Jasbir K. Puar über Homophobie in der Mehrheitsgesellschaft, die Türpolitik des Berliner Clubs SO36 und das, was uns die Bilder aus Abu Ghraib über Toleranz erzählen
Der Freitag: Die Philosophin Judith Butler hat im Sommer den Zivilcourage-Preis des Christopher Street Day in Berlin abgelehnt. Ist der Preis keine Ehre?
Jasbir K. Puar: Die Organisation, die Judith Butler den Preis verleihen wollte, versteht allein Sexualität als identitätsbestimmend. Das war das Problem. Die Forderungen des CSD bezüglich Sexualität mögen progressiv sein, seine Positionen zu Migration, Rassismus und dem Verhältnis zu anderen Communities, inklusive homosexuellen Communities of Color, waren es aber nicht.
Dabei würde man meinen, dass Minderheiten zusammenhalten.
Die Vorstellung, dass eine minorisierte Identität automatisch anderen minorisierten Identitäten zugeneigt sein soll, ist eine Fantasie davon, was es heißt, Teil e
Philosophin Judith Butler hat im Sommer den Zivilcourage-Preis des Christopher Street Day in Berlin abgelehnt. Ist der Preis keine Ehre?Jasbir K. Puar: Die Organisation, die Judith Butler den Preis verleihen wollte, versteht allein Sexualität als identitätsbestimmend. Das war das Problem. Die Forderungen des CSD bezüglich Sexualität mögen progressiv sein, seine Positionen zu Migration, Rassismus und dem Verhältnis zu anderen Communities, inklusive homosexuellen Communities of Color, waren es aber nicht.Dabei würde man meinen, dass Minderheiten zusammenhalten.Die Vorstellung, dass eine minorisierte IdentitXX-replace-me-XXX228;t automatisch anderen minorisierten Identitäten zugeneigt sein soll, ist eine Fantasie davon, was es heißt, Teil einer Minderheit zu sein.Fantasie?Wir gehen davon aus, die repressive Situation anderer zu verstehen, wenn wir selbst Unterdrückung erfahren haben. Aber so funktioniert das nicht. Es ist nicht nur das Schwulsein, es sind auch weiße Privilegien, über die die Identität vieler CSD-Leute definiert ist. Da wird Sexualität gegen Weißsein ausgehandelt: Die Privilegien, die man als Homosexueller verliert, sollen durch eine Weiße-Deutsche-Identität wettgemacht werden.Büßen Schwule heute wirklich noch Privilegien ein?Ich würde nicht sagen, dass es keine Probleme mehr gibt für Schwule. Einige homosexuelle Identitäten sind akzeptierter als andere. Je näher man am Mittelstand ist, je akzeptabler der ethnische Hintergrund, desto wahrscheinlicher wird Homosexualität akzeptiert.Es ist also eine Klassenfrage?Absolut. Wer eine bestimmte Konsumkapazität hat, wird in der Konsumkultur repräsentiert, die sich in Richtung bestimmter Nischenmärkte bewegt – Märkte für schwule und lesbische Konsumenten. In den Vereinigten Staaten gibt es in Marketing-Gutachten die Idee, dass Schwule und Lesben ein höheres verfügbares Einkommen haben als andere Segmente, weil sie tendenziell zwei Einkommen beziehen und keine Kinder haben. Aber es gibt viele Schwule und Lesben, die nicht derart zum Konsum privilegiert sind. Oder Kinder haben. Wer aber Teil einer solchen Marketing-Demografie ist, wird in eine globale Ökonomie des Konsums eingespannt.Minoritäre Gruppen kompensieren in der Konsumkultur ihre Unterrepräsentation?In den letzten zwei Dekaden gab es in den USA eine Diskussion darüber, wie die Anerkennung bestimmter Gruppen als Konsumenten Substitut für rechtliche Errungenschaften wurde.Der Markt ersetzt den Staat?Die Anerkennung vom Markt kann den Kampf um mehr Rechte verdrängen. Der Markt gesteht scheinbar die Rechte zu, die der Staat verweigert. Guter Bulle, böser Bulle.Markt und Staat als Team?Der Markt sagt: Ihr seid willkommen. Der Staat sagt: Nein, du darfst das, das und das nicht. Seit die rechtliche Anerkennung von Schwulen und Lesben zugenommen hat, ist dieser Dualismus zusammengebrochen. Jetzt sehen wir, dass sich Markt und Staat unterstützen: Die Leute, die bei der rechtlichen Anerkennung die meisten Vorzüge genießen, sind die mit den größten Konsumprivilegien. Sie sind meist weiß, Teil des Mittelstandes und Männer.(weiterlesen über Homosexualität, Abu Ghraib, Medien und Türsteher)Einen gewissen emanzipatorischen Fortschritt hat es aber gegeben.Wir können sagen, dass einige Gruppen von der „Emanzipation“ profitiert haben.Welche Gruppen denn nicht?Wir haben eine Zunahme von Restriktionen in Zuwanderungsgesetzen, einen zunehmenden Verfall von Wohlfahrt und staatlicher Fürsorge, eine zunehmende Überwachung von Muslimen in den USA, Körper, die als Terroristen betrachtet werden. Auf der einen Seite also Fortschritt und auf der anderen eine militarisierte, nationale Politik gegen „andere“ Körper, gegen fremde Körper.Wo ist die Verbindung?Es gibt Menschen, die beiden Gruppen angehören. LGBTQ (Lesbians, Gays, Bi, Trans, Queers, Anm. d. Red.), die Muslime sind oder südasiatisch oder Immigranten oder Leute, die wie „Terroristen“ aussehen – für diese Leute wird es kompliziert. Ein Teil ihrer Identität soll mehr Rechte bekommen, der andere Teil ihrer Identität führt zu Überwachung, Festnahme oder Abschiebung.Was macht die Lage für einen schwulen Moslem schwieriger als für einen heterosexuellen?Der schwule Moslem verhandelt sowohl die LGBTQ-Identität, die als vornehmlich weiß konzeptualisiert ist, als auch seine muslimisch- amerikanische Identität, die vornehmlich als heterosexuell konzeptualisiert ist. Das Subjekt verhandelt sich also immer als Absenz im jeweiligen Bereich.Wo kommen diese Konzepte her?Das ist eine Frage von Repräsentationspolitiken: Wen sehen wir im Fernsehen? Wer wird repräsentiert, wenn wir dort homosexuellen Figuren begegnen? Für gewöhnlich sehen wir immer einen bestimmten Typ von Homosexuellen, der unsere Vorstellung bestimmt. Da sind immer schon normative Vorstellungen, die in den Medien repräsentiert werden.Welche Schwierigkeiten entstehen daraus?Abu Ghraib. Als die Folterfotos veröffentlicht wurden, ging es darum, dass die Folter für diese Iraker schlimmer gewesen sei, weil sie bereits eine unterdrückte Sexualität haben. Wenn wir uns diese Fotos anschauen, betrachten wir die Gefolterten bereits aufgrund der Vorstellung von Homosexualität als bloßgestellt.Wie ist es möglich, Abu Ghraib öffentlich zu machen, ohne diese Stereotypen zu reproduzieren?Es hätte eine Form der Allianz geben können zwischen einer Gruppe Homosexueller und einer Gruppe von Körpern, die als unterdrückt und unfähig zu Homosexualität verstanden werden. Stattdessen reproduzierte man die Idee einer besonderen sexuellen Toleranz des Westens. Indem die Bilder so kommentiert wurden, konnte von der Gewalt selbst abgelenkt werden. Dabei war diese Folter eine Anwendung von Gewalt, ganz unabhängig von der Sexualität.Es geht also weniger darum, dass diese Bilder veröffentlicht wurden, als vielmehr um die Art der Kommentierung. In Deutschland und in den USA wird häufig, wenn es um Homophobie geht, so getan, als seien die einzigen homophoben Menschen …… of Color.Und Menschen aus einem muslimischen Kontext.So funktioniert Neoliberalismus. Er produziert Vorstellungen von kulturellen Normen, die strukturell sind: ökonomische Strukturen, politische Strukturen, Migrationsstrukturen, Arbeitsstrukturen.Wie hängt dieses Outsourcing von Homophobie in migrantische Communities mit neoliberalen Strukturen zusammen?Wenn Migranten in die USA einwandern, sind sie strukturell an die Familie gebunden, weil es für gewöhnlich ein Familienmitglied ist, das sie rübergeholt hat. Das ist durch die „Familienzusammenführung“ geregelt. Sie befinden sich in einem Familiensystem. Manchmal sprechen sie kein Englisch und sind abhängig von der Familie – für Sprachunterricht, Fahrstunden, ihren Job oder Zugang zu sozialen Netzwerken. Das sind alles Wege, auf denen die heterosexuelle Kernfamilie in ein System eingebettet wird, das Heterosexualität als ein Imperativ zum Migrationsprozess reproduziert. Deshalb ist es schwer für einen Immigranten, der sich in starker Abhängigkeit von den heterosexuellen Familienbindungen befindet, um als Migrant sein Überleben in den USA zu sichern, andere soziale Beziehungen aufzubauen.Dann existiert die Homophobie, die wir in manchen migrantischen Gruppen beobachten, zum Teil wegen heteronormativer Migrationsstrukturen. Wie kann ein kritisches Mitglied der Mehrheitsgesellschaft, ein Journalist, dem begegnen, ohne Menschen aus migrantischen Kontexten zu diskreditieren? Indem er versteht, dass Homophobie in vielen Communities existiert. Interessant ist die schwule Migration aus ländlichen und suburbanen Gebieten in den siebziger und achtziger Jahren nach San Francisco oder New York: Schwule und Lesben haben ihre homophoben Familien verlassen. Diese Geschichte wird einfach weggelassen, wenn wir heute darüber sprechen, wer homophob ist. Im Grunde wurden diese schwulen Städte gegründet von Menschen, die ihre Familien und ihre Kleinstädte verlassen haben, weil sie irgendwo leben wollten, wo sie sich nicht permanent mit Homophobie auseinandersetzen mussten. Über diese Idee, dass Homophobie für die weiße schwule Identität konstitutiv ist, sollte nachgedacht werden. Stattdessen wird auf andere ethnische Gruppen gezeigt, wenn über Homophobie gesprochen wird.Sie würden dem kritischen Journalisten also empfehlen: „Erzähle die Geschichte nicht in Teilen, sondern ganz“?Es gibt andere Geschichten, die auch erzählt werden müssen. Und es geht darum zu erkennen, dass einige politische Kämpfe sich ähneln oder gar gleich sind.Welche?Zum Teil geht es darum, dass schwule und lesbische Communities, die vornehmlich weiß sind, ihre Privilegien im Verhältnis zu „Rasse“, Staatsbürgerschaft, Klasse, oftmals sogar zu Geschlecht überdenken müssen. Dann stellt sich die Frage, wie Verbindungen zu anderen marginalisierten Gruppen aufgebaut werden können. So wie ich die Situation in Berlin verstehe, mit der Judith Butler zu tun hatte, hat die Organisation des CSD keinen Gedanken an progressive Arbeit gegen Rassismus verschwendet. Das ist ein Problem.Homosexuelle Bewegungen sollten sich also auch immer mit Rassismus auseinandersetzen?Könnte eine solche Bewegung sich gegen multiple Formen der Unterdrückung anstelle von nur einer einzigen einsetzen? Könnte sie Homophobie, Rassismus und Klassismus bekämpfen? Muss sie sich nur gegen Homophobie stellen?Es gibt weiße Bewegungen, die Errungenschaften für Schwule erreicht haben, obwohl sie vielleicht rassistisch waren.Man muss sich klar machen, dass das, was Fortschritt für eine Community konstituiert, Rückschritt für die andere bedeuten kann. Es ist nicht in Ordnung, eine Gay Pride Parade zu veranstalten, auf der Zivilcourage zelebriert werden soll, wenn dort ein rassisches Profiling stattfindet im Sinne von, wer teilnehmen darf, wer bedient und wer polizeilich kontrolliert wird. Ich denke, dass Überwachen und rassisches Profiling ein großes Problem in Berlin darstellen.Was haben Sie da beobachtet?Ich war kürzlich auf der „Gayhane“-Party im SO36 in Berlin-Kreuzberg. „Gayhane“ war einmal eine schwul-arabische, schwul-muslimische Party. Nun sind da überwiegend weiße Heterosexuelle aller Nationen.„Gayhane“ ist eine Zusammensetzung des englischen Wortes „Gay“ mit dem türkischen Wort „hane“, das veraltet für Wohnung oder Haus steht.Türkisch ist die Party nicht mehr. Es ist traurig, wie sich das in den letzten Jahren gewandelt hat. Jetzt sind da weiße Türsteher, die fragen: „Bist du lesbisch?“ Das ist eine Form des „rassischen“ Profiling, wer wird reingelassen, wer nicht. Sie können sich aussuchen, ob sie dir glauben. Die Türpolitik ist bei der „Gayhane“ eigentlich dazu da, Heterosexuelle fernzuhalten. Aber so werden bestimmte Körper nicht reingelassen, Körper, die nicht dazu passen, wie es im SO36 aussehen soll. Körper of Color, die nicht zu den normativen Vorstellungen passen, wie ein schwuler Mann oder eine lesbische Frau auszusehen hat. Wenn man wie eine „deutsche Lesbe“, was immer das sein mag, aussehen muss, werden andere Lesben ausgeschlossen.Würden Sie den Zivilcourage-Preis des Berliner CSD ablehnen?Man würde mir niemals einen solchen Preis verleihen.Warum nicht?Weil meine Arbeit zu kritisch für das ist, was diese Organisation tut.