RAI Italien als Muster einer antidemokratischen Rechtsregierung in Europa zeigt, wie schnell man eine Medienarchitektur kapern kann, wenn es an Widerstandskraft mangelt
Die Ministerpräsidentin zu Gast bei Freunden? Entscheidende Posten in der RAI wurden bereits neu besetzt
Foto: Antonio Masiello/Getty Images
Eines der ersten Ziele von Giorgia Melonis Kulturpolitik war die Kontrolle über die öffentlichen Rundfunkanstalten, die RAI: Über den Austausch von leitenden Posten, über einen konstanten Druck auf die verschiedenen Formate und natürlich über die verdeckte und, wenn man damit Stimmung machen konnte, auch offene Zensur.
Womit wir bei jenem Fall wären, der endlich auch in anderen europäischen Ländern zur Kenntnis brachte, dass in Italien derzeit nicht eine „Mitte-rechts-Regierung“ an der Macht ist, sondern ein faschistisches oder „postfaschistisches“ Regime zu entstehen droht, ein antidemokratischer Umbau nicht nur des Staates, sondern der ganzen Gesellschaft. Die Zensur jenes nun auch in Deutschland bekannten Monologs des A
logs des Autors Antonio Scurati zum Tag der Befreiung und zur Verpflichtung des antifaschistischen Gedenkens verantwortete der „Direttore degli Approfondimenti“ Paolo Corsini. Ob er dabei mit oder ohne Direktiven von oben handelte, ist ziemlich zweitrangig, denn dieser Vorgang ist Teil einer Kette der Eingriffe, Einschüchterungen und Zensurmaßnahmen, die mit dem „Skandal“, wie er nun zur Kenntnis genommen wird, mitnichten beendet ist. Wie meinte jemand aus dem Umkreis der Regierung: „Das wird Giorgia Meloni keine einzige Stimme kosten.“ Es steht zu befürchten, und die jüngsten Ergebnisse bei den Regionalwahlen in Basilicata bestätigen es.Zensur? Nie gehörtCorsini ist ein Musterexemplar der postfaschistischen Karrieristen: Einerseits gilt er als das freundliche Gesicht der Rechten im Medium, andererseits hat er hinter den Kulissen schon vorher fleißig genetzwerkt: Seit 40 Jahren in eher niederen Rängen bei Politik und Sport im Radio machte er sich bei den Fratelli d’Italia (FdI) durch die Gründung einer rechten „Gewerkschaft“ für die RAI, die „Unirai“ beliebt, zusammen mit der Nachrichtenpräsentatorin Incoronanta Boccia, die für ihren tollen Spruch zur Abtreibung bekannt wurde: „Es ist ein Verbrechen, es ist kein Recht.“ Damit haben die Postfaschisten ein inneres Instrument der Manipulation in Händen, von dessen Wirken nach außen nicht viel zu dringen braucht. Der nette Herr Corsini selbst postet derweil ein Foto von sich beim Konzert der rechten Gruppe 270bis, die mit ihrem Lied Claretta e Ben die Liebesgeschichte von Benito Mussolini und Claretta Petacci verherrlicht. Von einem „schwarzen Herzen“ wird da gesungen und davon, „aller Welt ins Gesicht zu spucken“.Das „schwarze Herz“ der RAI wird von drei Männern gebildet, auch als „Trio Nero“ bekannt, die die Umgestaltung der RAI zu einem postfaschistischen Propagandamedium mit einer bemerkenswerten Zähigkeit und Offenheit betreiben: Angelo Mellone, Nicola Rao und Giampaolo Rossi. Mellone, Chef der Unterhaltung am Nachmittag bei RAI, tut den Terminus „Meloni-TV“ (so der Vorwurf aus Brüssel) als bösartige Unterstellung ab, aber seine Programme preist er als Teil der „italienischen Identität“ an und verbittet sich jede „antifaschistische“ Stimme zum Beispiel beim Musikfestival von San Remo. Übrigens stellt sich Mellone gern den italienischen Identitären für Interviews zur Verfügung, wo er darüber schwadroniert, dass nur die Rechten wie er „das Vaterland lieben“, und wo er gegen die „politisch Korrekten“ wettert, die dem Volk 50 Prozent der Freiheit rauben und die italienischen Väter in ihren Rechten beschneiden würden. Von Zensur in der RAI hat Angelo Mellone „noch nie etwas gehört“.Gegen Nicola Rao, den Nachfolger des jetzigen Kulturministers Gennaro Sangiuliano als Nachrichten-Chefredakteur, protestierte eine Mitarbeiterdelegation der RAI vergeblich wegen mangelnder Transparenz und Objektivität: „Wieder ein Nachrichtenchef, der wegen seiner Nähe zur Regierung ins Amt gewählt wurde.“ Und wieder einer, für den jede Kritik Grund für rachsüchtige Verfolgung ist.Im Zentrum steht ein Freund von Orbán und PutinDie Schlüsselfigur aber ist wohl Generaldirektor Giampaolo Rossi, ein Charakter, wie ihn sich kein Satiriker besser ausdenken könnte: Der bekennende Freund von Orbán und Putin lässt keine Gelegenheit aus, gegen kritische Journalisten und Journalistinnen auszuteilen, die „einer Obsession von Faschismus und Rassismus verfallen seien, die angeblich in Italien grassiert“. Er ist militanter Covid-Leugner, der die Impfkampagne mit dem deutschen Faschismus verglich, und was er sonst so von sich gibt, würde ihn vielleicht doch um den Posten bringen, den Georgia Meloni ihm persönlich zugeschanzt hat, wären nicht die demokratischen Kontrollinstanzen der RAI längst entmachtet und wäre die mediale Öffentlichkeit nicht von solch massiver Gleichgültigkeit befallen.Dabei betrifft die Transformation des Senders keineswegs nur die politischen und kulturellen Sendeformate. Nur zum Beispiel wird die Game Show Il Mercante in Fiera, geleitet von Melonis „engem Freund“ Pino Insegno, zur Feier der „traditionellen Familie“ umgewidmet, rigoros binär, rigoros patriarchalisch. Für jemanden wie Giampaolo Rossi ist ein Fernsehsender nichts anderes als eine Maschine zur Erzeugung eines rechten Weltbildes, von den Nachrichten über die Unterhaltungsshows bis zur Kindersendung. Und die RAI ist für ihn auch ein persönliches Racheinstrument. Es gibt keine rechte Verschwörungstheorie, der er nicht anhängt, besonders wenn sie einen antisemitischen Touch hat, und Feministinnen sind für ihn „zum Kotzen“ und „Blödheit in Frauenkleidern“. Rossi hat von Beginn an jene Zensur ausgeübt, von der Mellone noch nie gehört hat, etwa gegenüber dem Mafia-Kritiker Roberto Saviano, oder gegen Claudio Baglioni, den er für seine Fürsprache für die Migranten beim Festival von San Remo hasst, was er zum Anlass genommen hat, die Übertragungen infrage zu stellen. Des Weiteren wurde sein Opfer Chiara Francini, die vom Recht der Frau auf Kinderlosigkeit sprach.Seine Lieblingsfeinde aber sind die „engagierten Intellektuellen“ und die „Agenten der NGOs, die von George Soros bezahlt werden“. Wovor sich Rossi fürchtet, ist die Komplizenschaft von „Nigerianern und Gutmenschen“. Dafür hat er Freunde in der neofaschistischen Casa-Pound-Bewegung und preist die Hetzer-Influencer dort als „Hüter der Freiheit“ und „Jäger der Fake News“. Die Partisanen, die sich gegen Mussolini und die deutschen Faschisten stellten, sieht Rossi als „Monster, die zu Helden erklärt wurden“. Man könnte lange so weitermachen: Texte aus seiner Vergangenheit, die das alles an faschistischer Idiotie übertreffen, wurden aus den Netzwerken getilgt. An der Spitze der RAI steht nicht nur ein Faschist, sondern ein politischer Psychopath, der das ganze Medium zum Ausdruck seiner Paranoia machen will. Aber Rossi weiß sich gut aufgehoben im schwarzen Herzen des Meloni-Regimes.Die „Postfaschisten“ spucken der Demokratie ins GesichtDen Melonisten geht es um einen veritablen Krieg gegen die kritische Intelligenz. Und es geht um eine Uminterpretation der italienischen Geschichte. Der 25. April, der Tag der Befreiung, ist dabei zu einem besonderen Streitobjekt geworden. Die Postfaschisten machen keinen Hehl daraus, dass sie ihn abschaffen wollen. Denn er zeugt nicht von dem, was für sie die „Italienische Identität“ ist.Der Postfaschismus verhält sich reziprok zur Postdemokratie. Wenn diese eine Demokratie meint, in der alle äußeren Formen und Riten (von der Wahl bis zur Pressefreiheit) weiterexistieren, aber im Inneren ohne Leben und ohne Wirkung sind, dann meint Postfaschismus einen Faschismus, der auf einige seiner schrecklichsten Instrumente verzichtet (kein Eroberungskrieg, keine Einparteienregierung, keine Konzentrationslager), der im Inneren aber bis ins „schwarze Herz“ faschistisch ist und jedes Mittel nutzt, auf die demokratische Zivilgesellschaft „zu spucken“. Das kann dann so aussehen: Der rechtsextreme General, Bestsellerautor und Europawahl-Kandidat Roberto Vannacci stellt pünktlich zum Tag der Befreiung sein neues Buch vor (pikanterweise in einem Raum des Partito Democratico, der ihn für eine „kulturelle Veranstaltung“ zur Verfügung stellte), verkündet dort lauthals, dass „antifaschistisch“ für ihn ein Schimpfwort sei und er zum Anniversario della Liberazione ans Meer fahren werde, um sich mit der Familie zu amüsieren. Und Giorgia Meloni? Sie, die niemals das Wort „antifaschistisch“ in den Mund genommen hat, erfüllt ihre politische Pflicht mit solcher zur Schau getragenen Gleichgültigkeit und solchen nichts (und alles) sagenden Worten, dass man es nur als öffentliche Verhöhnung der Gegner des Faschismus und der Menschen ansehen kann, die für die Freiheit Italiens gekämpft haben und gestorben sind. Sie tun es tatsächlich, die „Postfaschisten“. Sie spucken der Demokratie ins Gesicht.
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