„Das Amt und die Vergangenheit“ hat seine Kritiker gefunden. Unbestreitbar bleibt: Das Auswärtige Amt war in die NS-Verbrechen verstrickt. Erinnerung eines Ex-Diplomaten
Das Generalkonsulat Mailand hatte ich mir 1987 nicht als meinen letzten Posten im Auswärtigen Dienst vorgestellt. Dort verschärften sich die Konflikte über die hartnäckige Verweigerungshaltung des Auswärtigen Amtes, sich seiner insbesondere nationalsozialistischen Vergangenheit zu stellen, in einer Weise, dass meine inzwischen verstorbene frühere Ehefrau, die im Auswärtigen Dienst immer gleichgewichtig an den personellen Entscheidungen des Ehemannes beteiligt war, und ich uns entschlossen, diesem Amt, das auf geradezu provozierende Weise die Prämissen des Grundgesetzes missachtete, nicht mehr länger zu dienen.
Zunächst entdeckte ich in der Bilderreihe der früheren Leiter der Vertretung Fotos von zwei SS-Führern, die beide auf unter
auf unterschiedliche Weise am Holocaust mitgewirkt hatten. Da sich das Auswärtige Amt gegenüber meinen Gravamina beharrlich ausschwieg, ließ ich die Bilder dem Amt zurücksenden. Sodann stellte ich fest, dass beim Generalkonsulat, wenn auch in untergeordneter Stellung, ein SS-Führer des Einsatzkommandos Reinhard beschäftigt gewesen war, über dessen Identität ich während meiner ersten Verwendung in der Vertretung in den sechziger Jahren arglistig getäuscht worden war. Und den das Auswärtige Amt der italienischen Justiz, die auf seine Spuren gestoßen war, durch Versetzung an eine andere Auslandsvertretung der schon eingeleiteten gerichtlichen Verfolgung entzogen hatte. Ferner musste ich in Übereinstimmung mit dem veranstaltenden Goethe-Institut die Präsentation einer Fotoausstellung über den deutschen Widerstand in Mailand aussetzen, nachdem wir aus eigener Kenntnis und nach Hinweisen von italienischer Seite festgestellt hatten, dass diese gravierende historische Fehler enthielt. Daraufhin musste ich die Absicht des römischen Botschafters korrigieren, das heile Bild Deutschlands durch die Veranstaltung eines Zyklus mit Opern von Richard Strauss vorzuführen, indem ich zur Genugtuung des italienischen Intendanten einen Aufsatz eines deutschen Musikhistorikers in das Programmheft einrücken ließ, der die Rolle des Komponisten im Dritten Reich darstellte. Schließlich erhob ich vergeblich Einspruch gegen die durch den damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker vorgenommene Verleihung des Großen Bundesverdienstkreuzes an den früheren Judenreferenten des Generalkonsulats Hans-Otto Meissner, der 1944 an der Tagung der Judenreferenten in Krummhübel teilgenommen hatte. Deren Anordnung durch Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop hatte zu den Gründen des Internationalen Militärgerichtshofs in Nürnberg gehört, diesen zum Tode zu verurteilen. Zum Zeitpunkt dieser Auseinandersetzung hatte sich die gedenkpolitische Kontroverse mit dem Auswärtigen Amt über die Feierstunden auf dem Soldatenfriedhof in Costermano bereits entfaltet. Sie entzündete sich an der nach und nach bekannt gewordenen Tatsache, dass auf dem Friedhof bis zu zwölf von italienischen und slowenischen Partisanen gezielt getötete SS-Führer und eine bisher unbekannte Zahl von Angehörigen der Mannschaftsgarde des Einsatzkommandos Reinhard beigesetzt worden waren.Ehrendes GedenkenDas Einsatzkommando Reinhard hing direkt vom Reichssicherheitshauptamt ab, unterstand dem späteren SS-Obergruppenführer Odilo Globocnik und war zunächst in der Aktion T4 zur Ermordung der psychiatrischen Patienten im Rahmen der sogenannten NS-Euthanasie eingesetzt worden. Dann errichtete das Einsatzkommando Reinhard in Ostpolen das Lagersystem Belzec, Sobibor und Treblinka unter dem Inspekteur SS-Sturmbannführer Christian Wirth, der die Gaskammern erfunden hatte. Dessen Fahrer war der spätere SS-Untersturmführer Konrad Geng, der nach dem Krieg insgeheim Anstellung am Generalkonsulat Mailand fand. Das Einsatzkommando Reinhard hatte über zwei Millionen psychiatrische Patienten, europäische Juden, teilweise mit dem Plazet des Auswärtigen Amtes, Sinti und Roma sowie Polen ermordet – also mehr Menschen, als in Auschwitz vernichtet wurden.Im Frühjahr 1943 wurde das ostpolnische Lagersystem aufgelöst und das Einsatzkommando Reinhard in die von Italien abgetrennte und dem Deutschen Reich einverleibte sogenannte „Operationszone Adriatisches Küstenland“ mit Hauptort Triest verlegt. Dort errichtete es unter Leitung von SS-Sturmbannführer Wirth das Konzentrationslager Risiera di San Sabba, in dem zwischen 2.000 und 5.000 Juden, psychiatrische Patienten und Widerstandskämpfer ermordet wurden. Dessen Krematorium, von dem heute noch Reste zu sehen sind, soll von dem späteren Angehörigen des Generalkonsulats Mailand, Konrad Geng, betrieben worden sein, der nach Wirths Erschießung durch die Partisanen auf eigene Faust ein Massaker unter der italienischen Zivilbevölkerung in Abrega di Pavenzo angerichtet haben soll. Bei seinem Tode rief ihm das Auswärtige Amt das ehrende Gedenken nach.Die SS-Führer und ihre Mannschaften wurden nach der Tötung durch die Partisanen zunächst sämtlich auf dem eigens für sie errichteten Friedhof in Opicina bei Triest beigesetzt. Auf Betreiben der örtlichen Behörden wurde diese zu einem Heldenfriedhof ausgebaute Anlage nach dem Kriege aufgelöst und die sterblichen Überreste der Toten auf Veranlassung der italienischen Regierung der Bundesregierung übergeben, die diese durch den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge auf dem im Entstehen befindlichen Soldatenfriedhof Costermano vor allem im Block 15 beisetzen ließ. Wie Thomas Harlan es beschrieben hat, wurde der SS-Heldenfriedhof von Opicina nach Costermano verlegt, wo auch Wehrmachtsangehörige ruhen.Als ich erstmals im Jahre 1987 am Volkstrauertag die übliche Gedenkstunde auf dem Friedhof veranstaltete, waren mir diese Tatsachen nicht bekannt, auf die mich erst im Folgejahr die Studie des italienischen Historikers Adolfo Scalpelli aufmerksam machte. Meine Vorstellungen, die SS-Gräber in ihre Heimatorte umzubetten, lehnte das Auswärtige Amt ab und ließ mich als Grundsatz des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge wissen, dass dieser keinen Unterschied zwischen Waffengattungen und Handlungen im Kriege mache. Ich sagte daraufhin meine Teilnahme an der Gedenkveranstaltung ab, ebenso wie zwei Jahre später der soeben neu nach Mailand berufene Pfarrer der Evangelischen Gemeinde, Holger Banse. Auf Weisung des damaligen Bundesministers des Auswärtigen, Hans-Dietrich Genscher, nahm neben Vertretern des Volksbundes der ranghöchste Beamte des Verwaltungspersonals am Generalkonsulat teil, der auch die Totenehrung verlas.Abgebrochene GesprächeAls ich wenige Tage später in meinem Dienstzimmer mit italienischen Journalisten zu einem Informationsgespräch zusammengetroffen war, wurde ich fernmündlich durch Staatssekretär Jürgen Sudhoff aus dem Auswärtigen Amt unterbrochen, der offenbar über das laufende Gespräch unterrichtet worden war. Er bat mich, in das Gespräch mit den Journalisten den Gedanken einzuführen, dass die SS-Führer bereits vor dem Allerhöchsten Richter gestanden hätten, was ein Christ als Blasphemie empfinden musste und meine beiden agnostischen Gesprächspartner empört zurückwiesen. Angehörige der von mir geleiteten Auslandsvertretung und der Bonner Zentrale nahmen alsbald meiner Frau und mir gegenüber eine feindselige Haltung ein. Die üblichen Weihnachtsfeiern fanden in unserer Abwesenheit statt. Auf meine Unterrichtung des Auswärtigen Amtes über diese Vorgänge reagierte dieses nicht.Der römische Korrespondent der FAZ, Heinz-Joachim Fischer, begann auf Veranlassung der Botschaft in Rom eine gegen mich gerichtete Serie von Artikeln, in denen erstmals die auf dem Soldatenfriedhof beigesetzten Täter der SS nicht gemäß der Nürnberger Nomenklatur als „Verbrecher gegen die Menschlichkeit“ (eigentlich: criminals against humanity), sondern als „Kriegsverbrecher“ bezeichnet wurden. Unterdessen trafen im Auswärtigen Amt wäschekörbeweise Schreiben aus der deutschen Bevölkerung ein, in denen meine Abberufung gefordert wurde. Anfang des Jahres 1989 erschien bei mir auf Weisung des damaligen Bundesministers des Auswärtigen der Chefinspekteur des Auswärtigen Amtes, Botschafter a. D. Walter Gorenflos. Er führte ohne mein Wissen mit Angehörigen der einst tiefbraunen Mailänder deutschen Kolonie Gespräche und verlangte von mir summarisch die Anerkennung der Optionen, dass man ebenso an den Feierlichkeiten auf dem Soldatenfriedhof Costermano teilnehmen oder diese meiden könne. Ich brach darauf das Gespräch über diese ambivalente Haltung gegenüber dem SS-Staat ab und stellte mit dem am gleichen Tag ausgehenden Kurier Bundesminister Genscher meinen Posten zur Disposition, worauf ich keine Antwort erhielt. Während des Abschlussgesprächs mit Botschafter Gorenflos warf dieser mir zweimal „Unmenschlichkeit“ vor, worauf ich das Gespräch abermals abbrach.Wenige Tage später erklärte der sozialdemokratische Bundestagsvizepräsident, Heinz Westphal, ich hätte die Interessen der Bundesrepublik hervorragend vertreten. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Freimut Duve geriet gar mit Bundesminister Genscher in einen erregten Wortwechsel, weil ich die durch den früheren Bundesminister des Auswärtigen, Walter Scheel, zwei Jahrzehnte zuvor angekündigte Geschichte des Auswärtigen Amts angemahnt hatte. Bundestagsvizepräsident Westphal schrieb mir, dass er dem Bundesminister des Auswärtigen die historischen Hintergründe der gedenkpolitischen Kontroverse erläutert habe, die dieser kommentarlos zur Kenntnis genommen hätte.Zwei ProzesseFortan verbreitete das Auswärtige Amt die Legende, dass es meine Gewissensgründe respektiert habe ebenso wie die Haltung des Beamten, der an der Feierstunde teilgenommen habe. Geflissentlich leugnete es, dass es mir den Chefinspekteur geschickt und dem anderen Beamten eine Weisung erteilt hatte. Kurz vor Beendigung der üblichen Zeit für eine Auslandsverwendung suchte ein hoher Repräsentant des italienischen Staates das Gespräch mit mir, um zu erklären, dass seine Regierung, die selbst wegen der Verhältnisse in Costermano in streitigen Verhandlungen mit der Bundesregierung stand, genau beobachtet habe, dass die Bundesregierung alles, aber auch alles unternommen habe, um mich zu Fall zu bringen, sodass er manchmal persönlich Angst um mich gehabt habe. Uns hatte diese Unterrichtung nur in der bereits getroffenen Entscheidung bestätigt, den Auswärtigen Dienst zu verlassen.Wenige Monate später teilte Heinz-Joachim Fischer in der FAZ mit, ich sei aus Altersgründen aus dem Dienst geschieden (...). Daraufhin erwirkte ich eine Gegendarstellung, in der es hieß: „Ich bin nicht altersbedingt aus dem Dienst geschieden, sondern weil der Leiter der Personalabteilung und ich darin übereinstimmten, dass zwischen dem Auswärtigen Amt und mir bezüglich der Behandlung und Aufarbeitung der Nazizeit ein unüberbrückbarer Dissens bestehe.“ Obwohl die Zeitung die Gegendarstellung klaglos abgedruckt hatte, weigerte sie sich, eine Unterlassungsverpflichtungserklärung abzugeben, sodass es zu einem Prozess kam, der in zwei Instanzen zu meinen Gunsten entschieden wurde. Wenige Monate nach der gerichtlichen Auseinandersetzung berichtete die FAZ, dass Heinz-Joachim Fischer durch Bundespräsident Richard von Weizsäcker unter anderem expressis verbis aufgrund seiner Berichterstattung über die gedenkpolitische Kontroverse in Costermano mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden sei. Ich übersandte daraufhin dem Bundespräsidenten die beiden durch die Hanseatische Judikatur ergangenen Urteile, in denen Fischer als „schuldig“ bezeichnet wurde. Der Bundespräsident ließ mir mit einem Schreiben ohne Anrede mitteilen, dass er die Urteile nicht kommentieren wolle. Wie aus einem kürzlich mit Bundesminister Westerwelle geführten Schriftwechsel implizit hervorgeht und wie ich es vor mehr als 20 Jahren selbst erfahren habe, erwartet das Auswärtige Amt, dass Leiter von Auslandsvertretungen am Volkstrauertag grundsätzlich auch die NS-Täter in das Gedenken einbeziehen. Wer dies aufgrund des Grundgesetzes und des Bundesbeamtengesetzes verweigert, darf zwar sicher sein, dass ihm gnädig die Gewissensfreiheit zugebilligt wird, dass diese Weigerung aber von der hartnäckig verfolgten Absicht begleitet ist, die entsprechende Person aus dem Amt zu drängen. Diese Politik ist zunächst und vor allem durch das NSDAP-Mitglied der letzten Stunde, Bundesminister a. D. Hans-Dietrich Genscher, offenbar geworden, als er im Jahre 2004 in der Bonner Kreuzkirche die Traueransprache für den verstorbenen früheren Angehörigen einer verbrecherischen Organisation, SS-Hauptsturmführer und Botschafter a. D. Franz Krapf, hielt.