Als Ende der siebziger Jahre der Punk regierte, wurde Westeuropa völlig neu kartographiert. Die weitaus größte Fläche bestand fortan aus weißen Flecken, hier war der Hund begraben, es gab eine Kapitale, die riesengroß schien (London), und über die Lande versteut waren ein paar Sehenswürdigkeiten verzeichnet, wie man im Landkartendeutsch sagt, in Wahrheit waren das natürlich die absoluten Sehnsuchtsorte: Das Roxy in London, das CBGB in New York, das S036 in Berlin, das Hey in Zürich, oder eben der Ratinger Hof in Düsseldorf.
Was hat man sich nicht alles von diesem Ratinger Hof erträumt, von dem man in der Sounds oder im Musik Express, vielleicht auch in einem Fanzine gelesen hatte. Wer nie in diesem Mekka des deutschen Punk war, erk
des deutschen Punk war, erkennt spätestens nun, wenn er den vorliegenden Band durchblättert: Es muss ja doch ein rechtes Loch gewesen sein.Einer der es ganz genau weiß, schreibt sogar von einem „Drecksloch“: Janie J. Jones, mit bürgerlichem Namen Peter Hein, damals Sänger bei Mittagspause und heute noch Sänger bei Fehlfarben und (Reise-)Schriftsteller. Janie J. Jones also entdeckt man gefühlt auf jedem zweiten Bilddokument dieses Bandes, der die Geschichte des Ratinger Hofs in „Fotos und Geschichten“ dokumentiert. Der Band wird in einer Metallkassette verkauft (PIL läßt grüssen) und enthält als Spezial die Reproduktion des Tickes für ein Wire-Konzert von 1978. Es riecht also ein wenig nach Devotionalie und Erinnerungkultur, und das soll ja auch so sein. Im Bücherregal gehört der Band ergänzend neben Jürgen Teipels sensationeller Interview-Geschichtsschreibung des deutschen Punks unter dem Titel Verschwende deine Jugend.Der notorische Alt-HippieEtwa gleich häufig wie Janie J. Jones – das Pseudonym ist einem Song der Clash entnommen, „he don‘t like his boring job, oh no“ – ist auch Franz Bielmeier alias Mary-Lou Monroe auf diesen Aufnahmen zu sehen, von denen wiederum die meisten entweder einen Mikroständer, eine Lederjacke samt Badges, eine Igelfrisur, oder auch dieses alles zusammen zeigen. Bielmeier brachte das erste deutsche Fanzine heraus, den Ostrich!, und schrieb später die Musik für Mittagpause.Gemeinsam mit einer Handvoll weiterer Protagonisten wie Gabi Delgado, Jürgen Engler oder Harry Rag bildeten sie eine der wichtigsten Zellen des deutschen Punk, der schon bald zum Postpunk wurde, und wenn man sich diese meist sehr grobkörnigen Schwarzweißbilder heute anschaut, dann staunt man doch, wie jung diese Helden damals waren: „Die schon etwas ältere Generation hat das, was sich Ende der 70er Jahre im Ratinger Hof tat, nicht oder doch erst sehr spät bemerkt.“ Nun gut, einen Alt-Hippie gab es auf solchen Konzerten ja eigentlich immer, in der Regel hatte er dann ein Plattenlabel, oder er dokumentierte schon bald die Bewegung in einer Anthologie oder ähnlichem. Umgekehrt zog das, was sich da Ende der 70er Jahre nicht nur im Ratinger Hof tat, vor allem eben auch Schüler, Gymnasiasten an.„Es war Silvester 79/80. Ich war gerade 15 geworden“ schreibt Susanne Reimann, einge der wenigen Frauen, die im Band vertreten sind, sie arbeitet heute als Journalistin in Hamburg. „Wir wohnten irgendwo in Suburbia, vor oder hinter Düsseldorf.“ Das galt für die meisten, alle wohnten irgendwo in Suburbia, vor oder viel öfter noch hinter irgend einem Düsseldorf, in dem es so einen magischen Ort gab.„So stand ich nun jeden Freitag und Samstag dort an der Wand und hatte Angst, dass mich jemand anspricht. Ich hatte Angst ich fliege auf. Ich war nicht cool, ich war nur ein liebes Mädchen. Und ich war panisch. Auf hohen spitzen Schuhen natürlich, mit Netzstrümpfen, gefärbten blauschwarzen Haaren und knallrotem Mund, sehr schön verkleidet und äußerlich nicht fehl am Platz.“Unsere besten JahreNun war vielleicht das Posing in der Modestadt Düsseldorf besonders ausgeprägt, die Fotos deuten auf einen exzessiven Konsum von Kleidern der Marke „Boy“ hin, anyway, bald darauf war dann die beste Zeit des Punk und damit auch des Ratinger Hofs schon wieder zu Ende. Ein Epilog weist auf die Acid-House Partys hin, die dort Ende der Achtziger stattfanden, und Janie J. Jones schreibt, dass es die Adresse heute noch gebe, „aber das ist nur ein Haus ohne eine Geschichte“.Wer seinen Text liest und dazu die Fotos von Pogo und Posen sieht, kann vielleicht erahnen, warum es Menschen gibt, für die 1977ff die besten Jahre ihres Lebens waren, ja, die im Grunde genommen glauben, dass nur ein endloser Abgesang sein kann, was auch immer danach kam und noch kommen wird. Aber vielleicht spricht daraus ja auch nur das hypertrophe Bewusstsein eines Flipperspielers, und es ist vielleicht das schönste Foto, das Peter Hein und Jürgen Engler beim Flippern zeigt. Man sollte beim Betrachten aber unbedingt die Musik laufen lassen: „Dann stehst du neben mir und wir flippern zusammen/ Paul ist tot, kein Freispiel drin/Der Fernseher läuft, tot und stumm/Und ich warte auf die Frage, die Frage Wohin, wohin?“ (Fehlfarben 1980).