Die Grimme-Online-Preise gehen dieses Jahr auch an investigative Blogger: Marvin Oppong und Jens Weinreich bieten Qualitätsjournalismus. Geachtet wird das bisher kaum
Einer der Autoren des preisgekrönten Autoren-Blogs Carta heißt Marvin Oppong. Zwischen den analytischen Stücken von Co-Bloggern wie dem renommierten Schweizer Medienwissenschaftler Stephan Russ-Mohl, Musik-Manager Tim Renner oder alten Hasen wie dem ehemaligen BILD-Chefredakteur Michael Spreng wirkt der 27-jährige Student mit seinem Unterblog „Investigative Recherche“ zunächst etwas fremd. Doch das Küken des illustren Carta-Netzwerks mausert sich gerade zum Schrecken zahlreicher Institutionen. Im publizistischen Kampf gegen Filz, Misswirtschaft, Lobbyismus oder Korruption hat der Nebenberufs-Journalist bereits etliche Erfolge zu verzeichnen.
In Fachkreisen wurde Oppong bekannt, als er den WDR auf Auskunft nach dem Informationsfreiheitsgesetz verklag
n WDR auf Auskunft nach dem Informationsfreiheitsgesetz verklagte. Bis heute weigert der Sender sich, Geschäftsbeziehungen offen zu legen. Zwar ist über das Klagebegehren noch nicht entschieden, doch spricht eine Novelle des WDR-Gesetzes für sich. Zukünftig dürfen Mitglieder von Verwaltungs- und Rundfunkrat nicht mehr Gesellschafter von WDR-Tochterfirmen sein. Außerdem dürfen Auskünfte nach dem Informationsfreiheitsgesetz nur noch verweigert werden, wenn journalistische Belange oder das Programm betroffen wären.Für GotteslohnOppong betreibt klassischen investigativen Journalismus. Also die Form des Journalismus, die maßgeblich für die Zukunft des traditionellen Journalismus sein wird, wie der Verleger Konstantin Neven-DuMont behauptet, aber davon hat der angehende Jurist nicht allzu viel. Eher selten kann er seine Artikel bei traditionellen Medien absetzen. Die Honorare sind mager und kostenintensive Zusatzrecherchen aus eigenen Mitteln nicht zu bestreiten. Den Riecher für enthüllende Stoffe delegieren Redakteure allzu gern an die ganz großen Namen der Branche oder gar an die Bild-Zeitung und klappern dann nach. Kurz nachdem Oppong einen Artikel über die Nebenjobs der ARD-Börsenexpertin Anja Kohl veröffentlicht hatte, kam das NDR-Medienmagazin ZAPP mit einem groß aufgemachten Beitrag zu Moderatoren-Nebenjobs heraus. Die Bild-Zeitung sprang auf, und schon echauffierte sich die ganze Republik.Auch der berühmte investigative Journalist Hans Leyendecker von der Süddeutschen Zeitung vergaß in seinem Eifer, seine Quelle zu erwähnen. Als geistiger Vater der öffentlichen Debatte um die Nebeneinkünfte von Vorzeige-Journalisten gilt nun der scheidende ZAPP-Chef Kuno Haberbusch, wie Leyendecker Mitglied des Netzwerk Recherche. Die rührigen Netzwerker haben es geschafft, durch geschicktes Marketing sich selbst als Synonym für investigativen Journalismus zu etablieren – ohne ihn überhaupt noch betreiben zu müssen. Vorwiegend besteht ihre Funktion inzwischen darin, als gut vernetztes Kartell dafür zu sorgen, sich gegenseitig in Szene zu setzen.An der so aufgeregt geführten Debatte um Nebenjobs rügte der Mittwaidaer Medien-Professor Horst Müller unter anderem, dass die beteiligten Protagonisten von Netzwerk Recherche Recherchen in den eigenen Reihen vermieden. Blogger Müller hätte gern gewusst, wie sich in den moralischen Anspruch einfügt, dass Netzwerk Recherche-Chef Thomas Leif ausgerechnet für den Verlag der Passauer Neuen Presse eine Diskussionsrunde mit Wirtschaftsgrößen moderierte. Nach Erkenntnissen des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV) unterläuft der Verlag Tarifverträge für Redakteure. Solche Blindheit auf einem Auge ist schon fast eine Bankrotterklärung der selbsternannten Vierten Gewalt.Persona non grataNah an der Bankrotterklärung ihrer Zunft verortet auch Jens Weinreich viele seiner Sportjournalisten-Kollegen. Anders als Oppong ist der investigative Sportjournalist durch jahrelangen persönlichen Umgang mit sämtlichen Protagonisten zum intimen Kenner der Szene geworden, die ihm die Stoffe liefert. Seine Enthüllungen über Doping sowie die mafiösen Strukturen und undurchsichtigen Machenschaften der nationalen und internationalen Sport-Industrie, durchaus auch der Einbindung von Journalisten in dieses System, haben ihm neben dem Wächterpreis der deutschen Tagespresse 2005 unter anderem die zweifelhafte Ehre eingebracht, 2006 von der FIFA zur persona non grata erklärt zu werden.Berühmt wurde der zudem berufspolitisch aktive Journalist allerdings erst im Spätherbst 2008, als Stefan Niggemeier über eine kuriose juristische Auseinandersetzung des DFB mit Weinreich bloggte. Nicht nur im Internet war der 44jährige plötzlich in aller Munde, sondern er schaffte es bis in die internationalen Medien, weil er den DFB-Präsidenten einen „unglaublichen Demagogen“ genannt hatte und sich erfolgreich wehrte, als der DFB fast alle Register seines Machtapparats betätigte, um Unterlassung zu erzwingen. Weinreich, der 2009 in die Klasse jener Journalisten aufrückte, die von Medien, die mit großen Namen PR für sich selbst betreiben, Journalisten-Preise erhält, freute sich, dass in der Laudatio für den Grimme-Award der DFB nicht erwähnt wurde. Wie es scheint, ist der international gefragte Fachmann sich der zweifelhaften Mechanismen der eigenen Zunft auch in eigener Sache gewärtig.In seinem Blog arbeitet Weinreich heftig gegen die intellektuelle Aktivierung medialer Oberflächenreflexe. Bis ins kleinste Detail werden Strukturen und Querverbindungen oder auch Entscheidungswege offengelegt, Mosaiksteinchen an Mosaiksteinchen gesetzt, Zwischenergebnisse analysiert – und den Lesern zur Diskussion gestellt. Work-in-progress. Ergebnis: Qualitätsjournalismus. Zu besichtigen in einem Blog.