Warum ein klimaverträglicher, grüner Kapitalismus nicht abzusehen ist, erklärt ein neues Buch von Jonas Rest. Doch die Kritiker tun sich schwer mit Alternativen
Durch besonders sportliche Aussagen ist Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) bislang nicht aufgefallen. Nun aber trifft sich die Weltklimadiplomatie zum Gipfel im südafrikanischen Durban und Röttgen erklärt, dass der Klimaschutzprozess „ein Marathonlauf“ sei, „bei dem jeder Schritt der Mühe wert ist. Auch Durban wird uns hoffentlich ein Stück voranbringen.“ Die Metapher passt zu der weit verbreiteten Vorstellung von internationaler Klimapolitik: Eine Einigung auf Ebene der Vereinten Nationen ist schwierig, aber irgendwann wird es schon klappen.
Was aber, wenn die ganze Richtung nicht stimmt? Wenn all die Klimaretter im Kreis laufen? Wenn die Strukturen es nicht zulassen, zum Ziel zu gelangen? Oder wenn absehbar ist, dass man erst a
man erst ankommt, wenn es zu spät ist?Greenpeace hat vor wenigen Tagen eine Studie veröffentlicht, deren Titel sich problemlos ins Bild vom Marathonlauf fügt: Wer hält uns auf? Wie die CO2-intensive Industrie eine wirkungsvolle Klimagesetzgebung verhindert. Es geht um den Einfluss der wohl mächtigsten Lobby, die auch in Durban gut vertreten ist. Überraschend sind deren Beeinflussungsversuche natürlich nicht. Warum aber können sich die Öko-Unternehmen, die von einem konsequenten Klimaschutz profitieren würden, nicht gegen die fossile Lobby durchsetzen? Und warum sind die großen Stromkonzerne noch immer so zögerlich bei der eigenen Umstellung auf erneuerbare Energien? Wird sich das irgendwann ändern?Antworten findet man in dem Buch Grüner Kapitalismus? Es ist ein düsteres Szenario, das der Politikwissenschaftler und Journalist Jonas Rest da zeichnet. Dem Kapitalismus werde es nicht gelingen, sich zu begrünen, lautet seine zentrale These. Nicht, weil ein solcher grüner Kapitalismus generell nicht vorstellbar wäre, sondern weil seiner Verwirklichung gewichtige Interessen entgehen stehen, deren Abschaffung nicht abzusehen ist. Was sich zunächst nach einer im Marxismus verankerten theoretischen Abhandlung anhört, ist bei näherer Betrachtung eine handfeste Beschreibung der gegenwärtigen Situation – mit einer klaren Argumentation und einer starken Orientierung an empirischen Fakten.KräfteverhältnisseMan nehme die konventionellen Energieunternehmen, deren Wettbewerbsfähigkeit durch die Transformation „tendenziell bedroht“ werde. Sie können hinterher Marktführer sein, vielleicht aber auch nicht. Die „technologische Pfadabhängigkeit“ spricht sogar eher dagegen. Erneuerbare Technologien brauchen nicht unbedingt das Wissen der Erdöl-Konzerne; so hat die Elektronikbranche für die Fertigung von Solarmodulen bessere Ausgangsbedingungen. Hinzu kommt die geringe Innovationsfreude im konventionellen Stromsektor. Weil jahrelang Strom gleich Strom war und eine „Produktdifferenzierung“ unmöglich, geben die fossilen Stromunternehmen seit jeher deutlich weniger Geld für Forschung und Entwicklung aus als die Erneuerbaren-Branche.Dass die Öko-Unternehmen keine Chance gegen die geballte Macht der fossilen Industrie haben, liegt auch an einem hausgemachten Problem. Zahlreiche kleine Unternehmen müssen sich organisieren, um die polit-ökonomische Macht zu bündeln. Aber von Klimaschutz profitieren ganz unterschiedliche Firmen – von Windrad-Herstellern bis zu Handwerksbetrieben, die Gebäude sanieren. Allein die zahlreichen Versuche, die „grüne Wirtschaft“ zu definieren, zeigen die Schwierigkeiten, die Interessen unter einen Hut zu bekommen.Auch Versicherungswirtschaft und Finanzbranche mischen mittlerweile in der Klimapolitik mit, seitdem Extremwetterereignisse immer größere Schäden verursachen und der Handel mit Emissionszertifikaten ein attraktiver Markt geworden ist. Allerdings engagieren sich die Versicherungen nicht für einen effektiven Klimaschutz, sondern kalkulieren einfach anders und verfolgen eine „Strategie der Anpassung und des Risiko-Managements“, wie Rest schreibt. Und die Finanzwirtschaft kann zwar Unternehmen nach ihrem CO2-Ausstoß bewerten, ausschlaggebend ist dieses Kriterium aber nicht.Auf Staatenebene spiegeln sich die Kräfteverhältnisse der Industrien. Wie Rest am Beispiel der Klimapolitiken der größten CO2-Verursacher China, USA und EU zeigt, fördern zwar alle Staaten den Ausbau erneuerbarer Energien. Ein Ende der Subventionen für die fossile Wirtschaft bedeutet das allerdings nicht. Auch das ein weit verbreiteter Irrglaube in der Klimapolitik: dass die Entwicklung der regenerativen Energien automatisch zu einem kohlendioxidarmen Wirtschaften führe. In Wirklichkeit ist der Ausbau von Sonne, Wind und Wasser immer auch ein Schritt zur „Diversifizierung der Energieversorgung“ und damit zur Versorgungssicherheit. Man ist nicht mehr so stark auf dem Import fossiler Energieträger angewiesen.Absurde DoppelförderungDieser Wunsch nach einem breiteren Energiemix führt gleichzeitig dazu, dass Kohle wieder an Bedeutung gewinnt, dass auf die CCS-Technologie für Kohlekraftwerke gesetzt wird oder dass in Kanada und anderswo die extrem klimaschädlichen Teersand-Vorkommen ausgebeutet werden. In der Auflistung des Buches fehlen die Bestrebungen, durch die umstrittene Fracking-Methode unkonventionelles Erdgas zu fördern. Kurz: Fossile Energieträger sollen klimaschutztechnisch optimiert, auf jeden Fall aber beibehalten werden.Auf die Spitze getrieben wird die Absurdität der staatlichen Doppelförderung durch den europäischen Emissionshandel, der als das Klimaschutzinstrument schlechthin gilt, faktisch aber der fossilen Industrie Milliardengewinne zuschustert. Weil die Stromkonzerne den Großteil ihrer Zertifikate kostenlos erhalten, die fiktiven Kosten aber trotzdem an ihre Kunden weiterreichen, können sie windfall profits erzielen. Die vier deutschen Stromriesen könnten zwischen 2008 und 2012 insgesamt 18,4 Milliarden Euro einstreichen, schätzen WestLB und das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.Gibt es doch noch Hoffnung? Bedingung einer echten Wende wäre die Entmachtung der Energiekonzerne, meint Rest, und das könne bloß einer starken Protestbewegung gelingen. Die in Kopenhagen 2009 erstmals in Erscheinung getretene Klimabewegung könnte ein „zaghafter Beginn“ sein, der jedoch „nicht annähernd“ ausreiche.Damals hatten auch verstärkt antikapitalistische Gruppen zu Protesten gegen den Gipfel in der dänischen Hauptstadt aufgerufen. Im Konferenzgebäude selber präsentierten sich die sozialistischen Staatsführer von Bolivien und Venezuela als Weltretter. Sie redeten viel von Kapitalismus und Sozialismus, aber die Alternativen zur herrschenden Klimapolitik blieben vage.Warum tun sich Ökosozialisten so schwer, Lösungsvorschläge zu entwickeln? Erstens sind die meisten Zukunftsszenarien von großer Unklarheit geprägt – und zwar nicht nur wegen der Unsicherheiten, die sich aus einer Prognose zwangsläufig ergeben. Politisch Verbündete können sich zwar leicht auf die Ablehnung einer bestimmten Politik einigen, bei den Alternativen beginnen dann aber die Differenzen.Zweitens könnte der Umbau zu einer klimaverträglichen Gesellschaft möglicherweise mit Einschränkungen in der persönlichen Lebensqualität verbunden sein. Das verträgt sich nicht besonders gut mit sozialistischem Fortschrittsglauben.Drittens gibt es kein Vorbild für eine ökosozialistische Energiepolitik. Die Sowjetunion war nicht gerade für umweltschonende Energieerzeugung bekannt. Und wozu staatliches Eingreifen führen kann, lässt sich wunderbar in Frankreich beobachten; der staatliche Stromerzeuger EdF produziert fast ausschließlich Atomstrom.Eine Lektion lässt sich daraus lernen: Dezentrale Strukturen sind flexibler, es gäbe keine Großkonzerne mit Großkraftwerken, die in der Lage wären, demokratisch erwünschte Entwicklungen zu blockieren. Kleine Betriebe können nämlich besser demokratisch kontrolliert werden – sei es über staatliche Regulierung oder über genossenschaftliche Modelle.Eine erneuerbare Energieversorgung kann zwar auch mit Wüstenstrom und Offshore-Windparks zentral organisiert werden. Aber der Trend geht zur Dezentralität – alleine, weil nicht nur an einem Ort der Wind weht und die Sonne scheint. Und so verhilft die Natur dem Sozialismus vielleicht doch noch irgendwann zum Sieg.