Etwas an der Pressekonferenz der nordkoreanischen WM-Mannschaft erinnert an eine Geschichte, die über Norris McWhirter, den gruseligen Herausgeber des Guiness Buch der Rekorde, kursiert. Ihr zufolge soll McWhirter in seiner Eigenschaft als Gründungsmitglied und Vorsitzender der Freedom Association – jener reizlosen libertären Pressure Group, die unter anderem Klagen gegen Friedensaktivisten führt und 1980 dafür sorgte, dass das englische Cricket-Team trotz der Apartheid in Südafrika spielen durfte – einmal eine Schule besucht haben. Nach einer Ansprache, die ordentlich auf die Tränendrüse drückte, fragte Norris in die Stille hinein, ob irgendjemand noch Fragen habe. „Jaha“, nuschelte eines der Kinder. „Welcher Fisch
Kultur : Tore für den Geliebten Führer
Nordkorea, seit 1966 zum ersten Mal bei der WM, ist in der "Todesgruppe" gelandet. Doch nordkoreanischer Fußball funktioniert ohnehin nach eigenen Regeln. Ein Pressetermin
Von
Marina Hyde
The Guardian
Übersetzung: Christine Käppeler
elcher Fisch ist der größte der Welt?“Und so ergeht es einem auch bei der Pressekonferenz des nordkoreanischen Teams. Hat man alle Fußball-Plattitüden über sich ergehen lassen, dann ist die Versuchung groß, auf das oberflächliche „Noch Fragen?“ zu antworten: „Ja. Mal ehrlich: Ihr habt dieses Schiff versenkt, nicht wahr?“ Unglücklicherweise geht jedem Treffen mit der nordkoreanischen Nationalelf eine Anordnung der Fifa voraus, dass „Fragen, die Politik und Fußball vermischen“ nicht zugelassen werden.Nordkorea ist bei seiner ersten WM-Teilnahme seit 1966 in die sogenannte „Todesgruppe“ gelost worden. Heute Abend wird die Mannschaft gegen die Brasilianer spielen, die – das sei nur für diejenigen erklärt, die sich nur marginal für Fußball interessieren – den besseren Fußball spielen. Am Montag war es nun an Trainer Kim Jong-Hun und Pressechef Kim Myung-Chul, auf Anordnung der Fifa den degenerierten kapitalistischen Medien gegenüber zu treten.Der Stürmer als TorwartWer beruft die Spieler der nordkoreanischen Auswahl – der Trainer oder Kim Jong-Il? Schweigen. Wird Nordkorea die gleiche Konter-Strategie wie in der Qualifikation verfolgen? „Ich denke“, erwiderte ein eisiger Kim Jong-Hun, „wir sind die Demokratische Volksrepublik Korea. Also bezeichnen Sie uns bitte nicht mit irgendeinem anderen Namen.“ Ach, wie einfach es doch ist, sich die Chance auf eine Antwort zu einer beschwichtigenden Frage zu verwirken. Ihr Ziel bei dieser WM: „Es wird unseren Geliebten Führer mit großer Freude erfüllen.“ Das wäre zum Schreien komisch, hätte er in seiner Liebenswürdigkeit nicht am selben Tag alle staatlichen Essensrationen für sein Volk gestrichen.Doch zurück zu wichtigeren Dingen, wie etwa Nordkoreas Versuch, die Fifa-Regeln zu umgehen, indem sie einen zusätzlichen Stürmer als Torwart nominierten – ein Trick, der aufgeflogen ist, was nun bedeutet, dass Kim Myong-Won entweder im Tor steht oder überhaupt nicht spielt. „Er war Stürmer, jetzt ist er als Torwart aufgestellt“, erklärte Kim knapp. „Eigentlich ist er ein Torwart, aber er ist so schnell, dass wir ihn zu einem Stürmer gemacht haben... Aber bei dieser WM hat er gesagt, er wolle noch einmal Torwart sein.“Nun, Brasiliens Luís Fabinao soll ganz ähnlich herumgefackelt haben. Was Nordkoreas Starstürmer betrifft, so ist dies der aus Japan stammende Jong Tae-Se, der in der japanischen J-League spielt, einen Hummer fährt und seine Team-Kollegen entsetzlich altmodisch findet. Anfang des Jahres schrieb er auf seinem Blog darüber, wie seine Team-Kollegen bei einem Zwischenstopp auf einer Reise von der Schweiz nach Österreich fassungslos feststellten, dass man an einer Tankstelle für die Toiletten bezahlen muss. „Sie wandten sich an mich“, erinnert sich Jong, „und sagten, das sei wohl das wahre Wesen der kapitalistischen Gesellschaft.“ Womit sie nicht ganz Unrecht haben.Großer Satan vs. kleiner SatanUnterdessen gibt es gute Nachrichten für die Fans zuhause. Trotz seiner ursprünglichen Weigerung, die Spiele zu zeigen, solange Nordkorea das Turnier nicht gewonnen hat, scheint der Geliebte Führer eingeknickt zu sein und das staatliche Fernsehen hat bereits mehrere Begegnungen ausgestrahlt. Wie zu erwarten war, wurde weder das Spiel Der Große Satan vs. Der etwas kleinere Satan – oder auch: USA vs. England, wie das Programm der Fifa die Begegnung beharrlich nennt – übertragen, noch Südkoreas 2:0 gegen Griechenland.Es wird Sie wohl kaum schockieren zu hören, dass Nordkorea das Filmmaterial scheinbar nicht auf offiziellem Wege erworben hat. Die internationalen Behörden für die Übertragungsrechte sind dementsprechend sauer und sollen die Angelegenheit bereits untersuchen. Bleibt nur zu hoffen, dass sie nicht allzu viel Zeit darauf verschwenden, die Anführer aufzuspüren. Offen gesagt, steht die diebische Ausstrahlung des Spiels Frankreich gegen Uruguay auf der Liste der Dinge, die Nordkorea in der Vergangenheit ohne Lizenz unternommen hat, vermutlich ziemlich weit unten, noch hinter dem Nuklearprogramm.Was die Titelchancen des Schurkenstaates betrifft, so fehlt es nicht an Erinnerungen daran, dass Nordkorea 1966 das Viertelfinale erreicht hat. „Noch einmal 1966“ ist in diesen Tagen auf dem Bus der nordkoreanischen Nationalmannschaft zu lesen – womit sie sich als das zweit-rührseligste Team der Veranstaltung qualifiziert.Ihre Helden von ’66 werden kaum die Möglichkeiten gehabt haben, wie einige europäische Fußballer mit ihren Talenten das große Geld zu machen, aber laut Kim lassen sie sich bei der Mannschaft immer noch blicken. „Sie kamen oft ins Trainingslager und gaben uns viele Ratschläge. Sie erzählten uns, wie es werden würde und ermutigten uns sehr, damit wir unseren Geliebten Führer stolz machen können.“Die Frage, ob er sich an den Sieg gegen Italien 1966 erinnere, bejahte Kim. Er sei 10 Jahre alt gewesen und der Sieg habe ihn „erkennen lassen, dass Fußball sehr wichtig ist und die Menschen in meinem Land anregen kann. In diesem Moment entschied ich, mein Leben dem Fußball zu widmen.“ Und mit diesen Worten machte er eine Handbewegung, die bedeutete, dass die Zeit der Medien – oder der Schreiberlinge des Bösen, wie er sie hoffentlich privat nennt – abgelaufen ist.