Als Ingmar Bergman 1973 in seinen Szenen einer Ehe die Selbstzerfleischungen eines durchschnittlichen Mittelstandsehepaars als Fernsehserie aufbereitete, reagierte das an Seichtigkeiten gewöhnte Fernsehpublikum mit einer Mischung aus Empörung und Faszination. Nie zuvor hatte es die Möglichkeit, vom Wohnzimmersessel aus der allmählichen Auflösung einer Beziehung beizuwohnen, die in ihrer Intimität und Banalität auch die eigene hätte sein können. Bei allem Voyeurismus wahrte Bergman indessen stets Distanz zu seinen Figuren, die trotz ihrer brutalen Selbstanalyse Ernst und Würde behielten. Aus heutiger Sicht erscheint Bergmans Film, aus dessen endlosen Dialogen Woody Allen wenig später den Stoff seiner Beziehungskomödien machte, wie
Kultur : Trauma, Folter, Baum-Umarmen
In seinem aktuellen Filmdrama „Antichrist“ versetzt Regisseur Lars von Trier seine Helden in einen vorzivilisatorischen Zustand drastisch wütender Gewalt
Von
Magnus Klaue
machte, wie eine filmische Gesprächstherapie: Derlei mag es noch geben, dabei zuschauen möchte man nicht.Wer mit den Bergman‘schen Subtilitäten noch nie etwas anfangen konnte und sich trotzdem danach sehnt, bei existentiellen Seelenentblößungen live dabei zu sein, der war bei Lars von Trier schon immer gut aufgehoben. Rohe Authentizität, kreatürliche Nacktheit und rückhaltlose Triebenthemmung sind die Ingredienzien, mit denen dessen Kino lockt. Deshalb liebt man seine Filme insbesondere in Deutschland so sehr: Ihre archaische, blutopferverliebte Gewaltästhetik entspricht haargenau dem, was man sich hierzulande spätestens seit Knut Hamsun als „skandinavisches“ oder „nordisches“ Lebensgefühl vorzustellen pflegt. In von Triers früheren Filmen wie Breaking the Waves (1996) oder Dancer in the Dark (2000) standen die rudimentären Plots, die gewisse Zugeständnisse an das traditionelle Erzählkino verlangten, der konsequenten Entwicklung seines ästhetischen Stils noch im Wege. Mittlerweile aber muss der für seinen rauen Umgangston bekannte Künstler, der sich selbst in durchaus unironischer Hybris als „besten Kinoregisseur der Welt“ bezeichnet, auf derlei Petitessen keine Rücksicht mehr nehmen.In seinem neuen Film Antichrist, der bei den Filmfestspielen in Cannes prompt den eingeplanten Skandal erregte, reduziert er die Handlung aufs Nötigste. Im Zentrum steht, wie einst bei Bergman, ein krisengeschütteltes Paar: „Er“ (Willem Dafoe) und „Sie“ (Charlotte Gainsbourg), die nach dem Tod ihres Kindes mit ihrem Schmerz nicht umgehen können. Der Mann, ein gefühlskalter Therapeut, verordnet seiner labilen, zur Hysterie neigenden Frau eine radikale Urschrei- und Gewalttherapie, um über den Verlust hinwegzukommen. Zu diesem Zweck geht er mit ihr in den Wald, den Ort ihrer schlimmsten Albträume, um sie mit den verborgenen Seiten ihrer Seele zu konfrontieren. Dort eskaliert die Situation ziemlich schnell, und beide regredieren immer hemmungsloser in eine Art archaischen Urzustand, in dem Sex- und Blutorgien ununterscheidbar werden und Kommunikation sich auf animalische Gewaltverhältnisse reduziert. Am Ende des Films, in dessen Verlauf sich die Protagonisten buchstäblich zu Tode vögeln respektive foltern, steht auch noch so etwas wie eine metaphysische Botschaft: dass nämlich nicht Gott, sondern der Satan die Welt erschaffen und, wie schon von Triers frühere Filme nahelegten, im Körper des Weibes seinen ständigen Sitz gefunden habe.WelterklärungsmodellDas alles ist leider tatsächlich genauso schlecht, wie es klingt, und man fühlt sich traurig berührt angesichts der Rücksichtslosigkeit, mit der die beiden grandiosen Hauptdarsteller unter Ausbeutung ihres Images für die fade Bebilderung von Triers Größenphantasien in Dienst genommen werden. Dafoes dämonisches Charisma und Gainsbourgs verruchter Kindfrau-Gestus werden in keinerlei ästhetischen Zusammenhang gerückt, sondern als automatisiertes Stimulans abgerufen, um der trivialen Geschichte, die über weite Strecken wie eine Bebilderung der Blut-und-Boden-Psychologie C. G. Jungs anmutet, den Ruch des Tabubruchs zu verleihen.Trotzdem bleibt die Konstellation, die der Film entwirft, so abstrakt wie die Charaktere der Figuren, die als namenlose Verkörperungen von „Männlichkeit“ und „Weiblichkeit“ Abziehbilder ihrer selbst sind. Zwar spielt Psychologie auch im neuen Genre des torture porn, an das von Trier sich offensichtlich anlehnt, so gut wie keine Rolle. Während in den Filmen dieser Gattung, die ebenfalls von der Transformation der Privatsphäre zum Folterkeller und der Wahlverwandtschaft von Sexualität und Sadismus erzählen, die Rohheit der präsentierten Gewalt begründungslos im Raum stehen bleibt, bettet von Trier sie in ein Welterklärungsmodell ein. Der torture porn ist grausam, nihilistisch und macht keine Zugeständnisse an das Sinnstiftungsbedürfnis des Publikums. Von Trier dagegen gebärdet sich als postmoderner Johann Jakob Bachofen (Das Mutterrecht) und wartet mit einer mystisch verbrämten Weiblichkeitsideologie auf, derzufolge im Leib der Frau teuflische Kräfte nisten, die nur durch brutalen Sex, Verstümmelungen und naturreligiöse Riten wie Baumumarmungen und Mondanbetungen exorziert werden können.SprachlosigkeitNicht die Drastik der dargestellten Gewalt, sondern ihre ideologische Indienstnahme für ein regressives Geschlechterbild ist das eigentlich Geschmacklose an von Triers neuestem Film. Die Neigung zu sektiererischem Psychogeschwafel, zu Esoterik und seelischer Nabelschau, die man in den Szenen einer Ehe mitunter als peinlich empfunden haben mochte, erscheint gegenüber dem zynischen Plädoyer für antizivilisatorische Selbstentblößung, das in Antichrist als Heilmittel gegen die Ängste des modernen Menschen verordnet wird, als weitaus humanere Alternative. Fast sehnt man sich zurück in die Zeiten der langatmigen Dialogfilme, in denen Personen gezeigt wurden, die ihre Sprachlosigkeit zumindest noch sprachlich zu formulieren versuchten. Bei Lars von Trier wird kaum noch gesprochen, sondern höchstens geschrien. Eine Gesellschaft, die von solcher Art Befreiung träumt, hat Filme wie Antichrist wohl wirklich verdient. Nicht die Drastik der dargestellten Gewalt ist das eigentlich Geschmacklose