Mit dem Blog "Generación Y" ist die 32-jährige Philologin Yoani Sánchez zu einer der am meisten beachteten Stimmen aus Kuba geworden. Am 7. Mai erhält soll sie in Madrid den "Premio Ortega y Gasset" erhalten
Genau ein Jahr ist vergangen seit Yoani Sánchez mit ihrem Blog Generación Y begonnen hat. Den Namen wählte sie, weil in den 1970er Jahren, als sie zur Welt kam, auf Kuba seltsame Vornamen wie der ihre, die mit Y beginnen, bei der Generation ihrer Eltern en vogue waren. Die Eröffnung eines Blogs ist in fast jedem anderen Land der Welt kaum mehr der Rede wert, doch in Kuba, wo der Zugang zum Internet äußerst restriktiv gehandhabt wird, verhält sich das ein wenig anders. Laut Statistik hat in Lateinamerika außer in Kuba nur noch in Haiti ein noch kleinerer Anteil der Bevölkerung die Möglichkeit, ins Internet zu gelangen.
Zwar gibt es auch auf Kuba mittlerweile eine stattliche Anzahl von Blogs, viele davon betreiben Institutionen oder Persö
n oder Persönlichkeiten der Regierung, andere laufen unter Pseudonym und ventilieren Kritik, und dann gibt es natürlich jene von der kubanischen Exilgemeinde, die über die ganze Welt verstreut ist. Hier gibt es seit Jahren eine unendliche Fülle von Websites und Blogs, viele davon plumper und schwer verdaulicher Agit-Prop mit schlichten Titeln wie Freiheit-für-Kuba oder Nieder-mit-Fidel. Mit all dem hat Yoani Sánchez nichts am Hut. Sie war zwar die erste Person, die es wagte, von Kuba aus ihr Foto und ihren vollen Namen ins Netz zu stellen. Doch sie schrieb vor allem frisch drauflos, weil sie zeigen wollte, wie ihr Alltag in Havanna aussieht. Auf eigene Faust stellt sie über einen der spärlichen, öffentlich zugänglichen Internet-Zugänge in Havanna ihre Texte ins Netz, einen privaten Internetzugang zu Hause in ihrer Hochhaus-Wohnung in Havannas Stadtteil Nuevo Vedado hat sie nicht. Es gibt zwar in Kuba schon seit geraumer Zeit einen Schwarzmarkt von Anbietern, die unter der Hand und zu horrenden Preisen temporär nutzbare Passwörter anbieten, doch darauf stehen hohe Strafen, und Sánchez ist bemüht, dem kubanischen Staat keinen Vorwand zu liefern, sie belangen zu können.Die Mutter eines zwölfjährigen Sohnes und Lebenspartnerin des Journalisten Reinaldo Escobar - der vor zwanzig Jahren bei der Tageszeitung Juventud Rebelde wegen zu kritischer Artikel herausflog und seither als Sprachlehrer arbeitet - wirkt im Gespräch auf den ersten Blick zwar zerbrechlich und fast schüchtern, doch sie strahlt eine ungeheure Energie und Entschlossenheit aus. Aber noch weit stärker als diese Eigenschaften fallen ihr Witz und ihre Selbstironie auf: "Ich habe mit diesem Blog als eine Art Selbsttherapie begonnen, ich wollte einfach nicht mehr schweigen. Natürlich gab es jede Menge Leute, die fanden, ich sei ganz einfach verrückt, so etwas zu machen, doch daran habe ich mich längst gewöhnt", erklärt sie lachend und fügt dann hinzu, sie beanspruche, weder Politikerin noch Journalistin zu sein. Natürlich ist sie mittlerweile beides. Der Preis "Ortega y Gasset", den sie am 7. Mai erhält - benannt nach dem spanischen Philosophen aus der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts - wird seit 25 Jahren von der spanischen Tageszeitung El País verliehen, die nicht nur in Spanien, sondern im ganzen spanischen Sprachraum eine der international am meisten beachteten Stimmen ist.. El País steht der spanischen Regierungspartei PSOE nahe, und mit der wiedergewählten Regierung von Ministerpräsident Zapatero hat die Regierung von Raul Castro momentan beste Beziehungen. Gerade vor einigen Wochen wurde ein Vertrag unterzeichnet, der noch mehr spanische Investoren nach Kuba locken soll. Kuba hätte also ein ernsthaftes Problem, sollte es der Bloggerin die Ausreise nach Spanien verweigern. Doch klar ist auch, dass Sánchez dort an dem Festakt, wo noch ein Fotoreporter aus Spanien für seine Kriegsbilder und zwei Journalistinnen aus Mexiko für ihre Recherchen im Sumpf von Korruption und Kindsmissbrauch ausgezeichnet werden, nicht als Botschafterin der Regierung ihres Landes auftreten wird. "Aber ich glaube, die Konjunktur ist ausgezeichnet, um mich ausreisen zu lassen", erklärt Sánchez und ihre Ironie ist schon wieder spürbar, wenn sie sagt: "Ich könnte doch auch die beste Propaganda des Raúlismus sein" und dann erklärt sie, dass sie mit den Verdächtigungen, sie sei eine Provokateurin oder Agentin des Regimes, längst zu leben gelernt habe. Schließlich wird sie doch ernst und sagt: "Es gibt in meinem Umfeld in Kuba diese Leute, die finden, ich müsste eigentlich längst im Gefängnis sein, schließlich hätten andere für ähnliche Meinungsäußerungen früher mit langjährigen Haftstrafen oder Exil gebüßt." Für die kubanische Regierung ist der Fall Sánchez alles andere als einfach. Die Journalistin gehört weder zu einer Oppositionsgruppe, noch hat sie irgendwelche Verbindungen zur US-Vertretung in Havanna, und die Text in ihrem Blog rufen in keiner Weise zu Delikten oder dem Sturz der Regierung auf. Sánchez ist lediglich dort politisch, wo sie ihre persönliche Meinung zu den Verhältnissen in ihrem Land kundtut - und das ist man sich nicht gewohnt in einem Staat, wo die Leute gelernt haben, den Mund zu halten, sich zu arrangieren oder dort zu applaudieren, wo man sie hinmobilisiert hat."Sie lassen mich nicht schlafen" - so beginnt ein Eintrag von Generación Y am 19. Februar. Das war jener Tag, als Kuba wieder einmal die Titelseiten von Medien in aller Welt beherrschte. Fidel Castro hatte am Vortag seinen Rücktritt von den wichtigsten Ämtern in Staat, Partei und Armee bekannt gegeben und jene schriftliche Erklärung mit den Worten geschlossen. "Ich verabschiede mich nicht von euch", was eher drohend als tröstlich klang. Sánchez beklagt sich in jenem Eintrag in ironischem Ton darüber, dass seit 3 Uhr morgens das Telefon bei ihr praktisch ununterbrochen klingelt, und sie von Journalisten aus aller Welt mit Fragen belagert wird. Und wundert sich dann: "Als ob es auf dieser Insel irgendjemand gäbe, der auf irgend etwas eine Antwort hätte." Fünf Tage später war das Interesse der Weltöffentlichkeit erneut auf Kuba gerichtet, denn an jenem Tag trat zum ersten Mal das neu gewählte kubanische Parlament zusammen und Raúl Castro hielt seine erste Rede in seiner neuen Funktion als Staatschef. Überall hatte man erwartet, dass er bei jener Gelegenheit konkrete Reformschritte ankündigen würde. Doch was er dann sagte, das unterschied sich inhaltlich vom Diskurs Fidel Castros nur in ganz feinen Nuancen. Zur Rede Raúl Castros schrieb Sanchez: "Gestern setzte ich mich hin und versuchte, so wie einst der französische Aegyptologe Champollion, Wort für Wort der Rede, und jede neue Person des inneren Machtzirkels zu dechiffrieren." Sie beschreibt dann weiter, dass sie in ihren Bemühungen nicht weit gekommen sei und beschließt den Eintrag mit den Worten: "Die ägyptischen Hieroglyphen scheinen mir leichter zu erforschen als die langweilige Unbeweglichkeit der kubanischen Politik". Betitelt ist jener Eintrag mit "Auf der Suche nach dem Stein von Rosetta" und illustriert ist er mit einem Foto jenes berühmten Steins mit den Hieroglyphen.Das ist in der Tat ein anderer Ton als jener von Politikern, doch längst nicht alle der Leser des Blogs goutieren solchen sanften Spott. Man kann als Leser Stunden damit verbringen, die zum Teil erbitterten Diskussionen zu verfolgen, die dieser Blog auslöst, manche Einträge erhalten mehrere Tausend Kommentare. Längst kann die Bloggerin auch nicht mehr kontrollieren, was über sie geschrieben wird. Sie selber findet dazu, dass sie sich des Problems bewusst, aber überzeugt sei, dass diese Bekanntheit auch ein Schutz ist für sie. Gewisse Kommentare machen einem als Leser aber Angst durch ihre Vulgarität, mit der sie als junge Frau angegriffen wird. "Hier zeigt sich die Fratze des Castrismus, wie er mit abweichenden Meinungen umgeht", ist darauf dann postwendend die Reaktion jener immensen Anzahl von Lesern und Leserinnen, die der Bloggerin immer wieder Mut machen.Sie selber nimmt diese Angriffe erstaunlich gelassen und lächelt: "Schau, ich lebe in Kuba, und irgendwo gehört das zur hier herrschenden Macho-Kultur. Ich finde das nicht viel anders, als die dauernden Kommentare und Bemerkungen, die du als Frau in Kuba auf der Strasse tagtäglich von Männern zu hören bekommst, und die von charmant bis grenzenlos obszön alles sein können." Sie weiß, wovon sie spricht, denn sie hatte von 2002 bis 2004 im Ausland, in der Schweiz gelebt, hatte es auf verschlungenen Wegen geschafft, hier Arbeit zu finden. Doch sie kehrte schließlich desillusioniert nach Kuba zurück - freiwillig. Und das ist etwas, das viele Leute in Kuba noch weniger verstehen als die Tatsache, dass sie sich mit ihrem Blog so exponiert. Ihre Rückkehr hatte viel damit zu tun, dass ihr Partner Reinaldo Escobar mit seinen sechzig Jahren auf dem hiesigen Arbeitsmarkt nicht den Hauch einer Chance hatte. Doch auch sie selber merkte in jenen zwei Jahren immer mehr, dass ihr die Lebensart in Kuba trotz allem gefiel. "Ich erkannte, dass mein Ort nicht ein anderer, sondern ein anderes Kuba war". Und für dieses andere Kuba kämpft sie seither.www.desdecuba.com/generaciony