Man muss Joschka Fischer schon sehr lieb haben, um sein jüngstes Buch mit Spannung bis zum Ende durchzulesen. Es handelt im Kern von seinem größten, das heißt am wenigsten bestrittenen außenpolitischem Erfolg, nach dem das Werk auch betitelt ist: „I am not convinced“, das ist der Satz, den er Anfang 2003 auf der Münchner Sicherheitskonferenz den USA und ihrer Koalition der Willigen zurief. Der Außenminister Fischer war so wenig wie Kanzler Schröder überzeugt, dass es tragende Gründe für einen Angriff auf den Irak gäbe.
Keinen Funken Verständnis
Mit dem Nein zum Irakkrieg haben Schröder wie Fischer sich und der Bundesrepublik einen großen Gefallen getan. Deshalb wäre zu hoffen gewesen, dass Fischer sch
n, dass Fischer schon aus diesem schönen Gefühl sowie seiner bekannten Selbstgewissheit heraus nun mit süffigen Anekdoten, Schilderungen des großen Dramas hinter den Kulissen des UN-Sicherheitsrates und brisanten Wortgefechten aufwarten würde, um seinen eigenen Ruhm zu mehren und George W. Bush, Donald Rumsfeld and the likes noch einen hinterherzugeben.Nichts da. Fischer möchte nicht erzählen. Er berichtet von den Ereignissen ab dem 11. September 2001, als müsste er eine endlose Agenturmeldung aus Ich-Perspektive verfassen: „Ich flog wieder nach New York“ ist die vermutlich am meisten verwendete Wortkombination. Ebenfalls arg strapaziert ist jede Variation von „ich sollte recht damit behalten, dass“. Es ist zäh, zäher als der erste Teil seiner Minister-Memoiren von 2007. Dem Stil hat die größere Distanz zum Geschehen nicht gut getan. Doch wäre sie ein Gewinn, wenn sie zu mehr Analysetiefe geführt hätte, vielleicht zu mehr Einsicht, warum die Grünen ihrem Minister nicht bei jeder Entscheidung vollzählig, spontan und freudig folgen mochten. Davon ist jedoch wenig zu merken.Auch im zehnten Jahr des Afghanistaneinsatzes bringt Fischer keinen Funken Verständnis dafür auf, dass einige Grüne – namentlich etwa Antje Vollmer – eine „Teilnahme Deutschlands am Gegenschlag der USA in Afghanistan“ ablehnten. „Der grünprotestantische Nationalpazifismus erhob also auch diesmal wieder sein Haupt“, konstatiert er beinahe gelangweilt. Die Berechtigung der Warnungen von damals ist ihm auch aus heutiger Sicht kein Thema. Gleichzeitig aber ist auch dies die einzige Episode, in der Fischer einen mehr als bloß formalen Austausch mit seiner Partei, den Grünen, schildert: „Mir stieg das Blut in den Kopf, und ich begann innerlich zu kochen vor Wut.“Glaube an den WahlkampfGlich der erste Band von Fischers Regierungserinnerungen streckenweise noch einer Abrechnung mit der Partei, bleiben die Grünen im zweiten Band jenseits von der soeben zitierten Stelle bloß ein Ärgernis, ein Stein im Schuh, der immer spürbar wird, wenn man sich gerade in Berlin aufhält. Die Parteispitze wird kaum mit Namensnennung geehrt, der langjährige Parteichef Reinhard Bütikofer, immerhin Realo, heißt erst „Notlösung“ und wird dann als „gewichtiger Herr“ veralbert. Nein, Fischers Ansprechpartner sind stets nur Gerhard Schröder oder der damalige US-Außenminister Colin Powell. Sein Spiegel, aber auch Sparringspartner sind die Medien. „Na warte, Wonka!“, antwortet er einer der undurchsichtigsten Figuren im Berliner Hauptstadtjournalistenklüngel, Dieter Wonka von der Leipziger Volkszeitung, der Fischer schon seit Bonner Zeiten verbunden ist. Wonka hatte gezweifelt, dass Rot-Grün 2002 noch einmal gewänne, doch Fischer ist überzeugt von den Gewalten des Wahlkampfs: Die Plätze sind voll, Tausende kommen, um Fischer zu erleben – die Wahl kann nicht verloren sein.Es ist offensichtlich nicht nur der Freude an den Möglichkeiten digitaler Archivsuche geschuldet, dass Fischer gern Schlagzeilen anführt, um sein Wirken zu illustrieren. „Fischer legt Friedensplan für Nahost vor“ zitiert er befriedigt die Titelzeile der Financial Times Deutschland, als er seine Road Map für Israel und Palästina ausgebreitet hat. Er hat sie beim österlichen Jogging um einen Mecklenburger See ersonnen. Wobei Fischer immerhin so selbstkritisch ist zu beschreiben, dass seiner Road Map kein Erfolg beschieden war und allenfalls dafür sorgte, dass der Friedensprozess „als internationale Verpflichtung“ im Gedächtnis blieb. Die USA als gestaltende Kraft in Nahost fielen unter George W. Bush schlicht jahrelang aus. Fischer interpretiert seine Abneigung gegen die US-Neokonservativen als eine autobiographisch motivierte „Instinktreaktion“. Die Visionen eines Richard Perle oder Paul Wolfowitz kamen ihm überhaupt nicht konservativ vor, im Gegenteil: „Ich hörte bei ihnen die Gesänge, die Musik, den Radikalismus meiner eigenen revolutionären Vergangenheit heraus! Die Genossen von gestern! Weltverbesserung und Revolution, nur diesmal rechts und nicht links herum!“Geister der VergangenheitWer so von den Geistern der eigenen Vergangenheit umstellt ist, dass er selbst in den Neocons noch die Steinewerfer der siebziger Jahre erkennt, sieht den gefährlichen Radikalismus am Ende vermutlich in jeglicher Meinung, die von der eigenen abweicht. Nimmt Fischer Begründungsmängel in der eigenen Politik wahr, muss dies als Zugeständnis reichen. Der Hinweis anderer ist nicht geduldet. So zählt er auf, in welchen Punkten Rot-Grün den USA im Irakkrieg Zugeständnisse gemacht hat: Überfluggenehmigungen für Militärflugzeuge, Bewachung amerikanischer Standorte durch die Bundeswehr und so weiter. Es sei „eine Gratwanderung“ gewesen, dieses Nein zum Irakkrieg, das doch einige „Jas“ erforderte – um der Nato-Solidarität willen. Die Regierung habe sich in „Ambivalenz, ja Widersprüchlichkeit“ befunden. Immerhin. Aber: Daraus einen Vorwurf zu konstruieren, das sei „schlicht haltlos“.Als Fischer sein Buch vergangene Woche in Berlin in der Akademie der Künste vorstellte, der Blick fiel auf den Pariser Platz und das Brandenburger Tor, kamen noch einmal viele der Journalisten zusammen, die Fischer in seinen Ministerjahren begleitet hatten. Es war fast ein kleines Klassentreffen des Fischer-Trosses. Fischer nutzte die Gelegenheit, Koalition wie Opposition für ihre Visionslosigkeit zu geißeln: Die „großen Linien“ – wer suche, wer finde die denn heutzutage noch? Doch kaum ein Kuli senkte sich aufs Papier. Fischers große Linien mochte niemand mehr nachzeichnen. Man war noch einmal Fischergucken gekommen, mehr nicht.