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Kultur : Gott wird ein Auge zudrücken

Das Christentum wusste es schon besser: Am Anfang der Erkenntnis liegt die Sünde. Dass sollten auch die Kritiker von Bischöfin Käßmann berücksichtigen

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Das Problem der moralischen Angreifbarkeit ist einfach. Während es unmöglich ist, dass eine Kirche besoffen Auto fährt, kann das bei einer Bischöfin schon mal vorkommen. Dann bleibt die Kirche weiterhin un­angreifbar, aber die Bischöfin wird mit Steinen beworfen.

Eigentlich ist das mit den Steinen im Neuen Testament unmissverständlich geregelt. Sie dürfen nur von Menschen geworfen werden, die frei von Sünde sind. Eigentlich dürften also gar keine Steine fliegen. Aber derzeit werden sie gegen Margot Käßmann geworfen, nicht zuletzt in den Kommentarspalten der Zeitungen. Man gewinnt den Eindruck, einige Sünder hätten schon lange darauf gewartet, endlich loslegen zu können. Dabei kennt sich Margot Käßmann aus im Steinewerfen. Sie wirft selbst gegen ideologische Afghanistan-Politiker und wird immer wieder als geschiedene und aufmüpfige Geistliche beschmissen.

Diese Geschichte mündet unweigerlich in der Frage: „Darf Margot Käßmann große Reden über Afghanistan schwingen, wenn sie betrunken Auto fährt?“ Man könnte genau so gut fragen: „Darf ich Guido Westerwelle kritisieren, obwohl ich gestern schwarz­gefahren bin?“ Natürlich darf ich! Doch bei ­Margot Käßmann sieht das anders aus. Während ich nur ein Mensch bin, ist sie nämlich eine Würdenträgerin. Ein Vorbild. Ja, manche denken, sie sei: die Evangelische Kirche!

Doch ein Mensch kann keine Kirche sein. Anders als eine Institution steht er dauernd in Gefahr, falsches Zeugnis abzulegen, seines nächsten Frau zu begehren oder betrunken Auto zu fahren. Gott selbst hat das gewusst, als er die Sünde im Paradies anlegte und den Baum der Versuchung pflanzte. Weil Gott nicht dumm ist, wird er geahnt haben, dass seine Kreaturen zu schwach sind, um nicht hin und wieder den einen oder anderen Apfel zu naschen. Für derartige Sünder gibt es auf Erden den Gerichtshof und im Himmel die Reue.

Die Kirche möchte eine moralische ­Instanz sein, die Orientierung jenseits von Machtinteressen, aktuellen Gesetzen oder sozialen Unterschieden gibt. Den Anspruch dafür zieht sie aus der behaupteten Existenz Gottes. Doch weil die sich nur schwer beweisen lässt, bürgt die Kirche mit ihrer eigenen Integrität. Und hier liegt die Crux im Falle Käßmann: Die beiden großen Kirchen haben die Fehlbarkeit ihrer Mitarbeiter als ganz normale Menschen aus dem Auge verloren. Statt den Sündenfall als Normalität und Anfang der Erkenntnis zu begreifen, wird er einfach weggelogen, um die moralische Integrität der Kirche nicht durch die moralische Verführ­barkeit des Einzelnen zu gefährden.

In ihrer ersten Presseerklärung hat die Evangelische Kirche bestätigt, dass Margot Käßmann alkoholisiert gefahren ist, gleichzeitig aber die offizielle Polizei- Angabe von 1,3 Promille auf 1,1 Promille heruntergelogen (tatsächlich hatte Käßmann über 1,5 Promille). Doch gerade diese Vertuschung schadet der Kirche mehr, als dass sie ihrer Vorsitzenden hilft.

Inzwischen fliegen also Steine – nicht auf die Kirche, die das Sündigen tabuisiert, sondern auf die Sünderin. Und damit treffen sie die Falsche. Es ist Margot Käßmanns Pflicht, auch weiterhin das christlich-moralische Ideal zu formulieren und einzufordern. So wie es ihr Recht als Mensch ist, ihm selbst nicht immer gerecht zu werden. Dafür wird sie auf Erden durch das Gesetz bestraft und kann im Himmel darauf hoffen, dass Gott ein Auge zudrückt. Schließlich ist die Vergebung die größte Tugend des Glaubens. „So sage ich euch, wird Freude sein von den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut.“ (Lukas 15, 10) Ob die Steinewerfer, die derzeit Käßmanns Rücktritt fordern, eben soviel Gnade erwarten können, wird sich noch zeigen.


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