Klar, wer lange genug dabei ist, wird jetzt vielleicht müde abwinken: Der Hass, die Tricksereien und das Nachtreten – all das, was Gregor Gysi beim Göttinger Parteitag in seiner Partei bitter konstatierte, ist aus der Geschichte der radikalen Linken bekannt. In den siebziger Jahren, so wird uns erzählt, bekämpften die westdeutschen Kommunisten vor allem sich selbst; die DKP gegen die KPD/ML und diese gegen weitere der sogenannten K-Gruppen. Mobbing (das man damals noch nicht so nannte) und Denunziation waren an der Tagesordnung, denunziert wurde am Arbeitsplatz, denunziert wurde bei den Gewerkschaften, denunziert wurde auf Flugblättern (Blogs und Twitter gab es ja noch nicht), denunziert wurde in Uni-Veranstaltungen. „Das Mitglied hat die Pflicht, wachs
Kultur : Die große Gereiztheit
Die Linke zerfleischt sich selbst, die Piraten mobben sich beinahe zu Tode. Woher kommt dieser Hass?
Von
Michael Angele
Illustration: der Freitag
chsam zu sein gegenüber Karrieristen, Abweichlern und Agenten“, heißt es in einem Papier der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD), die als einzige der K-Gruppen bis heute existiert.Vermutlich kommt keine politische Gruppierung ganz ohne feindzentriertes Denken aus, einfach weil es deren Zusammenhalt festigt. In Politiksekten verdichten sich die aggressiven Tendenzen traditionslinker Politik jedoch wie unter einem Brennglas. Im Laufe ihrer politischen Sozialisation kamen laut Forschung immerhin rund 100.000 Menschen mit diesen Kleingruppen in Kontakt. Darunter Leute, die später Karriere gemacht haben: Bernd Ziesemer, der es vom Sprecher des Kommunistischen Jugendverbands Deutschlands zum Chefredakteur des Handelsblatte zum Chefredakteur des Handelsblattes brachte, die spätere Gesundheitsministerin Ulla Schmidt von der SPD oder der KBW-Gründer und nachmalige Fischer-Vertraute Joscha Schmierer.Immer der andereUnd bei der Linken? Im Gegensatz zu den Grünen sei der konkrete Anteil von Ex-K-Gruppen-Mitgliedern wohl eher gering, vermutet Tom Strohschneider (taz, lafontaines linke.de), eine allgemeine „K-Gruppen-Mentalität“ wollen aber weder er noch Wolfgang Kraushaar vom Hamburger Institut für Sozialforschung abstreiten. Es ist ja schon eine vertraute Melodie, die da erklingt: Die Parole „Ihr habt den Krieg verloren“, die am Ende des Göttinger Parteitags laut wurde, entspringt zwar dem Arsenal der Antifa und meint Nazis, um so perfider, sie am Ende einem Teil der eigenen Partei entgegenzuschleudern. Auch publizistisch gab es aggressive Töne. So wurde in der Jungen Welt gewettert, Dietmar Bartsch gehöre „mit Schimpf und Schande davongejagt“, weil er seine „linken Gegenspieler als Sektierer, Fundamentalisten, orthodoxe Kommunisten, Betonköpfe oder auch schon mal als Antisemiten“ denunziere.Und wenn sie es nun einmal sind? Natürlich wird ein Fundamentalist sich niemals selbst als Fundamentalisten bezeichnen, sondern zum Beispiel als noch nicht „neoliberal“ verseuchter Antikapitalist. Es kennzeichnet den politischen Extremismus, dass der Denunziant immer der andere und nur der andere ist.Zur Erfolgsgeschichte von schäbigem Verhalten trägt wiederum bei, dass es von den Akteuren selbst nicht als schäbig wahrgenommen wird. Im Gegenteil, den eigenen Genossen fertigzumachen, wird zur Pflicht, wenn einer der „Sache“ untreu zu werden droht. Ein solcher Verrat droht ständig, darum ist es kein Widerspruch, wenn einer hochmoralische politische Ziele verfolgt und sich zugleich wie das letzte Arschloch benimmt.ArbeiterverräterVerrat kennt viele Formen und ist zäh, nach einem berühmten Wort von Margret Boveri, bleibt er „bei uns, als sei er der dauernd sich wandelnde Schatten“. Wo Verrat droht, herrscht Misstrauen, kreist das Denken um den Gegensatz von Freund und Feind. Man schließt sich gegen die Umwelt ab, die als feindlich und „faschistisch“ wahrgenommen wird und tendiert zu Geheimnis und Gewalt (Georg K. Glaser). „Verräter verfallen der Feme“ hieß es zwar nur bei den rechten konspirativen Gruppen, aber der psychische Druck, wenn einer als „Arbeiterverräter“ bearbeitet wurde (etwa weil er eine Dissertation zu Ende schreiben wollte), war bestimmt nicht gering. Es gab auch rohe Gewalt. Wolfgang Kraushaar erinnert sich, wie verfeindete Grüppchen mit Stahlrohren aufeinandergegangen sind. Es wurden Sprüche wie „DKPisser und linke Liberallas“ skandiert, Sprüche, die sich heute auch gut twittern ließen.Zum bevorzugten Feindbild der heutigen Fundamentalisten hatte Dietmar Bartsch sich auch mit seinem Wunsch gemacht, die Linkspartei möge sich nicht länger „über den Verrat der SPD an den eigenen Traditionen“ definieren. Damit war natürlich Oskar Lafontaine gemeint, der sein Ränkespiel vermutlich nur auf dem Niveau shakespearscher Dramen angesiedelt haben will, der aber schon auch von dem getragen wird, was man Verdächtigungskultur nennen kann. Lothar Bisky hat sie im ND offen angesprochen. Die Verdächtigungskultur integriere die „sehr unterschiedlichen politischen Entwicklungen in hilfreiche Schablonen: Stalinisten hier, Arbeiterverräter da, ‚Sozialdemokratismus’ auf der einen und ‚Kommunisten‘ auf der anderen Seite.“ Eben weil sie die Welt in Gut und Böse teilt, ist diese Kultur so erfolgreich.Ideologische ScharfrichterUnd noch eins hatte Bisky erkannt: „Ideologische Scharfrichterei feiert heute gelegentlich im Internet fröhliche Urstände, als hätte es die verhängnisvolle Denunziationsgeschichte der Linken nie gegeben.“ Anschauungsmaterial findet man in diversen Communities. Etwas anders liegt der Fall bei den Piraten. Sie haben keine lange Vorgeschichte wie die Linke, und die Nerd-Kultur hat keine politische Tradition. Der Hass nimmt dort weniger die Form ideologischer Grabenkämpfe an als mehr eines relativ nackten Gerangels um Macht.Wenn man mit Julia Schramm über Mobbing in ihrer Partei spricht, hat man den Eindruck, dass sie klar erkannt hat, wo das Problem liegt. „Wir wollen“, sagt das 26-jährige Vorstandsmitglied, „eine Partei ohne feste Hierarchien sein“. Damit schafften sie aber ein Machtvakuum, in dem viele kleine, sich konkurrierende „Königreiche“ entstehen. Bei einer festen Ordnung, so der Umkehrschluss, ließen sich die Probleme in den Griff kriegen. Julia Schramm wirkt etwas ratlos. Enstweilen versuche die Partei den Hass durch Maßnahmen wie Voting Tools zu minimieren. Man zweifelt, ob es reicht, und möchte fast Aram Lintzel zustimmen, der den Piraten via taz in diesen Tage zu mehr Disziplin rät.Eine Frage des CharaktersMichael Buchholz sieht das Problem jedoch noch woanders. Die Theorie großer Gruppen, sagt der Professor von der Berliner Hochschule für Psychoanalyse (IPU), unterscheidet zwei Ebenen: die der Aufgaben und Ziele und die der eigentlichen Gruppendynamik, auf der sich die Intrigen und Kämpfe abspielen. Diese Ebene wird so lange von der ersten Ebene überlagert, wie man gemeinsame Ziele hat. Fehlen sie, bricht der Hass aus. „Die Piraten sind diesem Prozess derzeit besonders ausgesetzt, weil sie Ziele und Aufgaben, die über das Urheberrechtsthema hinaus gingen, noch gar nicht definiert haben!“Im Gegensatz zur Linken; hier sind die Ziele zwar definiert, jedoch von zwei ideologisch konträren Gruppierungen. Erscheinen dann starke Persönlichkeiten wie Lafontaine auf der Bühne, die einen Teil der gruppendynamischen Interessen repräsentieren, und können genügend Anhänger mobilisiert werden, die eine Chance sehen, ihre Partialinteressen als Gesamtinteresse verbindlich werden zu lassen, dann, ja dann „brechen mit schöner Zwangsläufigkeit Kämpfe erheblichen Ausmaßes auf, die schnell sehr destruktiv werden und das Publikum nachhaltig verstören“.Was tun? Lothar Bisky kennt die Lösung nicht, im Gespräch wirkt er resigniert. „Vielleicht ist es einfach eine Frage des Charakters“, sagt er. Läge die Lösung für seine Partei nicht schlicht darin, den Anteil von Frauen an der Spitze weiter zu erhöhen? Eins scheint ja klar: Der Stalinismus, die K-Gruppenmentalität, die Verdächtigungskultur, wie immer man es nennt, ist eine männerbündische Sache. Ja, sagt er, vielleicht, aber er müsse überlegen, ob nicht auch Frauen intrigant sein können. Natürlich können sie das. Politische Aggression erzeugt große Melancholiker. Lothar Bisky scheint froh, im fernen Brüssel zu sein, von dort aus wirkt die große Gereiztheit dieser Tage fast schon unbedeutend klein.