Cum-Ex: Anne Brorhilker kämpfte um die gestohlenen Steuermilliarden
Wirtschaftskriminalität Wer ohne Ticket fährt, kommt ins Gefängnis – wer den Staat um Millionen prellt, bleibt frei? Gegen Widerstände verfolgte Cum-Ex-Jägerin Anne Brorhilker als Staatsanwältin Finanzverbrecher. Nun wechselt sie zur Bürgerbewegung Finanzwende
Oberstaatsanwälting Anne Brorhilker vor dem Bonner Landgericht als Anklägerin (2019)
Marius Becker / picture alliance /dpa
Die Kleinen hängt man und die Großen lässt man laufen: bei großen Finanz- und Steuerverbrechen ein bewährtes Verfahren, so sagt man. So sagt nun allerdings auch Anne Brorhilker, jene Kölner Oberstaatsanwältin, die versuchte, es anders zu machen und die Großen zu verfolgen, auch im Cum-Ex-Skandal. Seit 2013 hat sie einige hohe Tiere vor Gericht gebracht und dafür gesorgt, dass die Ermittlungsbehörden in Köln besser ausgestattet sind. Nun hört sie auf. Die erfolgreiche Cum-Ex-Jägerin wechselt zum Verein Finanzwende. Das überrascht auch das kleine Team dieses Vereins, „aber vielleicht ist es auch irgendwann genug“, meint Vereinsgründer Gerhard Schick, „nach elf anstrengenden Jahren“.
Bei öff
man und die Großen lässt man laufen: bei großen Finanz- und Steuerverbrechen ein bewährtes Verfahren, so sagt man. So sagt nun allerdings auch Anne Brorhilker, jene Kölner Oberstaatsanwältin, die versuchte, es anders zu machen und die Großen zu verfolgen, auch im Cum-Ex-Skandal. Seit 2013 hat sie einige hohe Tiere vor Gericht gebracht und dafür gesorgt, dass die Ermittlungsbehörden in Köln besser ausgestattet sind. Nun hört sie auf. Die erfolgreiche Cum-Ex-Jägerin wechselt zum Verein Finanzwende. Das überrascht auch das kleine Team dieses Vereins, „aber vielleicht ist es auch irgendwann genugXX-replace-me-XXX8220;, meint Vereinsgründer Gerhard Schick, „nach elf anstrengenden Jahren“.Bei öffentlichen Gerichtsverhandlungen gegen große Steuer- und Wirtschaftsbetrüger werden Staatsanwälte häufig persönlich angegriffen, da wird mit harten Bandagen gekämpft, mutmaßlich auch mit Einschüchterung oder Drohungen. Wie der Inhalt von Gesprächen zwischen Finanzlobbyisten und Politikern bleibt das im Dunkeln. Manchmal könne man „mehr bewegen, wenn man Strukturen verändert und von der anderen Seite rangeht“, sagt Schick. Er, früher Bundestagsabgeordneter für die Grünen, spricht aus eigener Erfahrung.Es ist systemisch: Die Großen lässt man laufenErfolge beim Kampf gegen Wirtschafts- und Finanzdelikte sind selten. Nur wenige Verantwortliche für die großen Steuerbetrugsskandale wie Cum-Ex und Cum-Cum konnten bislang hinter Gitter gebracht werden. In Hamburg – nur ein Beispiel, das bekannt wurde – gingen Millionen verloren, weil die Finanzbehörden auf Rückzahlungen der in den Cum-Ex-Betrug verwickelten Warburg Bank verzichteten. Olaf Scholz, damals Oberbürgermeister (SPD), will sich trotz mehrerer Treffen nicht erinnern, wie es dazu kam. Ob es politische Einmischung gab, ist bis heute nicht geklärt. Trotz einer Anzeige ermittelt die Hamburger Oberstaatsanwaltschaft nicht gegen Scholz. Der freut sich derweil, „wieder beim Bankentag dabei zu sein“ und lobt sich selbst, als Navigator durch unruhige Zeiten „den Kurs zu halten“: „Gesetzgeber und Bankenaufsicht, aber besonders auch die Banken selbst haben aus der Finanzkrise gelernt.“ Er lässt die Großen nicht nur laufen – er bedankt sich bei den Banken ausdrücklich für deren Einsatz als „Krisenfeuerwehr“. Kein Wort zu Cum-Ex oder Cum-Cum. Das Wort Steuern fällt in seiner Rede ein einziges Mal: „Natürlich haben einige in der Vergangenheit davon profitiert, dass sie ein bisschen von Sondervorteilen ihrer Regulierung oder Steuerpraxis Gebrauch gemacht haben.“ Ein bisschen?Mit Hilfe von Lobbyismus versuche die Finanzbranche, ihre Interessen durchzusetzen, sagt Brorhilker im Interview mit dem WDR: „Das ist systemisch.“ Die Finanzbranche gebe am meisten Geld für Lobbytätigkeiten aus. Kontrolle durch staatliche Organe fehle: Was treiben Banken da wirklich am Börsenmarkt? Und warum fallen diese Fälle nicht in die Zuständigkeit der europäischen Staatsanwaltschaft? Nötig wäre eine zentrale Zuständigkeit für Finanz- und Wirtschaftsdelikte anstatt der jetzigen föderalen Zersplitterung von Zuständigkeiten.Große Beute Steuerbetrug: Den Kleinen fehlt das GeldAuch die Aufklärung bei den Cum-Cum-Betrugsgeschäften sei „erschreckend mager“, urteilt Schick. So mager, dass die mit den mageren Einkommen gar nicht anders können, als misstrauisch zu werden: Ist Aufklärung überhaupt gewollt? Wer profitiert vom Stochern im Nebel? Die „Kleinen“ jedenfalls nicht. Durch fehlende Steuermilliarden fehlt Geld für Kitas, Schulen, Armutsbekämpfung – und Strafverfolgung. Clankriminelle der Finanzwirtschaft reiben sich die Hände und bauen mafiaartig ihre Strukturen aus, weltweite Steuerparadiese nutzend, dauerbetreut von den teuerbesten Juristen und Beratern.„Die Kleinen hängt man und die Großen lässt man laufen“ ist eine uralte Volksweisheit, offenbar noch aus der Zeit, in der gehängt wurde, wer heute ins Gefängnis geht. Oder eben auch nicht. Anne Brorhilker zitierte diese Weisheit als Resümee ihrer Arbeit als Staatanwältin.Der Wirtschaftskriminelle Hanno Berger hoffte, sich entziehen zu können, sitzt jetzt jedoch im Gefängnis, laut Anwalt mit gesundheitlichen Problemen, und wartet, ob seine langjährige Haftstrafe rechtskräftig wird. Auch Banker Christian S. wurde verurteilt. Sie, die Spitze des Eisberges, die Anti-Robin-Hoods, raubten dem Staat – dem Volk! – Millionen durch Steuertrickserei. Doch beim „vollen Einsatz gegen Finanzkriminalität“ des Bundesfinanzministers fehlt laut Schick ausgerechnet der Bereich Steuern. Im Bundesamt zur Bekämpfung von Finanzkriminalität (BBF) werden eben nicht, wie behauptet, „die wichtigsten Kompetenzen“ gebündelt.Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich, auch Arme und ReicheDem Staat gehen Milliardenbeträge verloren, weiß Brorhilker. Im Rahmen von Finanzwende will sie Druck machen auf die Politik, damit die Großen nicht länger davonkommen. Sie werde dort „als Teil der Geschäftsführung um Gründer Gerhard Schick für eine bessere Verfolgung von Finanzkriminalität in ganz Deutschland kämpfen“, teilt der Verein mit. Ob die Großen davonkommen, hängt nämlich auch davon ab, in welchem Bundesland ermittelt wird – oder eben nicht ermittelt wird. In Hamburg oder Baden-Württemberg haben Finanzstraftäter offenbar deutlich bessere Chancen, ihre Beute behalten zu können, als in Nordrhein-Westfalen. Und diese Strukturen sind nicht gottgegeben – sondern Sache des politischen Willens. Fehlt er, ist das „Rechtsempfinden empfindlich gestört“, sagt Gerhard Schick. Und der Rechtsstaat in der Vertrauenskrise.Wenn Arm und Reich nicht gleich behandelt werden, weil nur die wenigsten teure Anwälte und Einfluss auf die Politik nehmen können, gibt es mindestens eine „Schieflage“, wie Schick es mit Bedacht ausdrückt. Wer schwarzfährt oder etwas im Laden mitgehen lässt, wird verurteilt – die den Staat um Millionen prellen, nutzen zig Schlupflöcher und lassen die Champagnerkorken knallen. Weil sie es können. Damit wirklich ohne Ansehen der Person Ermittlungen laufen und Urteile fallen, darf niemand mehr benachteiligt oder bevorzugt werden wegen seiner Finanzkraft. Alle Menschen vor dem Gesetz sind gleich, deshalb muss Politik Ermittlung und Aufklärung unterstützen – nicht behindern. Andernfalls wird sie zum Rechtsstaatsrisiko.
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