Wenige Künstler wurden von ihrer musikalischen Vergangenheit eingeholt wie David Bowie. Im Jahr 1973 ist er der innovativste Popstar überhaupt. Die eine Hälfte Großbritanniens hält ihn für den Retter des Rock ‘n’Roll. Die andere Hälfte glaubt, er sei eine Art schwuler Sex-Demagoge von einem anderen Stern, der gekommen ist, um die Jugend zu verderben. Diesen Status hat er durch sensationelle Alben und durch Provokationen erlangt. Der Presse erzählt er, er sei schwul, auf der Bühne tut er so, als würde er seinem Gitarristen einen blasen, dann kündigt er urplötzlich seinen Rückzug aus dem Geschäft an. Alles, was er tut, ist perfekt geplant und ausgeführt.
Umso quälender ist nun die Wiederveröffentl
Übersetzung: Christine Käppeler
urden von ihrer musikalischen Vergangenheit eingeholt wie David Bowie. Im Jahr 1973 ist er der innovativste Popstar überhaupt. Die eine Hälfte Großbritanniens hält ihn für den Retter des Rock ‘n’Roll. Die andere Hälfte glaubt, er sei eine Art schwuler Sex-Demagoge von einem anderen Stern, der gekommen ist, um die Jugend zu verderben. Diesen Status hat er durch sensationelle Alben und durch Provokationen erlangt. Der Presse erzählt er, er sei schwul, auf der Bühne tut er so, als würde er seinem Gitarristen einen blasen, dann kündigt er urplötzlich seinen Rückzug aus dem Geschäft an. Alles, was er tut, ist perfekt geplant und ausgeführt.Umso quälender ist nun die WiederverXX-replace-me-XXX246;ffentlichung der Songs, die Bowie lange vor der Erfindung Ziggy Stardusts aufnahm. Um das Ganze noch schlimmer zu machen, ist die erste Single, die sein altes Label wiederveröffentlicht, "The Laughing Gnome" aus dem Jahr 1967. In Großbritannien kletterte die Single direkt auf Platz sechs der Charts. Bereits in den Sechzigern hatte der Schlagersänger Ronnie Hilton eine Coverversion des Songs aufgenommen. Zu Hiltons Oeuvre – das unter anderem einen Gassenhauer über eine Maus, die in einer Windmühle in Old Amsterdam lebt, umfasst – passte der Song perfekt. Womit unweigerlich klar sein sollte, dass der Stoff für einen skandalträchtigen, schwulen Sex-Demagogen von einem anderen Planeten gänzlich ungeeignet ist. Und dass er sich nicht dabei erwischen lassen sollte, wie er ihn in aller Öffentlichkeit singt.Und so erstaunt es kaum, dass Bowie lange Zeit eine schwierige Beziehung zu seinen Arbeiten aus den Sechzigern hatte. Zuerst ignorierte er sie, dann nahm er 2002 einige Songs für das unveröffentlichte Album Toy neu auf. Das Buch The Pitt Report seines früheren Managers Kenneth Pitt gab diesen Songs endgültig den Rest. Das Buch ist zum einen bemerkenswert, weil Pitt darin erzählt, wie Bowie einmal unabsichtlich seinen Penis gesehen haben soll und angeblich, mit einer Geste, als würde er Maß nehmen, „Bei Gott!“ brüllte.Zum anderen vertritt Pitt darin die wahnsinnige These, Bowies Arbeiten aus den Sechzigern würden zweifellos den Höhepunkt seiner Karriere darstellen. Die übrigen Songs – aus der Ära, in der er der wichtigste Musiker seit den Beatles wurde und vier der besten Alben aller Zeiten aufnahm, während ihn zeitgleich das Kokain so sehr um den Verstand brachte, dass er angeblich seinen eigenen Urin im Kühlschrank aufbewahrte, weil er fürchtete, ein Zauberer könnte ihn stehlen – sind dann so etwas wie ein Minzplätzchen, dass aus reiner Höflichkeit nach einem kreativen kalten Büffet mit Songs wie "When I’m Five" und "Ching-a-Ling" eben auch noch heruntergewürgt wird. Was so flehentlich daher kommt, kann nur Müll sein.Der Fan wird nun vermutlich das Debütalbum und die Singles, die in dieser Deluxe Edition enthalten sind, nach Stücken durchforsten, die seine späteren Songs beeinflusst haben; dann wird er es unauffällig zu den Akten legen. "She’s Got Medals" spielt auf sexuelle Doppeldeutigkeiten an; "Uncle Arthur" auf psychische Krankheiten; "Maid of Bond Street"auf den Ruhm...Genaugenommen verbrachte Bowie die Sechziger so, wie er auch die restliche Zeit seiner Karriere verbrachte. Er versuchte sich an verschiedenen musikalischen Stilen, angefangen bei den damals modernen Anspielung auf die Zeit Edward VII. bis hin zu großen, orchestralen Balladen. Doch nicht alles passte. Es wollte ihm nicht gelingen, im Stile der Kinks satirisch zu sein, was nicht zuletzt daran lag, dass der Musik, die er dazu verwendete, der Geruch von leichter Unterhaltungsmusik anhaftete. Die Hippie-Verarschung "Join the Gang" klingt so hoffnungslos spießig, als würde dieser Song von dem Komiker Dick Emery in einem Kaftan gesungen. "Ching-a-Ling" beweist, dass Acid-Folk à la The Incredible String Band die schlechteste Entscheidung seiner Karriere war, bevor er sich entschloss, mit Mick Jagger auf der Straße zu tanzen: „I wish I played the doo-dah horn“ – in der Tat.Eine Beinahe-KatastropheUnd doch hat Bowies Arbeit aus den Sechzigern es nicht verdient, im großen Müllschlucker der Geschichte einfach geschreddert zu werden. "Let Me Sleep Beside You" und "In the Heat of the Morning" beweisen, dass er schon damals ein äußerst begabter Songwriter war. Und dass er schon damals in der Lage war, Dinge zu tun, die andere nicht fertigbrachten. Im berauschenden Strudel der Sechziger waren die meisten Songwriter der dunklen Seite der Ära eher abgeneigt. Bowie, der seine Nase von außen gegen die Fensterscheibe drückte, hinter der Swinging London feierte, liefert uns eine klarere Version jener Zeit. Eines der Resultate dieser Ära ist The London Boys, ein bemerkenswertes Schwarzweiß-Drama über Armut, Amphetaminpsychosen und Homosexualität, dessen Schauplatz die schmutzigen Einzimmerappartments und die Cafés in der Wardour Street sind.Aber selbst wenn man David Bowies frühen Highlights lauscht, weiß man, dass er damit notwendigerweise scheitern musste. Welch eine Katastrophe wäre es gewesen, wenn er damit kommerziell erfolgreich gewesen wäre – nicht nur für Bowie, sondern für die Rockmusik ganz allgemein. Er hätte für seine Balladen, seine neuartigen Songs oder im schlimmsten Fall sogar für sein Doo-dah-Horn flüchtigen Ruhm genossen. Stattdessen ward aus der Not eine der grandiosesten Neuerfindungen in der Geschichte des Pop geboren.