»Immer, wenn die Kritiker meine Songs fertigmachen, verkaufe ich mehr Platten.« (Marshall Mathers alias Eminem, Rapper)
Deutschsprachiger Pop kann nicht gedacht werden ohne deutsche »Volksmusik« aus der Zeit des Nationalsozialismus. Populär ist immer das, was gefällt. Den Deutschen hatte Hitler gefallen. Wäre das nicht so gewesen, hätte es vor der Machtergreifung Hitlers einen nennenswerten Widerstand gegeben. Florian, Musiker der deutschen Rockband Kraftwerk, meinte 1975 in einem Interview in den USA: »The German people were robbed of their culture, putting an American head on it.« Der Satz steht im Passiv: Jemand raubte den Deutschen etwas. Das heißt: nicht sie selbst schlossen sich aus dem Kreis der zivilisierten Nationen aus, sonder
dem Kreis der zivilisierten Nationen aus, sondern der Verlust ihrer »Kultur« war eine erzwungene Maßnahme von außen.Diese Attitüde war bei Kraftwerk Programm. Deutsch singen hieß dissident sein - nicht in Deutschland, sondern in den Ländern, die angesichts der merkwürdigen Besinnung auf etwas angeblich Verlorenes »eisige Befremdung« zeigten. Man könnte Kraftwerks elektronische Version der Autobahn als Vorläufer des Punk verstehen: Deutsch rieb sich nicht an der Vergangenheit, sondern am Pop-Mainstream der Hippie-Musik. Die Hippies waren nicht links, sondern standen für die Hoffnung, das Gute würde letztlich siegen. Kraftwerk benutzte die Ikonografie der Technik und setzte sie musikalisch um. Sie entzogen sich der Positionierung im Kontext der Moral durch eine futuristische Affirmation des Maschinenhaften. Als Roboter war die Seelenlosigkeit und damit die nicht vorhandene Kompetenz für Moral konstituierend.Der Deutschrock von Kraftwerk wies der unmöglichen Identifikation mit der deutschen »Kultur« als Quelle der Shoa einen Ausweg und entführte das Publikum in eine imaginäre Welt der Technik, die vorgeblich fern der Politik existierte. Die populäre Angst vor der Technik, noch vor dem Zeitalter des Computers, traf sich mit der Gesellschaftskritik der Studentenbewegung und der Hippies und darf als bewusst eingesetzte öffentliche Entschuldigung gelten: Wir dürfen wieder deutsch sein, weil wir genauso Angst vor der Zukunft haben wie alle anderen Völker. Das Zitat der tabuisierten Vergangenheit in Form der benutzten Sprache konnte die subkulturelle Botschaft nicht verheimlichen: Das, was war, bedeutet jetzt etwas anderes, ja sogar weniger. Die Ideologie schien entwertet, weil sie anders zitiert wurde, als es »sich gehörte«.Der Popkünstler als TricksterDas war ein doppelter Irrtum. Popkultur ist immer und ausschließlich kosmopolitisch, wenn sie nicht ihre eigenen Wurzeln ad absurdum führen will. Die rebellische Attitüde des Pop funktioniert nur als erkenntnistheoretische und kognitive Dissonanz: Die Dinge und Symbole bleiben gleich, aber sie werden so kombiniert, dass eingeschliffene Erfahrungen nicht mehr gelten. Pop ist Kunst und kombiniert scheinbar Unmögliches: ein Reiter auf einem Pferd signalisiert nichts, was jemanden irritieren würde, ein Reiter auf einem Kamel auch nicht, aber ein Reiter auf einem Krokodil erweckt Aufmerksamkeit. Der Pop-Künstler arbeitet immer als Trickster, sonst wären seine Werke nicht Kunst, sondern Kitsch. Pop muss populäre Elemente und deren symbolischen Gehalt benutzen, sonst wäre Popmusik keine unterhaltende Musik mehr und auch nicht mehr verständlich.Der zweite Irrtum der Band Kraftwerk und ihrer Rezensenten: Deutsch als Pop allein durch die Sprache oder das, was dafür gehalten wurde, konnte nur im Ausland als Löcken wider den Mainstream-Stachel verstanden werden. Der Prophet galt nicht nur im eigenen Lande nichts, sondern musste auch zwangsläufig falsch verstanden werden. Es kommt darauf an, wo und wie man ein Symbol vor sich her trägt. Dem legendären Punk-Musiker Sid Vicious von der Band Sex Pistols und anderen Punk-Musikern wird nachgesagt, er habe ein Hakenkreuz auf seinem T-Shirt getragen. Andere taten es ihm nach. Nur mit dem kleinen Unterschied: »Sie trugen Hakenkreuze in einem Land, das von den Nazis angegriffen worden war, nicht im Land der Täter.«Die Botschaft und ihre CodierungDas Thema ist deutlich: Was bedeutet es, wenn traditionelle Symbole des Nationalsozialismus oder verwandter Ideologien in die Alltagskultur, in die Populärkultur, in Pop einsickern? Wer überrascht ist, dass das überhaupt geschieht, ist einem ebenso populären Irrtum aufgesessen. Pop war und ist nie links gewesen. Auch nicht gut, denn »Nazis sind Pop« bedeutet im strengen Sinn der Worte nur, dass rassistische und antisemitische Ideen auch Teil populärer Kultur oder Musik sein können. Pop konnte nicht wegen der Botschaft als links »gelten«, sondern nur wegen der Art und Weise, wie diese codiert und konstruiert worden war. Pop ist nicht nur Zitat, sondern eklektizistische Synthese. Eine Synthese aber, die die ursprüngliche Konnotation ihrer symbolischen Elemente verleugnet.Die slowenische Band Laibach kombinierte ästhetische Elemente des italienischen und deutschen Faschismus mit der Ikonografie des Kommunismus. Die Dissonanz der kulturellen Elemente bewies, dass es sich »nur« um Kultur handelte, populäre Kultur, die mit sich selbst nicht identisch war und somit auch nicht im falschen Sinne identitätsstiftend sein konnte.Popkultur entsteht also, wenn ihr eine verständliche Synthese gelingt. Alles kann oder könnte mit allem kombiniert werden - die klassische Bachsche Orgel mit traditionellen Instrumenten der indischen Sikhs, die Malerei der australischen Aborigines mit aztekischer Tempelkultur, »volkstümliches« Jodeln mit der Pfeifkunst kanarischer Hirten. Beinahe alles.Populärkultur kann nicht geschichtslos sein, denn sie wirkt aktiv an der Historie mit, sie erinnert, übersetzt Altes in neue Codes und mit Hilfe neuer Codes, sie konserviert Bedeutungen wie ein Bernstein das prähistorische Insekt.Pop habe eine sehr »massive denotative Genauigkeit«, schreibt Jochen Bonz, weil Pop-Codes generations- oder zumindest gruppentypische Erfahrungen behandelten, kollektive, überindividuelle, klassenunspezifische - es seien eben nur die »historischen Erfahrungen mit eben diesen Codes und den spezifischen Weltanschauungen, in denen sie zum Einsatz gekommen sind«, zum Decodieren nötig. Popkultur ist die kollektive Erinnerung der Gesellschaft, und nur wer sich erinnern kann, besitzt den Schlüssel des Codes.Die Verselbständigung des CodesDennoch scheinen sich Codes, die im kollektiven Gedächtnis dem Faschismus zugeordnet werden, zu verselbständigen. Der deutschen Band Rammstein gelang es, den Erfolg von Kraftwerk zu wiederholen. Ein Vierteljahrhundert nach der Kraftwerk-Platte Autobahn schaffte Rammstein den Sprung unter die Top 50 der amerikanischen Charts. Das Sextett wurde Anfang der neunziger Jahre im Osten Berlins gegründet und verkaufte vom Debütalbum »Herzeleid« eine halbe Million Exemplare. Die Gruppe sei »umstritten«, schreiben die Zeitungen unisono. Umstritten ist jemand, den niemand eindeutig zuordnen kann.Rammstein gibt sich unpolitisch. Der Bandname spielt auf das Unglück während einer Flugschau 1988 im gleichnamigen Ort an (der schreibt sich allerdings nur mit einem m!). Die Fans in den USA bejubelten das teutonische Getöse, verzichteten aber darauf, die Texte zu verstehen, denn die Versuche der Band, in englischer Sprache zu singen, verkauften sich nicht. Offenbar wirkt nur die Ästhetik, sie ist die Botschaft, nicht der Text. Deutsche Texte suggerieren dem angloamerikanischen Publikum Aggressivität und eigenen sich für ästhetisierende Kunstwelten wie bei Kraftwerk - aber nur dafür.Im Vergleich zu Laibach wirken Bands wie Rammstein oder deren Nachahmer, zum Beispiel Megaherz, primitiv. Die Symbolik bleibt klischeehaft und platt. Während Laibach das Publikum irritierte, weil die Codes wie im Mixer immer neu geschüttelt wurden, bleibt Rammstein in der Inszenierung gefangen wie ein Hamster in einem Laufrad. Die mangelnde Souveränität im Umgang mit den Codes macht die Band zum Opfer ihres eigenen Images.Den größten und medienwirksamsten Erfolg erzielte Rammstein mit dem Video zu ihrem Lied Stripped: Sie ließen Zitate aus Leni Riefenstahls Film über die Olympischen Spiele im Jahr 1936 montieren. Natürlich war das als Provokation gedacht, denn die Lichtdome Albert Speers, damals durch hundertfünfzig Flakscheinwerfer gebildet, gehören in der kollektiven Erinnerung zur nationalsozialistischen Ästhetik par excellence. Leni Riefenstahl und ihre Methode, politische Inhalte mit den Stilmitteln säkularer Religionen zu vermitteln und somit bestimmte Formen der Popkultur zu antizipieren, ist vor allem deshalb problematisch, weil sie ihren Kern leugnet: gruppendynamische Gefühle rituell einzuüben.Auch englische Musiker diskutierten über das Rammstein-Video. Alec Empire von Atari Teenage Riot hielt die deutsche Band nicht für Nazis, aber er vermutete, dass sie viele Platten verkaufen würden, weil das Publikum denken würde, die Musiker wären Nazis. Er erwartete, dass Rammstein sich zu den Vorwürfen äußert: »Man kann nicht ein Leni-Riefenstahl-Video machen und dann einfach sagen, das sei nur ein Scherz gewesen. Mein Großvater kam im KZ ums Leben - das finde ich nicht lustig.«Richard Kruspe, der Gitarrist der Gruppe, antwortete in einem Interview, sie wollten mit ihrer Musik, den Videos und der Bühnenshow kein politisches, sondern ein ästhetisches Statement abgeben. Der Riefenstahl-Film über die Olympiade würde international als Kunstwerk anerkannt, auch in Amerika, und hätte zwei Oscars bekommen.Die Politik des LichtdomsÄsthetik ist immer auch Politik. Das Politische besteht darin, dass das Politische geleugnet wird. Daher stehen Bands wie Rammstein und Epigonen natürlich in der künstlerischen Tradition Riefenstahls. Der Lichtdom ist eine visuelle Inszenierung des Kollektivs, deswegen heißt er »Dom«. »Lichtkirche« träfe die Absicht noch genauer. Der Lichtdom formt ein imaginäres Bauwerk, das den Einzelnen zu einem winzigen Wesen schrumpfen lässt, dem nur übrig bleibt, über das Erhabene, über die über- und unmenschliche Dimension zu staunen. Der fromme Schauder unter dem Lichtdom ist die Antizipation der freiwilligen Unterwerfung unter das Kollektiv. Lichtdom und Fackelzug sind zwei Versionen desselben Sachverhalts: der Mensch zwingt auf symbolischer Ebene Chaos zur Ordnung.Es wäre ein Irrtum zu glauben, eine Lichtkirche funktioniere heute ähnlich wie vor gut sechzig Jahren. Die Ikonografie der »Ganzheitsmaschine« Masse (Klaus Theweleit) samt Ornamenten und Ikonen (Fahnen, Portraits der Obrigkeit) wirkt im komplexen kapitalistischen System des 21. Jahrhunderts nur noch als Karikatur, so wie eine Demonstration vor dem großen Führer in Nordkorea.Rechtsrock beginnt und endet immer als eine Totgeburt. Pop ist Mischmasch und deshalb erfolgreich; Musik im braunen Tarnanzug fürchtet Ethno-Folk, echten und »schwarzen« Gangsta-Rap oder gar Punk als Lebensstil wie der Teufel das Weihwasser.»Die künstlerische Qualität von Pop-Musik erschließt sich nicht zuletzt über die Intelligenz und Raffinesse der Provokation und ihrer Wirkungen innerhalb der Massenkultur. Nach Tanz den Adolf Hitler von DAF oder den SS-Runen bei Kiss, nach den Riefenstahl-Rip-Offs bei den Fotografen Bruce Weber und Gerb Ritts, nach dem Hitler-Bart der Sparks, nach Punk, New Wave, Laibach, EBM und Industrial liefert Rammsteins Video nur die warenförmigste und eindimensionalste dieser Provokationen.«Der Text ist in Auszügen dem Kapitel »Nazis und Populärkultur« aus dem neuen Buch von Burkhard Schröder entnommen, das in den nächsten Tagen erscheinen wird (Burkhard Schröder: Nazis sind Pop, Espresso-Verlag, Berlin 2000, 160 S., DM 24,90).