Linker Aufschwung: Zehn Punkte, die die KPÖ ganz anders macht

Praxis Gegen den Europa-Trend der Linken ist die Kommunistische Partei Österreichs derzeit im Aufwind. Wie das? Es gibt kein Patentrezept, wohl aber Erfahrungen. Zwei Mitwirkende aus Partei und Wahlkampf erklären, was wir von ihnen lernen können
Ausgabe 25/2024
Linker Aufschwung: Zehn Punkte, die die KPÖ ganz anders macht

Collage: der Freitag, Material: iStock

I. Nicht in die Berufspolitik abheben

Zentral ist, nicht in die Parallelwelt der Berufspolitik abzuheben, sondern bei den Menschen zu bleiben. Dafür hat die KPÖ feste Strukturen. Wer ein Mandat annimmt, behält höchstens den Facharbeiterlohn von 2.500 Euro netto. Der Rest wird in Sprechstunden unbürokratisch an die Bevölkerung zurückgegeben. Das ist ein Wert an sich, hilft aber auch den Abgeordneten: Sie erfahren, wo der Schuh drückt – von Schimmel in Sozialwohnungen über steigende Gasrechnungen bis zu fehlenden Deutschkursen. Nach außen zeigt die Gehaltsabgabe, dass wir nicht nur reden. Wichtig ist aber auch: Abgeordnete beteiligen sich weiter am Parteialltag, an Infoständen, am Sammeln von Unterschriften, an Haustürgesprächen, nicht nur vor Wahlen. Das Putzen im Parteihaus bedeutet nicht weniger als Parlaments- und Regierungsarbeit. So wichtig diese ist, so wenig darf sie im Zentrum stehen. Auch Wahlen sind nicht die Hauptsache – eher ein Test, wie weit die Arbeit fruchtet.

II. Vorpolitische Arbeit stärken

Wir wollen eine solidarischere Gesellschaft – und fangen an, sie zu organisieren. Vermeintlich unpolitische Aktivitäten wie Flohmärkte, Straßenfeste, Mieterversammlungen, Nachhilfestunden, Müllsammeln, Nachbarschaftsküchen, Buchclubs, Repair-Cafés oder Deutschkurse holen Menschen aus der Vereinzelung und machen Gemeinschaft sowie geteilte Interessen erlebbar. Nur so kann man in größeren Auseinandersetzungen bestehen. Es geht um die Schaffung von Klassenbewusstsein. In die Geschichte gehen Massendemos oder Streiks ein. Die jahrelange vorpolitische Aufbauarbeit war aber stets Voraussetzung dafür.

III. Die Mehrheit im Blick behalten

Unsere Wirkmächtigkeit rührt zu einem großen Teil daher, dass wir legitimerweise ausstrahlen, mit unserem Tun eine Mehrheit zu vertreten. Das gibt uns Durchsetzungsfähigkeit über unsere Basis hinaus. Wir zielen in allem nicht auf das Trennende, nicht auf die Widersprüche zwischen verschiedenen Gruppen, sondern auf die gemeinsamen Interessen der 99 Prozent. Wir stellen die Partikularinteressen von Minderheiten nicht in den Vordergrund, denn gute soziale Politik für alle ist oft die beste Politik für besonders Benachteiligte – und kann auf Unterstützung der Mehrheit hoffen. Für spaltende Kulturkämpfe, Identitäts- und Symbolpolitik sind wir daher nicht zu haben. Eine wirkmächtige linke Partei ist keine Partei für Linke, sondern für alle Lohnabhängigen. Klassenpolitik darf nicht nur den Teil der Klasse ansprechen, der gendert. Unsere Zielgruppe ist nicht die linke Szene. Sondern alle, die mit den herrschenden Verhältnissen und deren Parteien unzufrieden sind: ganz normale Familien oder Abgehängte, Ausgegrenzte, Frustrierte und Resignierte. Wir gehen gezielt zu den Leuten, die schon lange vergessen wurden, in die Viertel, wo Menschen entweder gar nicht oder rechts wählen. Das ist Demokratisierungsarbeit in einem Feld, das sich aus guten Gründen von der etablierten Politik abgewendet hat. Unser wachsender Rückhalt dort ist zentral für die Systemveränderung, die wir anstreben.

IV. Das Hickhack des Parteiensystems meiden

Wir stellen uns bewusst – der Name „kommunistisch“ hilft dabei – außerhalb des Konsenses der Etablierten. Wir arbeiten zuallererst mit derjenigen Hälfte der Salzburger Bevölkerung, die gar nicht mehr wählen geht. Wir konkurrieren deshalb nicht mal richtig mit den anderen Parteien und beteiligen uns nicht am üblichen Hickhack mit Rücktrittsforderungen und gegenseitigen Anwürfen. Wir fischen bewusst nicht im Teich der progressiven Parteien. Wir wollen nicht die grüneren Grünen sein oder die linkere SPÖ. Deren Potenzial ist ohnehin begrenzt. Wenn wir Mehrheiten wollen, müssen wir breiter ausholen: Bei denen, die von den anderen Parteien schon lange nicht mehr angesprochen werden. So bauen wir eine Anhängerschaft, die langfristig bei der KPÖ bleibt und sich nicht bei jeder Wahl taktisch umentscheidet. Je mehr die etablierten Parteien zusammenrücken, um gegen uns zu wettern, umso mehr bestätigen sie unsere Botschaft, „anders als die anderen“ zu sein. Wenn – wie vor der Salzburger Gemeinderatswahl 2024 – ständig vor uns gewarnt wird, wenn Plakate mit Hammer und Sichel die Leute von einem „Linksruck“ abschrecken sollen, muss man das aushalten können. Es hilft uns, wenn sich die anderen in Bezug auf uns definieren und uns und unseren Themen damit mehr Reichweite geben, als wir aus eigener Kraft erzielen könnten.

V. Nicht zu viel auf einmal wollen

Um die Auseinandersetzung auf unser Terrain zu ziehen, muss es klar definiert sein. Menschen müssen die Erfahrung machen, dass sich mit unserem Einsatz tatsächlich etwas verbessert in ihrem Leben. Das schafft man nicht, wenn man gleichzeitig für alle Themen der Linken kämpft. Deshalb müssen wir den Reflex überwinden, für alles Gute und gegen alles Schlechte in der Welt gleichzeitig stehen zu wollen, wenn wir tatsächlich etwas ändern wollen. Sonst haben wir am Ende moralisch eine weiße Weste, aber die Verhältnisse bestimmen andere. Wir haben uns entschieden, stattdessen das zu tun, was erfolgreiche Parteien ausmacht: Alle Kraft auf ein zentrales Thema zu richten.

VI. Nicht an den Rechten abarbeiten

Dass vor den Rechten ständig gewarnt wird, hat der FPÖ über Jahrzehnte so wenig geschadet wie uns jetzt antikommunistische Kampagnen. Wir mobilisieren daher nicht „gegen rechts“, indem wir das als Parole auf Plakate schreiben. Wir tun der FPÖ nicht den Gefallen, uns an ihr abzuarbeiten. Schon gar nicht gönnen wir ihr es, ständig über ihr Lieblingsthema Migration zu reden. Wir reden übers Wohnen, arbeiten permanent zum Wohnen, machen pausenlos Kampagnen dazu, zwingen den anderen unser Thema auf – und stellen die „Ausländer-raus“-Hetze damit schlicht kalt. Während die FPÖ bundesweit seit Längerem unbesiegbar scheint, ist sie in Salzburg und Innsbruck wie schon in Graz weit unter ihren Erwartungen geblieben. Die Schlussmobilisierung der FPÖ zur Salzburger Gemeinderatswahl 2024 machte das plastisch: Auf den lebensgroßen Pappschildern ihres Spitzenkandidaten stand nicht etwa „Für mehr Abschiebungen“ oder ähnliche Hetze, sondern „Ich stehe hier für günstige Mieten“. Für alle sichtbar hatten wir die Rechten auf unser Terrain gezogen. Und dort sind sie leicht zu schlagen, denn zu günstigen Mieten haben sie nicht viel vorzuweisen.

VII. Ein Kernthema finden

Das Wohnen ist unser Kernthema, weil sich hier zwei Faktoren treffen: Es ist ein eklatanter Missstand im Alltag, für den es ein breites öffentliches Bewusstsein gibt – bei dem für alle nachvollziehbar ist, dass sich Profitlogik und menschliche Bedürfnisse widersprechen. Dass Wohnen nicht dem Markt überlassen werden sollte, ist mehrheitsfähig.

VIII. Beharrlich bleiben

Auf dem Papier sind deshalb alle für leistbares Wohnen. Aber wenn nicht zu erwarten ist, dass eine Partei bei einem Thema nach der Wahl tatsächlich etwas bewegt, dann ist auch egal, welche Position sie dazu hat – dann gibt es keinen Grund, sie zu wählen. Um etwas zu bewegen in einem Bereich, in dem jahrzehntelang alle Kämpfe verloren wurden, braucht es eine kompromisslose Bündelung der Kräfte. Verbesserungen nur zu fordern ist einfach, aber wirkungslos. Sie tatsächlich zu erzwingen erfordert alle verfügbaren Ressourcen. Der Aufstieg der KPÖ in Graz begann in den 1990ern auch mit dem Antrag ihres Gemeinderats Ernest Kaltenegger, dass die Miete in stadteigenen Wohnungen nicht mehr als ein Drittel des Einkommens betragen dürfe. Auf die Ablehnung aller anderen Parteien folgte eine lange beharrliche Kampagne mit 17.000 Unterschriften und großem öffentlichen Druck, danach ging derselbe Antrag einstimmig durch. Das zeigt, welche Anstrengung selbst kleine Erfolge brauchen – aber auch, wieso der Fokus unserer Arbeit im Viertel liegt und nicht im Parlament.

IX. Sympathische Galionsfiguren aufbauen

Eine Partei ist ein abstraktes Konstrukt. Es dauert, bis Menschen ihr vertrauen. Eine Einzelperson, die unsere Werte sichtbar verkörpert, bietet einen Wiedererkennungseffekt und bekommt deutlich schneller die Zuschreibungen, auf die wir hinarbeiten. Die Bekanntheit und die Projektionen, die etwa Kay-Michael Dankl in Salzburg oder Elke Kahr in Graz erfahren, wurden systematisch und mit harter Arbeit hergestellt. Das erfordert jahrelange Konstanz. Das Ziel ist freilich, dass Menschen auch der KPÖ als Gesamtorganisation vertrauen. Wir sehen große Fortschritte in diesem Prozess. Die Zuspitzung der medialen Öffentlichkeit auf Einzelne ist aber eine notwendige Startbedingung.

X. Immer lächeln

Die Angstmache der anderen Parteien blieb auch deswegen so wirkungslos, weil die KPÖ mit allen Erwartungen an die bösen Kommunisten bricht. Wir treten auffallend freundlich und konstruktiv auf. Wir lächeln dauernd, weil wir Menschen mögen und sie zum Mitmachen einladen wollen. Wir sind permanent ansprechbar und sichtbar. Unsere Plakate zeigen nette Leute und nette Motive. Wenn wir Vertrauen aufbauen wollen, dann müssen wir auch vertrauenswürdig auftreten.

Sarah Pansy ist Bundessprecherin der KPÖ und Mitglied des Salzburger Landtags

Georg Kurz hat dort den Wahlkampf mitorganisiert und arbeitet jetzt im Erneuerungsteam der Linkspartei.
Der Text basiert auf einem Beitrag für die Rosa-Luxemburg-Stiftung

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