (KOB 2007, Staatsoper 2009) scheinen inzwischen eingemottet, und die aktuelle (DOB 2018) sucht der Strauß-Fan in der kommenden Saison vergeblich.

Meistens scheitern ja die Produktionen an zu ambitionierten Einfällen von Seiten der Regie, mitunter können allerdings auch Fehlbesetzungen der Anlass sein sie plötzlich wieder abzusetzen, weil man augenblicklich keine idealen Rosalinden und Adelen weltweit findet... Insbesondere bei diesen beiden Frauen-Parts ("Klääänge der Heimaaat", "Mei-en Herr Markiii") scheiden sich wohl die Geister, denn sie weisen - was die Höhepunkte-Höhen angeht - ihre Sängerinnen als Ikonengleiche oder als Versagerinnen aus.

Das wird auch in der nahe Zukunft nicht viel anders sein.

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In einem kurzen Eingangs-Stateman tat sich so auch der Projektleiter Regie an der Hochschule für Musik Hanns Eisler (Professor Unzen) fast dafür entschuldigen, dass gleich zwei AbsolventInnen-Varianten, je für Ersten/Zweiten Akt und seperat für sich, erfolgen würden, die nicht unbedingt mit herkömmlichen Fledermäuse-Sichten (Salzburg beispielsweise) kongruent wären. Nun ja, das wollten wir auch tunlichst nicht erwarten! Also schauten wir höchstselbst, was dem Regienachwuchs zur Fledermaus so alles einfiele:

Eingebetteter Medieninhalt

In der Regie von Jose Cortes, die den Ersten Akt kurz vor dem Kriegsende in einer (noch) von Bombentreffern verschont gebliebenen Wiener Kleinkunstbühne (Ausstattung: Oliver Burkat/Linda Rodenheber) ansiedelt, müssen die Kleindarsteller eine sich hierher verschanzt habende Waffen-SS-Horde inkl. ihrer HelfershelferInnen spielen. Frauen tippen allerletzte Durchhaltebefehle in die Schreibmaschinen und verteilen selbstgekochten Kriegsfraß. Männer sind besoffen und begießen ihre Endsiegfantasien mit gestohlenem Gesöff. Einer der ihren tut sich als nazistischer Sadistenführer aufschwingen, indem er mit der Knarre eine Gruppe SängerInnen-Geiseln (jene könnten teils jüdischer Abstammung sein, sollte man der szenischen Anspielung mit dem Schweinskopf "trauen" wollen) drangsaliert, sie müssten jetzt gefälligst irgend etwas singen, was die Bunker-Stimmung aufhellte. Gesagt, getan - die Geiseln haben keine Wahl. / Erla Guðmundsdóttir (als Rosalinde), Collin Schöning (als Eisenstein) und Maya Blaustein (als Adele) singen gut. Gefühlter Hype zum Schluss, und kurz bevor ein allerletzter Bombentreffer jenen Ort der Handlung sozusagen "auflöst", ist ein von den Nazis zusätzlich erzwung'ner Geigergeisel-Auftritt; doch der HfM-Besetzungszettel weist den hochvorzüglichen Violinisten nicht/leider nicht aus.

Regieanwärterin Andrea Tortosa Baquero ihrerseits tut mit dem Ausstatter Maksim Chernykh (Bühne/Kostüme) den Orlofsky-Festakt aus der Fledermaus in einen zeitgenössisch anmutenden Sado-Maso-Keller für zahlkräftige Weekend-Swinger verorten. Doch zuvor werden erst mal drei neue "arme Opfer" für die anstehenden Sex-Spiele, wahrscheinlich von der Straße weg, gecastet. Ihre jeweiligen Vorgeschichten (missgeleiteter/missbrauchter Flüchtlinge o.s.ä.) gibt es mittels sehr authentisch wirkender Original-Aussagen und Zitaten, die den Handlungsfluss dann drei mal unterbrechen, um nicht gar zu sagen auseinanderhauen; keine von den schlechtesten Ideen und obgleich woanders so oder so ähnlich schon erlebt [z.B. unlängst im Nabucco an der Hamburgischen Staatsoper]. /Julie Nemer(als Domina Orlovskaya) singt ihr "Ich lade gern mir Gäste ein" voluminös und spielt es angemessen herrschsüchtig. Sängerin Sarah Oh kommt (als Adele) anfangs nicht so recht in Schwung; man möchte sie am liebsten etwas anschieben, aber vielleicht liegt es auch bloß am Dirigenten Massimiliano Lezzi, der das Ganze irgendwie schon etwas schleppen lässt. (Und wer saß überhaupt dann am Klavier und leistete von dort aus eigentlich die "Hauptarbeit"? auch diesen Namen suchten wir vergeblich auf dem Beipackzettel.) Lawrence Halksworth und Irina Bogdanova sind bei ihrem Weekend-Swinger-Duo ganz in ihrem Element, wobei uns seine Stimme etwas besser noch als ihre (die sehr stark vibriert) gefällt.

Alles in Allem: Könnte man (von den Ideen her) so machen, muss man aber nicht.

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Merke: Nicht nur wer auffällt, weil er/sie womöglich auffall'n will, wird künstlerisch bestehen. Oftmals reicht schon EINE wirklich umsetzbare und v.a. nachvollziehbare Idee, um "alten" Werken neuen Atem einzuhauchen; und vielleicht liegt es auch bloß dann an der Auswahl eines passende(re)n Stückes.

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 19.05.2019.]

DIE FLEDERMAUS (Studiosaal der HfM Hanns Eisler, 18.05.2019)
Dirigent: Massimilliano Lezzi

1. Akt
Regie: Jose Cortes
Bühne: Oliver Burkat
Kostüme: Linda Rodenheber
Licht: Martin Siemann
Regieassistentin: Kundry Rymon
Mit: Álfheiður Erla Guðmundsdóttir (Rosalinde), Collin Schöning (Eisenstein), Maya Blaustein (Adele), Collin Schöning (Alfred), Michael Lafferty (Falke) und Rory Green (Dr. Frank)

2. Akt
Regie: Andrea Tortosa Baquero
Bühne und Kostüme: Maksim Chernykh
Dramaturgische Mitarbeit: Esteban Munoz
Mit: Julie Nemer (Orlovsky), Sarah Oh (Adele), Frieda Barck (Ida), Michael Lafferty (Falke), Lawrence Halksworth (Eisenstein) und Irina Bogdanova (Rosalinde)
Premiere der Musiktheaterwerkstatt war am 18. Mai 2019.
Weiterer Termin: 19.05.2019 (Studiosaal)

ACHTUNG!
Am 5. und 6. Juni wird (im Stummfilmtheater Delphi) eine dritte Regie-Variante der Fledermaus (in gänzlich neuer Besetzung!) zu sehen und zu hören sein.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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