Mathias Döpfner steckt in einem Dilemma. Der hagere Mann, still und kultiviert, ist Chef des größten europäischen Zeitungsverlags und seinem Unternehmen geht es – einerseits – glänzend. Ein paar Zahlen? Die Rendite im Zeitungsgeschäft liegt bei 22 Prozent, der Konzernumsatz ist in den ersten drei Monaten des Jahres um elf Prozent gewachsen, das Konzernergebnis um 6,5 Prozent, und allein die Erlöse aus dem digitalen Segment haben um 26 Prozent zugelegt. Das ist alles sehr beeindruckend, und da die Axel Springer AG den strengen Veröffentlichungskriterien des Aktiensrechts unterliegt, muss sie die schönen Zahlen auch öffentlich verkünden.
Andererseits sieht sich Döpfner dazu gezwungen, aus strategischen Gründen Unterg
den Untergangsstimmung zu verbreiten. Springer hat gerade im Verbund mit anderen großen Verlagen Klage gegen die ARD erhoben. Vor dem Kölner Landgericht wenden sich die Verlage gegen eine Computer-Anwendung, mit der man von der Tagesschau-Redaktion erzeugte Inhalte kostenlos auf mobilen Geräten empfangen kann. Mit der Tagesschau-App hätten die Öffentlich-Rechtlichen eine „rote Linie“ überschritten, sagt Döpfner. Die Verlage streiten seit geraumer Zeit um die Aktivitäten der Öffentlich-Rechtlichen im Netz. Die Klage ist eine Eskalation. Entsprechend muss auch die Rhetorik eskalieren. Als das Handelsblatt im vergangenen Herbst mit Döpfner über den Strukturwandel der Medien sprach, sagte der Springer-Chef: „Im ersten Halbjahr haben wir den höchsten Gewinn in der Konzerngeschichte erwirtschaftet. Das Unternehmen ist für diesen Transformationsprozess bestens gerüstet.“Jetzt muss ein anderes Bild her. Der Süddeutschen Zeitung gab Döpfner unlängst ein Interview, das vom Geist der Panik durchweht ist. „Wir kämpfen um unsere Existenzgrundlage.“ Wenn der Springer-Chef derart aufdreht, muss viel auf dem Spiel stehen. So ist es auch. Und dabei ist Döpfners Schlacht gegen die Netzaktivitäten der öffentlich-rechtlichen Sender nur Teil eines viel größeren Feldzugs. Es geht aber nicht um das Überleben der Verlage. Es geht um die Vorherrschaft im Internet. Um die Frage, ob das Netz öffentlich bleibt oder privatisiert wird.KontaktgeschäftDas herkömmliche Geschäftsmodell der Verlage ist beschädigt. Auf das Internet ließ es sich bislang mehr schlecht als recht übertragen. Springer-Mann Christoph Keese, Döpfners Sekundant im Kampf ums Netz, schreibt: „Gedruckte Zeitungen und Zeitschriften machen in Deutschland rund 12 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr. Die Webseiten dieser Verlage bringen es in der Summe auf weniger als 250 Millionen Euro.“ Dass die Verlage im Netz alle darben, stimmt darum nicht. Schon jetzt macht Springer dort ein Viertel seines Umsatzes. Nach Döpfners Aussage soll es in sieben Jahren die Hälfte sein. Aber, so Döpfner: „Derzeit entwickelt sich alles so dynamisch, dass wir dieses Ziel schneller erreichen können.“ Das Geld fließt vor allem aus Quellen, die mit Journalismus nicht viel zu tun haben. Springer verdient mit Netzdiensten wie Immonet und Stepstone. Der Holtzbrinck-Verlag seinerseits ist ins Kontakt- und Beziehungsgeschäft eingestiegen: StudiVZ und Parship gehören dem Haus, das auch die Zeit und das Handelsblatt herausgibt. Warum auch nicht? Wenn in den Zeitungen Werbung für Waschmittel steht, hat das mit Journalismus auch nichts zu tun. Aber nebenbei: Die Marktführer Springer und Spiegel verdienen im Netz sogar mit journalistischen Inhalten nicht so schlecht. Alle anderen zahlen freilich drauf. Für sie ist das Netz keine Erlösquelle, aber ein unverzichtbares Instrument für Marketing und Leserbindung geworden. Und Werbung kostet nun mal.Es geht den Verlagen nicht ums Überleben, sondern um ihre Vormacht. Sie kämpfen an zwei Fronten: nach oben gegen die großen Institutionen der öffentlich-rechtlichen Sender und nach unten gegen die Blogger und Netz-Aggregatoren. Für Schützenhilfe wenden sie sich vertrauensvoll an die Politik: Mit immer neuen Rundfunkänderungsstaatsverträgen – die nicht nur als Begriff wie eine Keule wirken – wurde den Sendern in den vergangenen Jahren das Leben im Netz schwer gemacht. Neue bürokratische Monster wurden geschaffen, wie der „Dreistufentest“, mit dem sich jedes Netzangebot der Sender einer komplizierten Rechtfertigung unterziehen muss. Es wurde auch etwas erfunden, das „Depublizierung“ heißt, ein Unwort, das an den medienpolitischen Giftschrank einer totalitären Gesellschaft erinnert und jedem Journalisten den Magen umdrehen müsste: Die Rede ist von Löschungen. Die Sender wurden gezwungen, Hunderttausende von Dokumenten aus dem Netz zu nehmen, beim ZDF allein waren es 93.500 Dokumente oder rund achtzig Prozent des Online-Angebots. Texte, die der Gebührenbürger bereits bezahlt hatte.Das gleiche gilt für die Sendungen, unbestritten das Kerngeschäft der TV-Anstalten. Nach den neuen Regelungen dürfen die Sender ihre Beiträge nur sieben Tage nach Ausstrahlung im Netz vorhalten. Wieder gilt: Es handelt sich um Sendungen, die der Öffentlichkeit gehören und ihr auf Betreiben der Verlage entzogen werden. Früher war es normal, sich nach dem Fernsehprogramm zu richten. Heute ist das nur noch schwer vorstellbar, künftig gar nicht mehr.Der Sonderbotschafter„Das Internet ist ein Freiheitsmedium“, hat Mathias Döpfner neulich in einem Artikel für die Neue Zürcher Zeitung geschrieben. Die Wahrheit ist, dass die großen Verlage tun, was sie können, um dem Netz die Freiheit auszutreiben. Nicht nur im Kampf gegen die Öffentlich-Rechtlichen. Mit der Knute des Leistungsschutzrechts sollen die anderen Verlagsfeinde gezüchtigt werden: Blogger und Aggregatoren. SZ und FAZ führen einen ermüdenden Gerichtskrieg gegen den Perlentaucher, eine der ganz wenigen Medienmarken, die aus dem Netz hervorgegangen sind. Mit dem Projekt des Leistungsschutzrechts haben sich Springer und Burda ein höheres Ziel gesteckt: dem gesamten Netz einen Knebel zu verpassen.Das Urheberrecht ist in seinen Weiterung kompliziert, in seinem Kern aber einfach: Es liegt beim Urheber. Und das ist der Autor. Nicht der Verlag. Ein Leistungsschutzrecht würde den Verlagen die Möglichkeit geben, das Recht am Text anstelle des Autors wahrzunehmen. Die Verlage sagen, dass sich im Netz eine schädliche Gratiskultur ausgebreitet habe und sie beständig beklaut würden. „Jeder nimmt, was er kann, nur weil es technisch so leicht möglich ist. Zivilisation aber besteht darin, das Mögliche auf das Wünschenswerte zu beschränken. Wir rollen ja auch nicht mit prall gefüllten Einkaufswagen, ohne zu zahlen, aus dem Supermarkt, nur weil es technisch so einfach geht.“ So weit Mathias Döpfner. Mit solchen Alltags-Metaphern ist auch Christoph Keese als Springers Sonderbotschafter in Sachen Schutzrecht seit geraumer Zeit unterwegs. Er wird nicht müde, die Notwendigkeit eines solchen Rechts zu begründen. Aber es gelingt ihm nicht, der inneren Unlogik der eigenen Argumentation zu entkommen: Wenn das Netz ein Supermarkt ist, dann zwingt niemand die Verlage, die Regale zu füllen. Man muss seine Texte nicht ins Netz stellen, man kann sie hinter Paywalls verstecken und man kann seine Inhalte für die Google-Suche sperren lassen. Wenn man aber Inhalte kostenlos ins Netz stellt und sie für Google öffnet, ist es absurd, Geld dafür zu verlangen.Die Verlage können es sich leisten, gegen die Öffentlich-Rechtlichen zu Felde zu ziehen und beim Leistungsschutz widersprüchliche Forderungen zu stellen, weil sie die Meinungs- und Veröffentlichungsherrschaft innehaben. Es ist für die Politik kein Spaß, sich mit dem Kartell der großen Häuser anzulegen. Wer will Springer, Burda, Süddeutsche, FAZ, DuMont und die WAZ-Gruppe gegen sich haben? Wohlgemerkt: Niemand muss einem Redakteur sagen, was er schreiben soll. Das weiß der schon von allein. Wer das so formuliert, zieht sich die Empörung Christoph Keeses zu: „Unterstellt er seinen Kollegen, dass sie nach der Pfeife ihrer Verlage tanzen und willfährig über deren geschäftliche Interessen berichten?“, schimpfte Keese über den taz-Redakteur Steffen Grimberg: „Dann müsste er Belege für die Beschuldigung anführen, was er aber nicht tut.“ Belege? Vielleicht sollte sich Keese das SZ-Interview mit seinem Chef noch mal in Ruhe ansehen. Stefan Niggemeier hat es so formuliert: „Es ist weniger ein Interview, das die Süddeutsche Zeitung mit Mathias Döpfner geführt hat, als eine Möglichkeit für ihn, ausführlich und ungestört durch kritische Nachfragen die eigene Position darzustellen.“ Warum kann Niggemeier das so schreiben? Weil er es vielleicht als Einziger geschafft hat, im Netz und im Journalismus seine eigene Marke zu werden. Er ist unabhängig. Das Netz hat ihm dabei geholfen. Weil es, da hat Döpfner ganz recht, ein Freiheitsmedium ist. Die Frage ist: Wie lange noch?