Die Blogosphäre scheint eine männliche Domäne zu sein, schließlich bietet das Internet genügend Stoff zur Beschäftigung mit Technik. Was aber machen die Frauen?
Das Tagebuch hat die Schublade des Nachtschranks verlassen. Es wartet aufgeklappt auf dem Schreibtisch und surrt. Mit Tinte geschriebene Gedanken, die Schreibende einst unter dem Schutz eines winzigen Vorhängeschlosses verbargen, tippen wir heute in ein Online-Tagebuch. Ein weiteres Stück Lebenswelt hat sich in den virtuellen Raum verlagert. Blogs sind keinesfalls ein Phänomen, das uns das so genannte Web 2.0 beschert hat. Die menschliche Mitteilsamkeit in Form von Online-Tagebüchern und anderen sozialen Medien konstituiert den Begriff.
Doch auf den ersten Blick muten das Netz und die Bloglandschaft nicht wie eine Bibliothek intimer Niederschriften an, sondern wie ein weit verstreuter Technikbaukasten von Jungs. Dem Internet haftet ein männliches Image an. Die Exper
Die Experten der neuen Medien, die Blogger, die sich über die Netzwelt hinaus einen Ruf verschafft haben, sind in der Regel Männer, obgleich Frauen ihnen in der quantitativen Nutzung der Technologie nicht nachstehen. Im Gegenteil, das Feld des Bloggens haben sie bereits übernommen. Dass eine Übertragung des mädchenhaften Scheins, der das Tagebuch umgibt, von der Offline- auf die Onlinewelt noch nicht geschehen ist, liegt an der raschen Entwicklung des Mediums, die außerhalb des Netzes meist nur in einer Facette wahrgenommen wird: Blogs haben sich als junge Mediengattung etabliert und sind eine Publikationsform mit reger Anschlusskommunikation.Thematisch kreisen die von Journalisten besprochenen Topblogs allerdings meist um Themen, die ihre eigene Legitimation betreffen. Eine publizistische Vielfalt kann man unter den Leistungsträgern der Netzpublizistik nicht entdecken. Die Szene, die gerne als „digitale Avantgarde“ bezeichnet wird, weist erste Rostflecken auf. Bei Deutschlands größtem Treffpunkt der Netzbürger, der re:publica Anfang April, wirkte die homogene Masse aus technikversierten Männern zwischen 30 und 40 eher undurchlässig, bequem und keinesfalls auf Krawall, Vermehrung und Machtergreifung gebürstet. Das Web 2.0 hat -bislang weniger zur Verschiebung von klassischen Machtstrukturen und Geschlechterstereotypen beigetragen als angenommen.Eine neue Art PrivatheitDas ist nur eine Erklärung dafür, warum Frauen in der Blogosphäre weniger sichtbar zu sein scheinen. Sie nutzen ihr Tagebuch zu einem anderen Zweck. Frauen schreiben Blogs seltener mit der Absicht, Eigenes zu publizieren, als über Persönliches zu kommunizieren. Während bei Männern durchaus beobachtet werden kann, dass sie beim Bloggen gerne Punkte sammeln und Siege erringen, steht bei Bloggerinnen der Dialog, aber auch die visuelle Darstellung im Vordergrund. Neben dem fehlenden Interesse an einer Platzierung in den Blogcharts kommt hinzu, dass Frauen das große Publikum scheuen. Die weibliche Netznutzung hat eine neue Art Privatheit bewirkt, die trotz der Öffentlichkeit des Netzes den geschützten Charakter des Tagebuchs nicht verliert. Neben anonymen Accounts bauen Frauen gezielt einen virtuellen Freundeskreis auf, der den privaten Charakter der Kommunikation erhält. Die ganz eigene Relevanz vom Netz der Frauen ist daher oft nur für Eingeweihte erkennbar.Vorsprung durch Kommunikation – und nicht durch Technik – könnte ein Leitsatz für den Großteil weiblicher Internetnutzung sein. Beim digitalen Plausch hat sich für Frauen nur der Ort der Austragung verschoben. Die Informationssuche und Meinungsbildung setzt sich im Netz analog zu verbaler Kommunikation und anderen Frauenmedien fort. Im Kreise von Gleichgesinnten werden verschiedene Sichtweisen eingeholt und abgewogen. Persönliche Bezugspunkte überwiegen gegenüber einzelnen Expertenmeinungen. Die sozialen Bindungen, die hier initiiert werden, kommen der ursprünglichen Bedeutung des Wortes Freundschaft sehr viel näher als dem, was die Bezeichnung „Friend“ in sozialen Netzwerken als virtuellen Kontakt bezeichnet. Im Netz entwickeln sich zwischen vormals Fremden Beziehungen, die als relevant erlebt werden – und Vertrauen.Das Internet einfach als weiteren Kommunikationskanal zu nutzen – dieser Pragmatismus ist ein weiterer Hinweis darauf, warum bislang weniger Frauen durch die Nutzung des Netzes zu einer öffentlichen Person geworden sind. Mit großer Selbstverständlichkeit wurde das Netz als Ort begrüßt, an dem bestehende Themen eine weitere Verbreitung finden können. Expertinnen existierten bereits. Das erste neue Expertisefeld, das sich durch das Internet eröffnete, war das Internet selbst. Die zunächst überwiegend technischen Aspekte erklären vielleicht, warum Netzthemen eher von Männern besetzt werden. Originär im Netz entstehende weibliche Wissensgebiete formieren sich langsam, unterliegen aber dem gleichen Problem, das „Frauenthemen“ in klassischen Medien haben: über ihre Relevanz wird in der breiten Öffentlichkeit nicht von Frauen bestimmt, und sie wurzeln eher in der privaten Lebenswelt.Dass jedoch ganz unterschiedliche Themen erfolgreich sein können, beweist ein Blick in die von jungen Frauen geschriebenen Blogs. Zwei der bekanntesten ihrer Art könnten gegensätzlicher kaum sein: Les Mads ist ein Modeblog, das seine Inhalte aus dem Alltag der Schreiberinnen generiert, die Mädchenmannschaft schreibt täglich feministische Texte mit hohem politischen Gehalt. In Zahlen gemessen ist das Modeblog von Julia Knolle und Jessica Weiß mittlerweile eines der erfolgreichsten Onlinetagebücher. Dass niemand die Autorinnen von Les Mads als Netzexpertinnen auf Podiumsdiskussionen neben die so genannten Alpha-Blogger setzt, ist überraschend: Von der weiblichen Spielart der Netznutzung kann man nicht nur lernen, sie weist durchaus Gemeinsamkeiten zum männlichen Pendant auf. Eine starke Personalisierung und Inszenierung der eigenen Person sind Faktoren des Erfolgs.Das selbstdarstellerische Tagebuch existiert durchaus als Textform in Autorenblogs, auch wenn der wiedergegebene Alltag weniger persönlich als von Themen, die für öffentlichkeitsrelevant befunden werden, geprägt ist. Frauen, die nicht selten in Teams bloggen oder ihre Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Autorinnen textlich zumindest herausstellen, teilen eher private Dinge mit und erreichen ihre Ratgeberfunktion eher im Stil einer Freundin, die zu etwas anregt und Vorschläge diskutiert, als dass sie eine steile These in den Raum stellten. Beides funktioniert. Logisch folgt daraus jedoch, dass Debatten über das Ende der Printmedien oder die Zukunft des Kapitalismus leichter den Weg in die Feuilletons finden, als banal scheinende Diskussionen über Belange der weiblichen Lebenswelt. Dass Frauen mit ihren Ideen zunächst in ihren Blogs und unter sich bleiben, ist kein Zeichen der Güte der dort entstehenden Inhalte. Dennoch gibt es mehr zu entdecken als Tratsch und Kaffeeklatsch. Tagebücher schließen politische Gedanken nicht aus. Analyse und Kommentar sind aber eher zwischen den Zeilen zu finden, gekoppelt an das persönliche Empfinden, begleitete von bissigen Anmerkungen und einer Menge Humor.Fundierte feministische KritikZudem offenbart das Selfmade-Netz der Frauen etwas, das klassische Medien fast gänzlich vernachlässigen: eine fundierte feministische Kritik an Medien und Gesellschaft. Themen, die an anderen Stellen zu kurz kommen, finden auf Websites ihre Leserinnen. Vergleicht man die Print- und Onlineangebote von großen Verlagshäusern mit von Frauen geschriebenen Blogs, springen eklatante Unterschiede im Themenangebot ins Auge. Die gebloggte Vielfalt stellt das pink gefärbte Portfolio von Frauenmagazinen, wo selbst die Brigitte politische Texte unter das Rubrum „Gesellschaft“ fasst, in den Schatten. Das eigens erstellte Informationsangebot kommt ohne die Themen aus, aufgrund derer Frauenmedien einen weniger intellektuellen Ruf genießen: Hungern, Horoskope, Hollywood. Im Gegenzug ist reichlich Raum für Inhalte, in denen sich das Selbstverständnis einer emanzipierten Generation offenbart. Zaghaft entsteht in Blogs ein Gegengewicht zur medialen Wirklichkeit, die durch eine Kanzlerin und einen Bestsellererfolg von Charlotte Roche zu schnell den Stempel aufgedrückt bekam, dass alles in Ordnung sei.Wohin die Reise geht verrät wie so oft in Sachen Netz der Blick über den Teich. Susanne Klingner, Journalistin und Autorin der Mädchenmannschaft, beschreibt das Entdecken der amerikanischen Website feministing.com vor ein paar Jahren als „regelrechte Offenbarung“. Diese feministische Website sowie Onlineangebote wie Jezebel („Celebrity, Sex, Fashion for Women. Without Airbrushing.“) oder The XX Factor (What women really think), bei denen harte Themen wie Politik und Wirtschaft gleichberechtigt neben Boulevardgeschichten ihren Platz einnehmen, haben das Nischendasein längst gegen eine breite Brust und relevante Leserzahlen eingetauscht. Hierzulande arbeiten die kleinen, bissigen Frauenblogs gerade in Eigenregie an einer besseren Vernetzung und höheren Reichweite. Denn so kuschelig es auch im trauten Kreis der Freundinnen sein mag: ohne Kontakte, Konflikte und Kritik wachsen Blogs nur langsam.Aus diesem Grund wird ein Zusammenwachsen mit der männlichen Blogosphäre ohne Umschweife forciert. Sogar die Mädchenmannschaft lässt ihren Quotenmann regelmäßig auf ihrer Seite zu Wort kommen, der sich bei Leserinnen und Lesern gleicher Beliebtheit erfreut. Das Miteinanderarbeiten zeigt, dass viele Fragen der Netzkultur bislang weder gestellt, noch beantwortet wurden und wohl nur gemeinsam gelöst werden können. Eine dieser Fragen formulierte Bloggerin Lisa Rank am zweiten Tag der re:publica: „Wieso schreiben so wenig Frauen politische Blogs?“ steht jetzt im Raum. Ich würde auch gern fragen: “Wieso schreiben so wenig Männer über ihre Gefühle?” Ich meine es ernst. Ich bin ja nicht zum Spaß hier.Mehr zum Thema:Mädchenmannschaft: Ein re:sümeeI heart digital life: Frauen und TwitterZwilobit: Wenn Frauen bloggenStephanie Rosenbloom, The New York Times: Sorry, Boys, This Is Our DomainBryn Mawr, Gender and Technology 2009: The Role of Blogging in the Feminist Movement