Vor Antisemitismus aber ist man nur noch auf dem Monde sicher", schrieb Hannah Arendt vor fast sechzig Jahren, am 26. Dezember 1941, in einem in New York veröffentlichten Artikel. Den Satz hat die Übersetzerin und Redakteurin Marie-Luise Knott als Titel für die von ihr herausgegebene Sammlung von Artikeln gewählt, die Hannah Arendt zwischen 1941 und 1945 für die in New York verlegte deutsch-jüdische Emigrantenzeitung Aufbau schrieb. Der Satz ist immer noch und gerade im Hinblick auf die jüngsten Anschläge auf Synagogen und jüdische Friedhöfe von trister Aktualität. Doch ebensowenig überholt ist eine andere bittere Einsicht der 1933 aus Deutschland vertriebenen und 1941 im amerikanischen Exil aufgenommenen Philosophin. "Gibt es f
Kultur : Keine Freunde, wie die Toten
Hannah Arendts "Aufbau"-Artikel "Vor Antisemitismus ist man nur noch auf dem Mond sicher"
Von
Lothar Baier
"Gibt es für uns", schrieb Hannah Arendt, damit die Juden meinend, im Oktober 1941 im Aufbau, "wirklich nur die Alternative zwischen übelwollenden Feinden und leutseligen Freunden? Gibt es für uns nirgendwo echte Verbündete...?"Auslöser der verzweifelt klingenden Frage war ein im Aufbau veröffentlichter Brief des französischen Schriftstellers Jules Romains' gewesen, in dem der Autor in seiner Eigenschaft als Präsident des französischen PEN-Clubs jüdischen Emigranten "Undankbarkeit" vorwarf. Statt ihm in einer bestimmten Streitfrage zur Seite zu springen, hätten ihn jüdische Schriftsteller kritisiert, und dabei wohl vergessen, was er in der Vergangenheit für sie getan hatte. Zum Beispiel eine Resolution gegen den Antisemitismus durchgesetzt und zudem die Entlassung jüdischer Schriftsteller aus französischen Internierungslagern erwirkt. Dafür sollten sich die Betreffenden wenigstens erkenntlich zeigen.Hätte Hannah Arendt damals gewusst, auf welch schwachen Füßen die erwähnte Hilfsbereitschaft in Wirklichkeit gestanden hatte, wäre ihre Antwort auf den Beschwerdebrief wahrscheinlich noch um einiges bitterer ausgefallen. Einer der betroffenen jüdischen Autoren, der aus Ostgalizien stammende Soma Morgenstern, teilte nach Kriegsende Gershom Sholem mit, dass der wackere PEN-Präsident Jules Romains dem französischen Innenminister, der nach Kriegsausbruch gegenüber der Internierung von Intellektuellen Skrupel verspürte, zugeraten hatte, auch die aus Deutschland und Österreich geflüchteten Schriftsteller einzusperren. Erst die lautstarke Intervention der amerikanischen PEN-Präsidentin Dorothy Thompson brachte ihren französischen Kollegen Romains dazu, seine Meinung zu ändern und sich dann für die Freilassung wenigstens einiger geflüchteter Schriftsteller einzusetzen. Dafür aber sollten nun alle Juden Dankbarkeit bezeugen und Romains mit Kritik verschonen.Hannah Arendts Replik aus dem Jahr 1941 liest sich deshalb deprimierend, weil sie zum Vorschein bringt, wie wenig sich an der Schieflage des so genannten Dialogs zwischen Juden und Nichtjuden geändert hat, trotz Auschwitz und den an das Symbol Auschwitz geknüpften pädagogischen Programmen. In der wiederbelebten Rolle des beleidigten Jules Romains konnte im Jahr 1998 der Schriftsteller Martin Walser auftreten und sich die Kritik verbitten, die Ignatz Bubis, der inzwischen verstorbene Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, an Walsers Paulskirchenrede geäußert hatte. Auch hier berief sich der Gekränkte auf Verdienste, die er in der Vergangenheit glaubte erworben zu haben, und zwar auf die Jahrzehnte zurückliegende Beschäftigung mit dem Mord in Auschwitz: Nun erwartete er von dem Überlebenden Bubis dafür Dankbarkeit - und zwar in Form von Stillschweigen gegenüber Walsers fragwürdiger Meinung. Als "Wohltäter", wie Hannah Arendt es 1941 ausdrückte, wollte da einer gesehen werden, nicht als "Mitkämpfer und Verbündeter". Werden die Juden "leutselig" wahrgenommen und nicht feindselig, dann, trotz Aufklärung, wie in früheren Jahrhunderten als "Schutzjuden", nicht als Gleichberechtigte. Auch vor solch verzerrender, dem Antisemitismus nicht entgegengesetzter, sondern ihn lediglich abmildernder Wahrnehmung sind die Juden nach wie vor offenbar "nur auf dem Monde sicher".Die von Marie-Luise Knott zusammengestellten Interventionen Hannah Arendts befassen sich freilich auch mit Gegenständen, die heute nur noch von historischem Interesse sind, wie der unter zionistischen Juden innerhalb und außerhalb Palästinas damals heiß diskutierten Frage der Aufstellung einer an der Seite der Alliierten einzusetzenden jüdischen Armee. Interessant zu lesen sind diese in deutscher Sprache geschriebenen und veröffentlichten Artikel allemal, und zwar deshalb, weil sich in ihnen die allmähliche Genese von Hannah Arendts politischem Denken verfolgen lässt. Die Erfahrung der Staatenlosigkeit und der Abhängigkeit vom nicht einklagbaren Wohlwollen der Aufnahmeländer, die die aus Deutschland ausgebürgerte Autorin hatte durchleben müssen, schärfte in der Philosophin den Sinn für die Bedeutung des Rechts und weckte zugleich ihre Skepsis gegenüber der Feier der Menschenrechte, die staatenlosen Flüchtlingen eben nicht viel helfen, weil keine Instanz sich dafür zuständig fühlt. Auch die Zukunft des damaligen Mandatsgebiets Palästina, das mit verstärkter jüdischer Einwanderung und dem Erwachen des arabischen Nationalismus seinen Charakter zu wandeln begann, beschäftigte unablässig die politische Kommentatorin, die immer stärker auf Distanz zu den offiziellen zionistischen Positionen ging.Viele der in Hannah Arendts 1951 in den USA veröffentlichtem Hauptwerk Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft entfalteten Themen und Überlegungen klingen bereits in den Aufbau-Artikeln an. Die pointierte Form des Zeitungskommentars bringt jedoch gewisse konzeptionelle Schwächen Hannah Arendts deutlicher als das Buch zum Vorschein, etwa die Missverständlichkeit der für sie wichtigen Kategorie des "Mobs" oder des Vergleichs der Situation der Juden mit der indischer "Parias". In ihrer informativen und sachkundigen Kommentierung weist die Herausgeberin zu Recht auf das Nebeneinander von Hellsichtigkeit und Blindheiten in Hannah Arendts Denken hin. Als Beispiel bedauerlicher Blindheit hebt sie dann Arendts positive Beurteilung des sowjetischen Umgangs mit den Juden hervor. Doch gerade dieses zeitgebundene Urteil verdient am ehesten Nachsicht: Angesichts der Befreiung Minsks und Wilnas durch die vorrückende Rote Armee im Sommer 1944 und angesichts der Tatsache, dass sowjetische Armeeeinheiten von jüdischen Generälen geführt wurden, von Amerika aus Anerkennung nicht verhehlen zu können, zeugt nicht unbedingt von Blindheit. Spezialistin für die sowjetischen Verhältnisse war Hannah Arendt nicht - so wenig wie für Prophetien. Der Zeitgenossin der bis 1945 noch zusammenhaltenden angelsächsisch-sowjetischen Anti-Hitler-Koalition implizit vorzuhalten, dass sie die Ende der vierziger Jahre bei Stalin durchbrechende antisemitische Paranoia nicht vorausgesehen hatte, verrät nichts als wohlfeile nachgeborene Neunmalklugheit. Von einer substantielleren Diskussion Arendtscher Denkfiguren hätten die Leser mehr gehabt.Hannah Arendt: Vor Antisemitismus ist man nur noch auf dem Monde sicher. Beiträge für die deutsch-jüdische Emigrantenzeitung Aufbau. Herausgegeben, mit einem Nachwort und mit Anmerkungen versehen von Marie-Luise Knott. Piper Verlag, München 2000, 244 S., 39,80 DM