Netzschau: Das Wettlesen in Klagenfurt

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Der diesjährige Literaturwettbewerb in Klagenfurt endete am Sonntag mit der Verleihung diverser Preise, allen voran natürlich der mit 25.000 dotierte Ingeborg-Bachmann-Preis. Die Gewinnerin ist, nach mehreren Abstimmungsrunden, Maja Haderlap mit ihrem Text Im Kessel, der dem Roman Engel des Vergessenens entnommen ist, der in der kommenden Woche erscheint.

"Die 1961 geborene und in Klagenfurt lebende Autorin beleuchtet in ihrer Dorf- und Familiengeschichte den Widerstand der Kärntner Slowenen gegen die deutsche Wehrmacht. Haderlap habe der Geschichte der Kärntner Partisanen eine Stimme gegeben, sagte Jurorin Daniela Strigl, die sie für den Wettbewerb vorgeschlagen hatte, ihre Wahl. "Sie beschreibt es bedächtig, mit großer Genauigkeit und ohne Hass", sagte Strigl." (Zeit)

Die weiteren Preise gingen an Steffen Popp (Kelag-Preis), Nina Bußmann (3sat-Preis), Leif Randt (Ernst-Willner-Preis) und Thomas Klupp (Publikumspreis).

"Interessanterweise war es just der zweite in die Vergangenheit zurücktauchende Text, der den zweiten Preis bekam: Für seine Thüringen-Dorf-Erkundung, den poetisch ambitioniertesten Beitrag des Wettbewerbs, erhielt der 1978 in Greifswald geborene Lyriker Steffen Popp den kelag-Preis (10 000 Euro). Wem Maja Haderlaps Beitrag literarisch konventionell erschien, bekam hier ein stilles Feuerwerk geboten, auch in der Literatur kein alltägliches Ereignis. Drei Leute reisen nach Thüringen für die Recherche in einem abgewrackten Ort, der einmal von der Glasherstellung lebte. „Kommunismus ne super Sache sei, hört Berthold, Besitz für Idioten sei, vernimmt er.“

Die Popp-Wahl traf sich gut, denn wer sich von Literatur erhofft, dass sie eben doch verblüfft wie neu, obwohl der Schriftsteller mit einem Alles-schon-Geschrieben zurechtkommen muss, der erlebte keine Klagenfurter Wundertage. Dabei gab es viele gute Texte, ein richtig gutes Mittelfeld." (Frankfurter Rundschau)

Für alle, die nicht bereits seit Donnerstag die Leserunden mitverfolgen konnten, besteht die Möglichkeit, auf den einzelnen Autorenseiten die Texte nachzuhören oder sich diese in Ruhe selbst durchzulesen – was manches Mal von Vorteil ist, da nicht jeder Vortrag so recht gelang.

Zwei bekannte Bloggerinnen haben sich auch dieses Jahr wieder die Mühe gemacht und jeden Tag vom Wettlesen berichtet.
Die Eindrücke der Kaltmamsell finden sich hier: Donnerstag, Freitag, Samstag, die von Andrea Diener hier: Donnerstag, Freitag, Samstag.

"Maja Haderlap, mitgebracht von Daniela Strigl, kündigt im Portraitfilmchen bereits an, dass ihre Geschichte sehr persönlich und autobiographisch sei. Leider merkt man das ihrem Im Kessel deutlich an. Ich höre einen Text voller Naturbeschreibungen mit hinkenden Vergleichen, dazu unmotiviert auf- und abtretende Verwandte, von einem mittelkleinen Mädchen aus Ich-Perspektive beschreiben. Die erste Hälfte über warte ich noch darauf, dass die Geschichte beginnen möge, doch es bleibt bei einer pointenlosen Aneinanderreihung von Szenen mit oft unbeholfener Vermittlung von Informationen und ausgesprochen wackliger Grammatik. (Fester Vorsatz, dass ich mich gründlich mit den Regeln der indirekten Rede vertraut mache, um nicht in dieselben Fallen wie Haderlap zu treten.)

Ganz falsch, erfahre ich von der Jury. Keller hat die Geschichte gut gefallen, unter anderem wegen ihres langsamen, gemächlichen Rhythmus’ und dem Hinführen auf eine größere Geschichte. Für Sulzer war es gleich ein „makelloser Text“, dessen große Landschaftsmetaphern am Anfang „öffnen auf die Seele des Mädchens“. Jandl hatte drei Ebenen gefunden: Partisanenkampf der Slowenen im Zweiten Weltkrieg, das heranwachsende Mädchen und die Autobiographie der Autorin – mit „feinen sprachlichen und poetischen Nuancen“ und „präzise gearbeiteten Bildern“. (Mittlerweile bin ich völlig verdattert.)" (Vorspeisenplatte)



Angela Leinen, die letztes Jahr das Buch Wie man den Bachmannpreis gewinnt herausbrachte, hat das Wettlesen in ihrem Blog zusammengefasst. Vor Ort war sie mit Katrin Passig, die den Bachmannpreis bereits 2006 gewann. Im Rahmen des Projekts Die Riesenmaschine verliehen die beiden den Automatischen Literaturkritik Preis, der dieses Jahr an Linus Reichlin ging. Dieser Preis erfolgt übrigens nach einer ganz simplen Punktevergabe, die sich an diese tolle Liste hält.

Wer sich nun fragt, wie sich das Lesen dort in Klangefurt wohl anfühlen mag, dem sei der Text von Antonia Baum, einer der diesjährigen Mitstreiterinnen, empfohlen. Sie hat aufgeschrieben, wie es ist, nicht nur zuzuschauen und Kritik zu üben, sondern Teil jener Veranstaltung zu sein:

"(...) ich freute mich tatsächlich ein bisschen auf die bevorstehende Lesung, wie ich mir auf dem Autorensessel sitzend noch mal extra ins Bewusstsein rief, und dann fing ich an zu lesen, was aufregend war und von irgendjemand anderem gemacht wurde, jedenfalls nicht von mir, dachte ich, während ich las und las und mir die Wörter aus dem Mund in den Fernseher fielen, wie mir manchmal einfiel... –und dann erschrak ich, aber las weiter, automatisch rannte mein Text vor mir her hin zu dem Kritikerhalbkreis, der die Textseiten umschlug, blätterte, in meinen Innereien herumblätterte, dachte ich lesend, selber schuld!, dachte ich weiter, und dann wurde geklatscht, und mein Mund war trocken, und es begann ein noch flüssigkeitsärmeres Gemetzel von einigen in die Jahre gekommenen Metzgern, denen der Staub aus den Gesichtern bröselte und deren Gelenke von ihrem literaturwissenschaftlichen Kalk quietschten und viel zu unbeweglich waren, um meinen Text mit Engagement umzubringen, so wie sich das für anständige Metzger gehört, denn anständige Metzger schärfen ihre Messer und hauen nicht stumpf und gelangweilt mit den immer gleichen Äxten auf dem Tier herum, dachte ich, musste ich denken, weil es sich nicht gehört, etwas zu sagen, wenn die Kritiker reden, und das ist es ja, worum es hier überhaupt geht: Was sich in der Literatur gehört und was sich nicht gehört, was in der Literatur erlaubt ist und was nicht, was geht und was nicht geht." FAZ

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Geschrieben von

Maike Hank

Die Eulen sind nicht, was sie scheinen.

Maike Hank

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