Am Anfang des Romans Per Anhalter durch die Galaxis kreuzt eine vogonische Bauflotte über der Erde auf und teilt deren Bewohnern mit, dass ihr Planet leider gesprengt werden muss, um Platz zu machen für eine neue Hyperraumstraße. Die Menschen sind erregt und protestieren, sehr zum Unverständnis der Vogonen: Die Pläne hätten doch schon seit 50 Jahren im lokalen Planungsbüro auf Alpha Centauri ausgelegen. Bevor die Erde ausgelöscht wird, hört man über die Lautsprecher, die der Vogonen-Kommandeur vergessen hat auszuschalten, sein verächtliches Schimpfen: „So ein blöder apathischer Planet, der geht mir echt am Arsch vorbei.“
Diese Ur-Szene liegt am Grunde der zahlreichen neuen Proteste, die sich gegen den Abriss gewachsener
Abriss gewachsener Strukturen und die Errichtung städtebaulicher Investitionsmonster richten: gegen „Stuttgart 21“, gegen die „Wachsende Stadt“ in Hamburg, gegen „Mediaspree“ in Berlin, überall. Die Planer nennen das nicht Sprengung, sondern „Aufwertung“. Der Effekt ist der gleiche: Was war, wird geräumt, und wenn der Umbau erfolgreich war, werden die übrigen Bewohner durch steigende Mietpreise vertrieben. In Mumbai und Durban nennt man den Vorgang deshalb nicht Gentrification, sondern schlicht: Vertreibung aus dem Viertel.Außer dem Schaden haben die Betroffenen noch den Spott. Die Rolle des Vogonen-Lautsprechers übernehmen häufig linke Feuilletonisten, die sich berufen fühlen, den Protestierenden Marx-Kurse zu empfehlen. Kapitalismus funktioniert nun mal so, ist die Botschaft; kleinkariert und ignorant sei es, sein Viertel verteidigen zu wollen in einem Meer von globaler Inwertsetzung. Den Manifesten, die – wie das berühmte Hamburger Not in our name, Marke Hamburg-Papier (NION) – ein Recht auf Stadt für alle proklamieren, fehle „die Reflexion auf eine radikale Alternative“, so die TAZ. Irgendwie kleinbürgerlich sei das Ganze, so Farin Müller von der Hamburg GAL, „bornierter Kultursozialismus“.Mit einem historischem Blick ist das nichts Neues. Was wir derzeit in den Protesten gegen städtische Vertreibung erleben, kann durchaus der Auftakt zu einem neuen Zyklus sozialer Kämpfe sein. Technisch gesehen handelt es sich um die Entstehung einer neuen sozialen Bewegung. Eine soziale Bewegung ist eine spezifische Organisationsform mit spezifischen Eigenschaften – von der Anti-Apartheid-Bewegung bis zur Friedensbewegung, von der Anti-Atomkraft-Bewegung bis zur Bürgerrechtsbewegung, von der Arbeiterbewegung bis zur Frauenbewegung. Eine soziale Bewegung wird zusammengehalten durch eine Forderung, die einfach und einleuchtend ist und doch, angesichts der bestehenden Macht- und Herrschaftsverhältnisse, unmöglich erscheint. Gleiches Stimmrecht für Schwarze und Weiße eben oder Abrüstung.Eine KlassenfrageSoziale Bewegungen brauchen einen langen Atem. Aber wenn sie den haben, erreichen sie ihr Ziel sehr oft, zumindest teilweise. Es gibt dann immer Enttäuschungen, weil dieses Ergebnis nicht gleichbedeutend ist mit der Revolution, dem Sozialismus und dem Ende aller Ungerechtigkeiten. Aber darum geht es nicht, sondern um eine konkrete Forderung. Das ist die Stärke sozialer Bewegungen, die es ihnen erlaubt, Menschen aus unterschiedlichen politischen Lagern und mit unterschiedlichen sozialen Erfahrungen zusammenzubringen. Linke, Autonome, Künstler, Anwohner, bürgerliche Schichten, Experten die auch mal nachrechnen: Diese Allianz, die in Stuttgart 40.000 Menschen auf die Straße bringt, war auch typisch für die Anti-AKW-Proteste oder die Friedensbewegung.Die Forderung der Recht-auf-Stadt-Bewegung ist simpel: Jeder Mensch soll dort wohnen bleiben können, wo er wohnt, und wie ihr Viertel baulich verändert wird, darüber sollen die Anwohner entscheiden. Das ist natürlich eine ungeheure Provokation, weil doch die Stadt nicht den Menschen gehört, die in ihr leben, sondern den Eigentümern – den Investment-Konsortien, den Konzernen, den Baugesellschaften und nicht zuletzt den Politikern, die ihre Haushalte sanieren und sich bei Investoren beliebt machen wollen.Die Prozesse sind überall die gleichen. In Bremen will der Senat gerade ein Areal mitten in der grünen Lunge der „Uniwildnis“ an Investoren verhökern, die dort einen Wellness-Tempel hinklotzen möchten. Dummerweise ist das Gelände bewohnt. Seit 30 Jahren wohnt dort eine Gruppe von „Dauercampern“, die brav ihre Pacht zahlt und auf erstaunliche Weise auch Menschen mit schwierigen Biografien und großen sozialen Benachteiligungen integriert. Im Sinne des herrschenden Vogonismus soll dieses sozial-ökologische Experiment plattgemacht werden für – ja, man weiß eigentlich nicht genau wofür. In den umfangreichen Deputationsvorlagen wimmelt es von „Ideenskizzen“, „Anmutungen“, „Themen“ und von ökonomischen „Projektionen“, die blank geraten sind. Hauptsache, es wird abgerissen und „investiert“ – es ist die Unterwerfungsgeste ans globale Kapital, die zählt.Das Recht auf Stadt ist eine Klassenfrage. Auf dem Bremer Bahnhofsvorplatz sind es die Skater, die einem Bürokomplex weichen sollen. Am Weserufer sind es die Anwohner, die von Luxusapartments umzingelt werden sollen. In der „Uniwildnis“ sind es die Dauercamper und die Freizeitvereine, die verschwinden sollen. Im Stadtteil Gröpelingen sind es die kleinen Einzelhändler, die ausgeblutet werden durch die Riesen-Mall in der „Waterfront“, der ehemaligen Investitionsruine des „Space Parks“.Sie alle produzieren ein sehr spezifisches, sehr rares, sehr schwer greifbares Produkt: „Stadt“. Es ist Teil dessen, was Brecht im schwedischen Exil als „große Produktion“ bezeichnete: „die produkte können sein brot, lampen, hüte, musikstücke, schachzüge, wässerung, teint, charakter, spiele usw usw.“ Die Bewohner eines Viertels sind die unmittelbaren Produzenten des Produkts „Stadt“, zu dem soziale wie bauliche Strukturen gehören, Beziehungen und Läden, Flair und Nachbarschaftlichkeit, Konflikte und Integration. Man kann das Produkt „Stadt“ nicht „machen“, man kann es nur sich entwickeln lassen. Und man kann es ausbeuten und in Wert setzen: Indem man Gebäude abreißt, Bewohner vertreibt und Flächen an jene verkauft, die sie wiederum an andere verkaufen wollen, die am Produkt „Stadt“ partizipieren möchten, ohne es gemacht zu haben.Zerbrechen der AllianzDie Investoren wollen ja nicht einfach den Platz, sie wollen „Urbanität“. Ihre blumigen Anpreisungen sind voll davon, dass sie das verkaufen wollen, was die unmittelbaren Produzenten – die ursprünglichen Bewohner des Viertels und ihre Vorgänger – hergestellt haben. Im Kontext der globalen Mobilität und eines neuen globalen Bürgertums, das privat wie kommerziell gierig ist nach diesem raren, vergänglichen Produkt „Stadt“, ist seine Inwertsetzung ein wahrer Goldrausch. Sie zerstört das, was sie ausbeutet, und zieht dann weiter, weil sie es eben selbst weder produzieren noch erhalten kann – wie der Heuschrecken-Kapitalismus es generell mit komplexen immateriellen Produktionen macht, egal ob es Biodiversität ist, sozialer Zusammenhalt, Arbeitsmotivation oder „Stadt“.Dass Kunst- und Kulturschaffende und lokales Bürgertum oft eine wichtige Rolle spielen für die Artikulation dieser neuen sozialen Kämpfe, ist gut. Es markiert das Zerbrechen einer Allianz zwischen Kultur und Profit, zwischen Mittelschicht und Finanzmarkt, die zum elementaren sozial-ideologischen Kitt des Neoliberalismus gehörte. „Mit den Bürgern, je finanzkräftiger sie sind, kann der radikale Künstler noch Geschäfte machen, mit den Sozialisten kann er nichts anfangen, wenn seine künstlerische Auffassung nicht der ihren entspricht“, schrieb Peter Weiss in den Notizbüchern. Sowohl die Künstler als auch die Lokalbürger fangen wieder an, sich vom Diktat der Finanzkraft und der Abrissbirne zu emanzipieren. Da werden sich die Sozialisten auch bewegen müssen.