„Die Frage ist nicht, ob die schmutzige Bombe platzt, sondern nur wann, sagte der Sicherheitsminister heute Morgen auf einer Pressekonferenz. Die Behörden tun alles, um jeden einzelnen Bürger zu schützen“. Ein Zitat aus Juli Zehs Roman Corpus delicti (der Freitag vom 10.09.2009), der eine Gesellschaft der perfekten Kontrolle des Staates über seine Bürger entwirft und dabei Entwicklungen in unserer Gegenwart mit recht unangenehmen Zukunftsvisionen verknüpft.
Das Zitat mit der Bombe zum Beispiel kaschiert nur leicht eine Aussage des früheren Innen- und heutigen Finanzministers Wolfgang Schäuble (CDU). Dem Prosastück hat die Autorin und studierte Juristin zusammen mit dem Schriftsteller Ilija Trojanow eine Streitschrift zur Seite gestell
usammen mit dem Schriftsteller Ilija Trojanow eine Streitschrift zur Seite gestellt: Angriff auf die Freiheit.Der Text zielt auf zweierlei – auf die zunehmende Einschränkung der Grund- und Persönlichkeitsrechte des Einzelnen durch den Staat und auf die Duldsamkeit des Bürgers, der „gutmütig wie eine Kuh“ der Entwicklung zuschaue. Man hört es schon am Ton: Ein Pamphlet wie dieses, das nachdrücklich zum Handeln auffordert („Wehren Sie sich. Noch ist es nicht zu spät“), zieht bewusst alle Register, um seine Leser aufzurütteln, und schreckt in seiner Mittelwahl weder vor Polemik, suggestiven rhetorischen Formeln oder vereinfachten Vergleichen zurück.Das kann schon mal enervierende Ausmaße annehmen, so, wenn die beiden Autoren uns vorrechnen, dass die Wahrscheinlichkeit, von einer terroristischen Kofferbombe erledigt zu werden bei 1:4 Millionen liegt und es sieben Mal häufiger der Fall sein könnte als Kind in einem Badeteich zu ertrinken. Und doch überzeugt schließlich das Gesamtergebnis und rechtfertigt damit wiederum die Form.Hoffnung auf AbrüstungDreh- und Angelpunkt dieser Schrift ist der 11. September 2001 als der ideale Verstärker für Tendenzen, die es schon vorher gab: Militarisierung und Überwachungsmaßnahmen. Denn die Hoffnung auf Abrüstung nach dem Ende des Kalten Krieges währte nur kurz.Schon Ende der neunziger Jahre setzte eine massive internationale Remilitarisierung ein, die schließlich im „Kampf gegen den Terror“ ihre (neue) Legitimation gefunden hatte – und wenn auch nur als Phantom, denn die meisten Anschlagsopfer terroristischer Gewalt gab und gibt es nicht in Europa und den USA, darauf weisen Trojanow/Zeh zu Recht hin, sondern im Irak und in Afghanistan.„Da die NATO-Staaten einen ‚Krieg gegen den Terror‘ führen, der als Kampf gegen einen amorphen Gegner endlos sein muss, ist ein „Terrorverdächtiger“ bereits ein Krimineller, der unser Leben und unsere Welt bedroht“, so die Autoren. Mit der Argumentationskeule der terroristischen Gefahr lasse sich mittlerweile alles rechtfertigen: Der Nacktscanner am Flughafen, der biometrische Reisepass, eine zentrale Datenbank mit den Fingerabdrücken aller EU-Bürger, Telefonmitschnitte, online-Durchsuchungen, Videoüberwachungen.In Großbritannien ist eine sogenannte „Blackbox“, eine Mega-Datenbank geplant, die jede E-Mail und jeden Webside-Zugriff speichern soll. Und die USA haben vorgeführt wie man im „Kampf gegen das Böse“ Grundrechte wie die Unschuldsvermutung, das Folterverbot und die Gleichbehandlung Verdächtiger ruckzuck außer Kraft setzt.Schon allein die Fülle der in diesem Buch verzeichneten „Sicherheitsmaßnahmen“ – bereits eingeführt oder noch in Planung -, die in den vergangenen Jahren auch in der Bundesrepublik sprunghaft zugenommen haben, ist bedrückend. Hätten die beiden Autoren es dabei belassen, sie hätten dem von ihnen kritisierten „um sich greifenden Fatalismus“ Vorschub geleistet, „der die Beschneidung der Freiheiten als historisches Schicksal akzeptiert“.Zeh und Trojanow geben aber auch Antworten darauf, warum Politiker im Einvernehmen mit nicht wenigen Medien den Sicherheitswahn und damit den Abbau von Grundrechten immer weiter vorantreiben und wir, die Bürger, uns nicht dagegen wehren. Zum einen weisen sie darauf hin, dass weder Religion, die klassische Idee der Familie noch eine politische Ideologie heute noch in der Lage sind, den zeitgenössischen Menschen „auf Linie zu halten“. Die Menschen und ihre Lebensentwürfe differenzieren sich immer mehr aus. Dazu kommt eine Kommunikationstechnologie, die „letzte geographische und soziale Barrieren“ überwindet und über Netzwerke Austausch und Kritikfähigkeit fördert.Diese Entwicklung aber bedeutet Kontrollverlust für Machthaber – egal ob in einer Demokratie oder einer Diktatur. Da die technologischen Voraussetzungen vorhanden sind, sehen Regierungen darin einen Zwang zum Handeln, eine Entwicklung, die noch beschleunigt werde durch „einen weltweiten „Verteilungskampf“ um die Ressource Information. Zu ergänzen wäre in diesem Zusammenhang, dass immer wieder mit Empörung auf die Abschaltung von Websides in China reagiert wird, Ausspähungen im Netz bei uns aber mit den Hinweisen auf Terrorismus oder Kinderpornographie umstandslos geschluckt werden. Aber warum schlucken wir das und warum überlassen wir es dem Bundesverfassungsgericht, (bis jetzt) immer wieder, Einspruch zu erheben?Die Antworten hätten hier sicherlich differenzierter ausfallen können, aber auch in der verkürzten Form regen sie zum Nachdenken an. Da ist einerseits das Argument, dass Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung mit ihrem diffusen Feindbild sich hervorragend übertragen lassen auf alles Unerwünschte und Feindliche in unserer eigenen Umgebung – siehe England, wo ein Präventiv-Gesetz vorbereitet wird, dass alle Bürger, die außerhalb der Familie Umgang mit Kindern haben – angeblich zum Schutz gegen Missbrauch – zu meldepflichtigen und damit unter Generalverdacht stehenden Personen macht. Man muss es wohl so sagen: Offensichtlich glauben zu viele Leute, ins Netz gingen dabei nur die schwarzen Schafe und die treffe es ja zu Recht.Und schließlich ein weiterer bedenkenswerter Grund, den die Autoren in Erwägung ziehen: Die zunehmende Auseinandersetzung mit der islamischen Welt hat wohl – mehr als es uns bewusst ist – das westliche Selbstverständnis erschüttert. Zeh und Trojanow schreiben, dass dringend Antworten gefunden werden müssten auf die Frage, „nach welchen Grundsätzen Menschen auf diesem Planeten zusammen leben wollen“. Hinzugefügt sei: Das aber ist nicht zu haben, ohne uns selbst in Frage zu stellen, unsere (Welt-)Wirtschaftspolitik, unsere Art, wie wir Konflikte in der Welt lösen beziehungsweise nicht lösen. Eine große und unbequeme Herausforderung, die uns offensichtlich dazu veranlasst, dann doch besser die Augen fest zu schließen vor der zunehmenden Einschränkung unserer Handlungs- und Gedankenfreiheit und vor den tieferen Ursachen unserer Verunsicherung.