Er ist sichtlich in die Jahre gekommen. Obenrum wird es stetig lichter, die Recken stehen krumm gebeugt, sind kaum voneinander zu unterscheiden und werden zudem von unlauteren Konkurrenten bedrängt. Das klingt nach? Aber nein, noch ist hier nicht vom deutschen Journalismus die Rede, sondern erst einmal von einem Wald nördlich des Großen Müggelsees, um den sich die Organisation Iplantatree bemüht: „Um dieses innerstädtische Naherholungsgebiet zu erhalten und damit wichtige CO2-Senken zu schaffen, unterpflanzen wir die zwei Hektar große Monokultur mit 20.000 Rotbuchen. Zusätzlich wird die wuchernde Traubenkirsche bekämpft und die jungen Pflanzen durch Einzäunung vor Rehverbiss geschützt.“ So soll ein gesunder Wald entstehen,
Kultur : Gated Community
Aus der Traum vom freien Publizieren: Bei „Zeit Online“ werden Leserbeiträge neuerdings ausgewählt und bearbeitet. Das Portal liegt damit im Trend
Von
Katrin Schuster
n, „der sich auf natürlichem Wege regenerieren kann und damit langfristig zur Verbesserung des Klimas beiträgt.“Der digitale Ableger der Wochenzeitung Die Zeit hat offensichtlich verstanden und unterstützt dieses Vorgehen gegen Monokultur, Parasiten und Altersschwäche. Seit gut zwei Wochen ist Zeit Online Mitglied bei Iplantatree – weil es seinen immer schon etwas versteckten Leserblog abgeschafft hat. In einem online veröffentlichten Brief an die Autoren begründete der verantwortliche Community-Redakteur Sebastian Horn den Schritt. „Eine konzeptionelle Schwäche des Blogs war, dass jeder Autor seinen Text sofort und ohne vorherige Moderation veröffentlichen konnte“, ist da unter anderem zu lesen. So etwas wird von vielen Usern als Affront verstanden. Nicht die schlechten, sondern die guten Texte – eben die „durchwachsene Qualität“ des Ganzen – sind laut Horn aber Ursache für die Umstellung. „Wir mussten uns einfach überlegen, wie wir mit dem Rauschen fertig werden“, erklärt er auf Nachfrage. Nun sollen die „Perlen prominenter platziert“ und wie die Artikel von Redakteuren ausgestattet werden.Wer eingereicht hat und zur Veröffentlichung ausgewählt wurde, wird statt mit schnödem Honorar mit einem hübschen Iplantatree-Gutschein belohnt: „Als symbolisches Dankeschön für Ihren veröffentlichten Leserartikel pflanzen wir für Sie einen Baum. Im Lauf der Monate und Jahre entsteht so hoffentlich ein ganzer ZEIT-ONLINE-Wald.“ So hofft man wohl ebenfalls auf ein gesundes Naherholungsgebiet namens Zeit Online, dessen Artikelbestand sich auf natürlichem Weg regeneriert und langfristig zur Prosperität beiträgt, weil die redaktionelle Einzäunung vor Trollverbiss und anderen Schädlingen schützt. Wo Wildwuchs war, soll Gated Community werden.Verminte ThemenfelderWer so seine Autorität im eigenen Haus behauptet, wird vielfach als Patriarch alten Stils wahrgenommen, der an den neuen Möglichkeiten des Netzes scheitert. Oder noch einfacher: als Zensor. Tatsächlich weiß das World Wide Web mit Hierarchien wenig anzufangen. Vielmehr hat es sich den Kampf gegen dererlei Strukturen so groß auf die Fahnen geschrieben, dass er manchmal zum bloßen Reflex gegen „die Mächtigen“ degeneriert. Politik, Wissenschaft, Religion, nicht zuletzt die Medien selbst sind verminte Themenfelder, die Journalisten kaum mehr unbeschadet durchqueren, weil kaum ein Text nicht seinen Leser findet, der es nicht nur besser weiß oder glaubt, es besser zu wissen, sondern dies in einem Blog oder Kommentar auch öffentlich kundtut.Auf derselben Seite wie der Journalist und unter demselben großen Namen! Wie sehr die Medien um ihre Autorität und ihre Marke fürchten, sobald ihre Leser daran mitschreiben, ist kaum zu übersehen. Schon werden die Zügel vielerorts wieder angezogen, selbst wenn man damit ausgerechnet die engagiertesten User vor den Kopf stößt und verliert; Zeit Online gibt wahrlich nicht das einzige Beispiel für diesen Rollback ab.Von jenen, die vor fünf, sechs Jahren mit großen Schritten und Worten vorangingen, sind nicht mehr allzu viele übrig. Sowohl die Ostsee-Zeitung als auch der Schleswig-Holsteinische Zeitungsverlag starteten 2006 Leserblogs, stellten sie aber bereits 2007 fast sang- und klanglos wieder ein. Auch die österreichische Kleine Zeitung hat ihren „Weblog-Service“, den sie 2005 begonnen hatte, mittlerweile sich selbst überlassen: „Leider ist es uns nicht länger möglich, dieses Angebot technisch mängelfrei zur Verfügung zu stellen, weswegen wir auch auf eine Wartung der bereits bestehenden Blogs und Statistiken verzichten müssen.“ Nicht zu vergessen die WAZ, deren Community Ende Januar 2011 geschlossen wurde, weil das Interesse der Nutzer daran nachgelassen und der redaktionelle Aufwand in keinem Verhältnis mehr dazu gestanden habe. Anfang des Jahres war bereits das ebenfalls von der WAZ unternommene (und erst im Nachhinein als solches deklarierte) „Experiment“ Westropolis beendet worden: ein Portal, auf dem Redakteure und Leser gemeinsam zu kulturellen Themen bloggten.Eine der schöneren Geschichten ist dagegen die vom Südblog, dem Leserblog des Konstanzer Südkurier, das allerdings auf einer separaten Domain stattfindet. Und die des Trierischen Volksfreund, der ebenfalls im Jahr 2005 begann, bloggende Leser an seiner Öffentlichkeit teilhaben zu lassen. Außerdem verbindet die beiden, auch mit einigen anderen Unternehmungen dieser Art wie etwa in Aachen oder Augsburg, dass sie weniger eine Community schaffen, als vielmehr und zuallererst einer dienen. Der lokalen Community nämlich, die in den kleinen und mittelgroßen Städten Deutschlands eine Ortsgebundenheit entwickelt hat, die durchweg politisch zu verstehen ist. Und so findet man dort nicht nur den „Arniefan“, der Tipps zum Muskelaufbau gibt, und den „Jochel“, der über seinen Mallorca-Urlaub und die jüngste DSDS-Ausgabe sinniert, sondern auch den SPD-Ortsverein und den CDU-Stadtrat.Diejenigen dagegen, die mehr aufs Nationale zielen, deren öffentlicher Wirkungsraum größer ist als ihr privater, haben es oft von Anfang an vermieden, den Lesern allzu große Freiräume zuzugestehen. Und mussten später sogar zurückrudern wie die Süddeutsche Zeitung im Dezember 2007, als sie, wie böse Zungen formulierten, ihrer Website „Öffnungszeiten“ verordnete. Seither ist das Kommentieren nurmehr werktags zwischen 8 und 19 Uhr erlaubt. „Wir wollen die Qualität der Nutzerdiskussionen stärker moderieren“, lautet die grammatikalisch krude Begründung. Abwegig ist sie nicht: Es gab schon Gerichtsurteile, die den Inhaber einer Website dafür haftbar machen wollten, was dort zu lesen stand, selbst wenn er nicht selber Autor war; eine 24-stündige Kontrolle aber kostet Geld, und davon haben Zeitungen gerade nicht besonders viel übrig. Die Rede vom gemeinsamen Publizieren ist mithin nicht bloß Rhetorik, sondern kann durchaus justiziabel werden. Die Leser vergaßen den Affront ohnehin schnell: Ihr Protest war fix organisiert, verebbte jedoch bald. Und kommentiert wird auf sueddeutsche.de nach wie vor eifrig, zumindest an Werktagen zwischen 8 und 19 Uhr.Außenraum im InnenraumWas wiederum bei der FAZ Community heißt, ist ein redaktionell betriebenes Blog von beauftragten Autoren mit Kommentarfunktion, die allerdings ausgiebig genutzt wird; ganz ähnlich bei der Welt. Auch Spiegel-Online-Leser üben sich vor allem als Kommentatoren statt als Autoren. Interessanterweise bewegen sich die bürgerjournalistisch konzipierten Portale wie die Readers Edition oder Opinio, in denen das offene Publizieren am weitesten fortgeschritten ist, am Rande der Bedeutungslosigkeit. Warum eigentlich? Braucht die Blogosphäre eben doch die Autorität, die sie in Teilen doch so vehement abzulehnen scheint?Je direkter den Leser eine Sache angeht, desto eher scheint er bereit, zum Autor zu werden. Dafür steht, der diskrete Hinweis in eigener Sache sei erlaubt, nicht zuletzt die Community des Freitag, die das Publizieren nie als Sache von denen-da-oben begriffen hat. Dass sie manchem Unbedarften deshalb als separate Welt erscheinen mag, ist kein Makel, sondern ihre Qualität: Eine solche Gemeinschaft will, kann und soll nichts anderes als ein Außenraum im Innenraum sein.Davon zeugt auch die Reaktion der Zeit-Leserblogger, die sich heftig dagegen wehren, wie freie Journalisten – der Text wird vielleicht gar nicht angenommen, vielleicht schmerzhaft von einem Redakteur barbeitet, und der Lohn lohnt es ohnehin nicht – behandelt zu werden. Viele Medienverantwortliche begreifen offensichtlich nur schwer, dass ein Leserblogger ein Leserblogger sein will – und kein kostenloser Content-Lieferant. Schließlich werden Bürger nicht zu Leserbloggern, um mit ihren Beiträgen für einen Baum zu spenden, sondern um in den Mediendschungel ein paar kräftige Schneisen zu schlagen.