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Politik : Die Gewerkschaften und die Rentenpolitik: Ein offener Brief

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Ihre Freitag-Redaktion

... an Dierk Hirschel, Leiter der Abteilung Wirtschaftspolitik beim ver.di-Bundesvorstand

Sehr geehrter Herr Hirschel,

am Donnerstag, den 16. Februar war ich auf einer Veranstaltung im Frankfurter Gewerkschaftshaus mit dem Titel„ “Neoliberale Finanz- und Wirtschaftspolitik – Ein Scherbenhaufen?“, bei der auch Sie zu den Gästen auf dem Podium gehörten. Ich schätze Sie, Ihre Ansichten und Ihren Sachverstand sehr. Vielem, was Sie an diesem Abend sagten, kann ich absolut zustimmen. Doch dann sprachen Sie über die Rolle des Deutschen Gewerkschaftsbundes und der Einzelgewerkschaften in der Rentenpolitik, und Sie stellten die Rolle der Gewerkaschaften in der Rentenpolitik als ausnahmslos positiv dar. Das wollte und will ich nicht unwidersprochen stehen lassen.

Als die Diskussion eröffnet wurde, meldete ich mich als langjähriges ver.di-Mitglied zu einem Wortbeitrag. Und als erkennbar wurde, dass meine Ansichten zu diesem Thema kritisch ausfallen würden, wurde mir sofort das Mikrofon entzogen; es hatte zweifellos nicht nur zeitliche Gründe. Meine Kommentare zu diesem Thema seien nicht von allgemeinem Interesse. Ich könne dieses Thema nach der Veranstaltung mit Ihnen persönlich besprechen, brach mich der Moderator ab; allerdings müssten Sie auch pünktlich aufbrechen, um zurück nach Berlin zu kommen. Auf dieses Angebot verzichtete ich zunächst, möchte Ihnen meine Kritik aber in einem offenen Brief mitteilen, und Sie sind vielleicht zu einem offenen Meinungsaustausch bereit.

Die so genannte beitragsfreie Entgeltumwandlung wird mit Sozialversicherungsbeiträgen subventioniert. Beschäftigte können Teile des sozialversicherungspflichtigen Bruttoeinkommens (bis zu 4% der Beitragsbemessungsgrenze) in Form einer beitragsfreien Entgeltumwandlung zum Aufbau einer kommerziellen betrieblichen Altersvorsorge nutzen. Auf den umgewandelten Teil des Bruttoentgelts entfallen dann auch keine Sozialversicherungsbeiträge. Was zunächst positiv wirkt, führt dazu, dass den Trägern der Sozialversicherung Milliarden an Sozialversicherungsbeiträgen entzogen werden. Jeder umgewandelte Euro bedeutet ca. 40 Cent weniger Sozialversicherungsbeiträge. Leistungen der Sozialversicherung wie gesetzliche Rente, Krankengeld, Krankengeld zur Betreuung eines kranken Kindes, Übergangsgeld oder auch Arbeitslosengeld I werden nach dem verminderten Sozialversicherungsbrutto abzüglich der regelmäßigen Prämienbeiträge berechnet.

Die beitragsfreie Entgeltumwandlung war zunächst als Anschubfinanzierung des Geschäftsmodells Betriebliche Altersvorsorgung gedacht und bis 2008 befristet. 2007 beschloss die Bundesregierung unter der Regie des damaligen Bundesarbeitsministers und Vizekanzlers Franz Müntefering eine unbefristete Fortsetzung der beitragsfreien Entgeltumwandlung.

Ihre DGB-Vorstandskollegin Annelie Buntenbach fand dazu im Sommer 2007 ausschließlich positive Worte: „Wir begrüßen die Bereitschaft von Vizekanzler Müntefering, die beitragsfreie Entgeltumwandlung über 2008 hinaus fortzuführen. Damit kann sichergestellt werden, dass die positive Entwicklung, die die betriebliche Altersversorgung in den letzten Jahren genommen hat, weiter fortgesetzt werden kann.“

Außerdem bieten Tochtergesellschaften von DGB und ver.di in Zusammenarbeit mit ihren „Partnern“ Riester-Renten und andere Altersvorsorgeprodukte an. Als ver.di-Mitglied bekam ich mehrere Jahre lang mit der Post Angebote des ver.di-Mitgliederservice.

Das betrachte ich nicht nur als Maßnahme, welche eine ernsthafte Politik der Gewerkschaften ad Absurdum führt, sondern je nach Finanzierung dieser Beratungs- und Vermittlungsdienstleistungen als Zweckentfremdung von Gewerkschaftsbeiträgen.

Um die eigene Glaubwürdigkeit zu Rentenreformen endgültig zu ruinieren, unterstützt der DGB auch noch Schulungsmaßnahmen zu Riester-Rente und anderen Formen der kommerziellen Altersvorsorge.

Dazu schrieb ich Ihrer Vorstandskollegin Annelie Buntenbach 2008 einen offenen Brief und sprach sie 2010 auf einer Veranstaltung im Frankfurter Gewerkschaftshaus an, ohne eine befriedigende Antwort zu erhalten.

Auf der betreffenden Veranstaltung berichtete mir ein früherer Gewerkschaftsfunktionär, der nicht namentlich genannt werden wollte, dass die umfangreiche Subventionierung von kommerziellen Altersvorsorgemodellen bewusst und aktiv vom Banken- und Versicherungsflügel von ver.di (der früheren Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen“) gefordert wurde, um die Geschäfte von Banken und Versicherungen dauerhaft zu fördern. Ob diese Aussage zutrifft, kann ich natürlich nicht beurteilen, streite sie aber bis auf Weiteres nicht ab.

Ist Ihnen, Herr Hirschel etwas dazu bekannt? Wie ist Ihre Meinung dazu? Sind Sie der Ansicht, dass eine Beteiligung der Gewerkschaften bei der Vermittlung und beim Verkauf von kommerziellen Altersvorsorgeprodukte sowie bei Schulungsveranstaltungen eingestellt werden sollten?

Mit freundlichen Grüßen

Martin Betzwieser
Frankfurt am Main

Zuerst erschienen bei

Wirtschaft und Gesellschaft

am 03.02.2012

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.