Das österreichische Literaturfestival "Sprachsalz" ist in seinem siebten Jahr. Es kommt wohltuend unprätentiös daher und dient tatsächlich der Literaur
Sie sind wirklich ein Fest, die nun bereits zum siebten Mal abgehaltenen Literaturtage im Tiroler Hall mit dem schönen Namen „Sprachsalz“. Sie sind ein Fest, weil sie nicht von Funktionären und Absolventen eines Studiengangs für Kulturmanagement organisiert werden, sondern von Frauen und Männern, die selbst Bücher geschrieben haben und zur Literatur ein intensiven erotisches Verhältnis pflegen, und weil sie mit bewundernswerter Bescheidenheit die Veranstaltung nicht zur Selbstdarstellung verwenden, als Podium für das eigene Werk missbrauchen.
So respektvoll und zugleich familiär, so begeistert und zugleich nüchtern wird selten mit Literatur umgegangen. Das Publikum, das massenhaft in die schmucke Stadt in der Nähe Innsbrucks anre
rucks anreist, als gäbe es da Freibier zu ergattern, weiß das zu schätzen. Das Septemberwochenende in Hall ist so etwas wie eine verwirklichte Utopie von Glück, das sich nicht am Tauschwert bemisst.„Sprachsalz“ pflegt kein ästhetisches Dogma. Es bekennt sich zur Vielfalt, zu den verschiedenen, sich auch ausschließenden Möglichkeiten der Literatur. Diesmal reichte das Spektrum von der – manchmal um sich selbst kreisenden – elegant rhythmisierten Prosa der Felicitas Hoppe, deren sanfte Ironie im Kontext aktuellen Erzählens ein wenig daher kommt wie eine höhere Tochter inmitten sich balgender Rabauken, über die zugleich plebejische und sprachlich gezähmte Komik Katja Lange-Müllers und die ebenso spannenden wie erheiternden politisch-satirischen Zeitromane O.P. Ziers bis zu den skurrilen Kürzestgeschichten, in denen Pavel Schmidt, als bildender Künstler und Schriftsteller eine Doppelbegabung, einzelne Wörter und Redewendungen, ganz im Geist Erich Frieds, hin und her wendet.Konkrete BarocklyrikDass er in der Tschechoslowakei aufgewachsen und auf Umwegen in die französisch-deutsche Schweiz gelangt ist, könnte dazu beigetragen haben, dass er Wörter ansieht, als wären sie unbekannte Wesen. Das immerhin scheint nachvollziehbarer als die im Rahmen einer Dikussion über das katholische Erbe in der deutschen Literatur geäußerte Behauptung José F.A. Olivers, Wörter hätten nicht nur einen Körper, sondern auch eine Seele. Wie, bitteschön, hätte man sich die vorzustellen? Vermutlich hätte es Gerhard Rühm geschaudert, wäre er bei diesem Geraune zugegen gewesen.Gerhard Rühm ist einer der Grand Old Men jener Kunstrichtung, die man mangels eines besseren Begriffs „Konkrete Poesie“ nennt. Für die älteren Zuhörer war sein Vortrag, zum Teil zusammen mit Monika Lichtenfeld, ein Stück Literaturgeschichte, für manche sogar eine nostalgische biographische Reminiszenz. Erfrischend aber war, wie enthusiastisch das jüngere Publikum, dem derlei ziemlich fremd sein dürfte, auf Rühm reagierte. Und wenn man gelegentlich den Eindruck gewinnen konnte, die „Konkrete Poesie“ sei in eine Sackgasse geraten und habe sich erschöpft, so konnte Rühm überzeugend nachweisen, dass eine Poesie, die sich nicht auf Inspiration und die tautologische Vermittlung von „Erkenntnissen“ verlässt, sondern spielerisch auf der Grundlage erdachter und definierter Regeln hergestellt wird, darin der einer normativen Poetik folgenden Barocklyrik durchaus vergleichbar, tendenziell unendlich viele Varianten zulässt und ins 21. Jahrhundert hinüber gerettet werden konnte.Das Vergnügen an Rühms Texten ist ein im engsten Sinne literarisches: es verdankt sich nicht dem (Wieder-)Erkennen von Realität, sondern den Mechanismen formaler Prozeduren. Und ganz nebenbei decouvriert Rühms Minimalismus einen großen Teil der aktuellen Erzählliteratur als geschwätzig und redundant.Ein spannendes Sujet hat die Eigenschaft, die Aufmerksamkeit des Rezipienten zu absorbieren und von der Machart abzulenken. Wo aber sujetlose Prosa oder Verse den Text bestimmen, ist Bluff nicht möglich. Mittelmaß wird als Mittelmaß erkennbar, sprachliche Banalität als sprachliche Banalität.Der KafkakäferRühm ist natürlich für eine Veranstaltung, bei der es auf den Vortrag ankommt, ein Glücksfall. Das gilt auch auf ganz andere Weise für die späten Überlebenden der Beat Generation, in diesem Jahr repräsentiert durch Jack Hirschman, dessen pazifistisches Engagement einher geht mit dem großen rhetorischen Gestus, der Beat auszeichnet und interessanterweise eine Verbindung herstellte zur Rezitation des jungen ukrainischen Lyrikers Andriy Lyubka. Ihn hatte Juri Andruchowytsch mitgebracht, der zusammen mit dem als gebürtiger Russe in Kiew ansässigen Andrej Kurkow einen kleinen ukrainischen Schwerpunkt bildete.Zum Erfolg von „Sprachsalz“ tragen auch die unprätentiösen Moderationen bei. Hervorgehoben unter den Mitarbeitern seien Markus Köhle, der den von ihm eingeführten Autoren einen „Kafkakäfer“ überreichte als „Pendant zur Mozartkugel, ein Schokoladengenuss, der Sie verwandelt“, und Heinz D. Heisl, einer aus der seit Beginn unveränderten sechsköpfigen Sprachsalz-Projektgruppe, dessen skurrile und (scheinbar?) konfuse Assoziationen selbst schon literarische Qualität besitzen.Es war Heisl, der davon erzählte, wie der kürzlich verstorbene Gerd Jonke, glücklich über seinen Auftritt als „Überraschungsgast“, zu ihm sagte: „Und weißt du was, nächstes Jahr komme ich wieder als Überraschungsgast.“ Überraschend am heurigen Überraschungsgast war allenfalls, dass er auch in Hall auftrat wie der Igel im Wettlauf mit dem Hasen, denn Ilija Trojanow dürfte zur Zeit einer der meistgefragten Schriftsteller sein.Die Mischung aus Begegnung mit Bekanntem („der Mann/die Frau zum Buch“) und Möglichkeit der Entdeckung, wenn man sich ihr um den eventuellen Preis der Enttäuschung aussetzt, ist eine weitere Tugend von „Sprachsalz“. Dass „Prominente“ hier nicht anders behandelt werden als „Geheimtipps“, gehört zu der erwähnten Utopie. In Hall gibt es keinen Wettbewerb. Konkurrenz würde sich mit dem Geist dieses Fests nicht vertragen.